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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Auch jetzt machte Lübeck von diesem Rechte Gebrauch und berief in größter Eile einen außerordentlichen Hansatag, um in Sachen des Bürgermeisters Johann Wittenborg Recht und Urtheil zu sprechen.

Die Sache des Bürgermeisters stand schlimm genug. Zwar, ein Landesverräther in dem Sinne, daß er absichtlich die Flotte in Dänemarks Hände gespielt, war er nicht – und es bekümmerte ihn am Meisten, daß man ihm eine solche Niederträchtigkeit, eine solche Arglist wider deutsche Brüder auch nur zutrauen konnte, aber seinem Mangel an Feldherrntalent und seiner siegesfrohen Nachlässigkeit war es allerdings zuzuschreiben, daß die Flotte überfallen und halb vernichtet werden konnte. Wittenborg war ein eitler und hoffärtiger Charakter. Als die erste Person in Lübeck und mit einem nicht unbedeutenden Verwaltungstalent in städtischen und friedlichen Verhältnissen begabt, schmeichelte er sich in der Behäbigkeit eines stolzen Bürgerthums auch zu jeder andern Würde der passendste Mann zu sein. Wo Alles zu den Waffen rief und dem Feind entgegendrängte, wollte er am Wenigsten zurückbleiben, er wollte an der Spitze stehen – und dachte nicht daran, daß dies im Felde noch Etwas mehr zu bedeuten hatte als daheim aus dem lübecker Rathhaus. Der erste glückliche Sieg über den Feind, den er hauptsächlich seinen Fähigkeiten und Anordnungen zuschrieb, obwohl er in Wahrheit einen sehr geringen Antheil daran hatte, sondern ihn nur der Begeisterung der kampflustigen Mannschaft dankte, die sich lange danach gesehnt hatte, den übermüthigen Feind Deutschlands zu züchtigen – bestärkte ihn in seiner hohen Meinung von sich und zugleich in seiner Sorglosigkeit. Nach der ersten glücklichen Landung an den dänischen Küsten, indeß der Graf von Holstein mit seiner Heeresabtheilung weiter vorrückte, veranstaltete er nach heimischer lübecker Gewohnheit eine Art Siegesfest. Ein munteres Gelag, wo es an übermüthigen Toasten nicht fehlte – und indeß sie zu Lande zechten und jubilirten, machte sich der listige verschlagene Däne die passende Gelegenheit zu Nutze, überfiel die fast wehr- und mannenlose Flotte und vernichtete sie zur Hälfte. Mit Mühe konnten noch einige Schiffe einen Theil der Gelandeten aufnehmen und die Heimfahrt wagen. Darunter der Bürgermeister – aber nicht als Führer, sondern als Gefangener. Denn einige der untern Führer hatten vergeblich schon vorher gewarnt vor seinem übermüthigen Gebahren, Andere hatten ihn beneidet, und noch Andere wollten dadurch, daß sie alle Verantwortlichkeit auf ihn wälzten, sich selbst von derselben befreien.

Die Untersuchung war in Lübeck geführt worden; nicht der absichtliche Verrath, aber die Schuld der Nachlässigkeit war erwiesen, und der Hansatag war einberufen, den letzten Spruch zu fällen. Der Angeklagte hatte nichts zu seiner Vertheidigung zu sagen – die Thatsache war erwiesen. Er schrieb sie einem unglücklichen Ohngefähr zu – aber das half ihm nichts, denn seine Sache wäre es gewesen, ein solches vorauszusehen oder doch auf alle Fälle gefaßt zu sein. Seine Berufung auf frühere Verdienste nutzte eben so wenig – sie waren vergessen vor der letzten Handlung, welche Schmach über die Hansa gebracht hatte. Zudem fühlte sich Lübeck das den Vorsitz führte, zu einem um so strengern Gericht verpflichtet, um sich von jeder Mitschuld und Mitschmach rein zu waschen, und die Abgeordneten der andern Orte, eifersüchtig auf die Vorrechte Lübecks, freuten sich, eine Gelegenheit zu finden, diese stolze Stadt zu demüthigen und Rache an seinem ersten Bürger zu üben.

An einem gewitterhaften Sommertage zogen die Abgeordneten ein. Wie immer wurden sie bei ihrer Ankunft von den Lübeckern festlich bewillkommnet und mit Ehrenwein aus silbernen Pokalen beschenkt. Wenn dies sonst geschah, war Katharina die Krone dieser Festlichkeiten. Alle huldigten ihr und Jeder fühlte sich hochgeehrt, dem sie selbst den Becher reichte oder für den sie sonst einen freundlichen Blick, ein aufmerksames Wort hatte. Jetzt waren die Fenster ihres Hauses dicht verhangen, es dufteten keine Blumen, weheten keine Fahnen und Teppiche von ihrem Balkone – wie ein bleiches Marmorbild stand sie in ihrem dunklen Gemach. – Anfangs hatte sie ihren Vater noch ein paar Mal wieder sehen dürfen, jetzt war es ihr seit Wochen nicht mehr gestattet. Seit sie erfahren hatte, daß an seine Freisprechung nicht zu denken sei, hatte sie versuchen wollen, ihn durch einen Fluchtplan zu befreien, aber ehe derselbe zur Reife gediehen, war er entdeckt und vereitelt worden. Man hatte keine Beweise dafür. Aber sie hatte sich verdächtig gemacht, und seitdem durfte sie weder zu ihrem Vater noch ihr Haus verlassen – es war mit Wachen umstellt. Dies Letztere war ein Werk Bertram’s. Er wollte es verhindern, daß sie einen der heimischen Richter oder fremden Abgeordneten spreche und für ihren Vater bitte. Er selbst kam zuweilen unter dem Vorwande, ihr von ihrem Vater Nachricht zu bringen, im Dunkeln zu ihr, und sie mußte seine Gegenwart unter unaussprechlichen widrigen Empfindungen und Aengsten ertragen. Er stellte sich immer als ihren Beschützer, ihren Bräutigam dar, und wenn er zudringlich ward, so rief sie nach Elsa und versprach ihm zum Altar zu folgen, wenn ihr Vater sie segnen könne.

So kam Bertram auch am Abend vor dem Hansatag, vor der letzten Entscheidung. Halb trunken vom Wein hatte er sich leise vom Fest der Abgeordneten fortgeschlichen und taumelte in Katharina’s Zimmer. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Hatte er zuvor noch eine Spur von Mitleid und Achtung gezeigt, so herrschte jetzt nur das Thier in ihm. Er plauderte aus, was er längst gewußt und beschlossen, aber bisher verschwiegen: ihr Vater sei zum Tode verurtheilt, und es sei keine Frage, daß die meisten Abgeordneten das Urtheil bestätigen würden; vielleicht könne noch seine verneinende Stimme einen günstigen Ausschlag herbeiführen, und dann werde er Mittel finden, ihm zur Flucht zu verhelfen. Und als sie unter Jammern ihm erklärte, daß sie ja dann sein werden wolle, aber erst müsse sie die Gewißheit haben, daß es ihm Ernst sei mit seiner Hülfe – da fragte er sie lachend, ob sie denn wirklich glaube, er werde die Tochter eines Verurtheilten zu seiner Gemahlin machen? Die ärmste Dirne sei sie dann, denn des Geächteten Vermögen falle der Hansa zu – und bei diesen Worten wagte er es, frech das arme Mädchen zu umarmen.

Da trat Elsa ein, die an der Thür gehorcht, entriß ihm Katharina und schrie: „Nein, wer so niederträchtig sein kann, dem ist es auch nicht Ernst darum, etwas für den armen Gefangenen zu thun!“ – Und ohne zu wissen, wie ihm geschah, fühlte er sich von den starken Armen eines wüthenden Weibes zur Thür hinausgeworfen und dieselbe hinter sich verriegelt. Entsetzt fragten sie Katharina’s starre Augen um Aufklärung.

An einen der Comptoiristen Herrn Bertram’s war von seinem frühern Collegen Erich ein Brief an ihn und an Katharina gekommen. Erich hatte gehört, daß Wittenborg gefangen in Lübeck sitze, und obwohl er nicht die ganze Schwere seines Geschickes ahnte, so trug er doch Sorge um die Geliebte. Er gestand darum nun dem ehemaligen Genossen sein Verhältniß zu ihr und bat ihn um seinen Schutz für sie – insonderheit gegen Bertram. Er sollte die Schritte seines Prinzipals bewachen und Alles aufbieten, daß Katharina nicht von ihm zu leiden habe. Erich’s Freund, dem Bertram’s Betragen längst verdächtig vorgekommen, spähte ihm jetzt weiter nach und brachte es bald heraus, daß hauptsächlich er es war, welcher im Stillen die Bürgerschaft von Lübeck mehr und mehr gegen Wittenborg zu erregen wußte, dabei Alles vorbereitend, daß er zu seinem Nachfolger gewählt werde; daß er es war, welcher Wittenborg’s Schuld vergrößert darzustellen und das harte Urtheil durch allerlei Machinationen vorzubereiten suchte, das nun seiner wartete. Dem Comptoiristen ahnte von Bertram’s heimlichen Gängen zu Katharina nichts Gutes – er suchte endlich Elsa darüber auszuhorchen und öffnete derselben über Bertram’s Nichtswürdigkeit die Augen, da er dem trunkenen Bertram heimlich in das Haus nachgeschlichen war, so daß die Wache ihn für einen Begleiter desselben hielt. Aber er vermied von seinem Herrn gesehen zu werden, Elsa genügte zu Katharina’s Rettung, und er selbst floh durch den Garten über die Mauer, die sonst so oft die Liebesleiter seines Freundes gewesen war. Erich’s Trostbrief an Katharina fand er erst an diesem Abend Gelegenheit an Elsa abzugeben.

Zu Katharina’s Rettung hatte der Comptoirist das Möglichste gethan – aber für ihren Vater war es ihm nicht beschieden! – Das Urtheil des Hansatages lautete: „Tod durch das Schwert“ – und da gab es keinen Widerspruch, keinen Instanzenweg, keine Gnade. Das Urtheil war und blieb gefällt und mußte am dritten Tage vollzogen werden.

Jetzt wagte der Comptoirist noch das Aeußerste. Er hatte einem Bekannten im Rath, dem er vertraute, mitgetheilt, wie schändlich Bertram an Katharina gehandelt, und der Rathsherr bewirkte es, daß die Tochter am Vorabend der Hinrichtung ihren Vater noch einmal

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