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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Bankhaus Soltau war zwar ein sehr junges, aber es erfreute sich bereits eines ehrenvollen Vertrauens und regen Zuspruchs. Soltau hatte sich zum Gesetze gemacht, jede gewagte Speculation zu vermeiden, er wollte sich mit kleinen, aber sichern Gewinnen begnügen. An der Börse kannte man ihn als einen vorsichtigen, redlichen Mann, und schätzte sein Vermögen auf achthunderttausend Mark. Ein nicht unbeträchtlicher Theil des kleinen Wechselhandels lag bereits in seinen Händen, und für mehrere amerikanische und englische Häuser besorgte er das Incassogeschäft

Um elf Uhr brachte Lambert die Summe von hunderttausend Mark. Die Empfängerin der Rente hatte also einen fruchtlosen Besuch nicht zu fürchten. Soltau war zwar seit zwei Jahren mit einer jungen, liebenswürdigen Frau verheirathet, und war seine Ehe auch bis jetzt kinderlos, so fand er doch das größte Glück in dem Besitze seiner Gattin — aber er mußte doch über seine Neugierde lächeln, die ihn in Bezug auf die empfohlene Dame anwandelte.

„Ob sie jung und schön ist?“ fragte er sich. „Ob sie bald kommen und Zahlung fordern wird?“

Auf beide Fragen sollte er um zwölf Uhr Antwort erhalten.

Zur größten Ueberraschung der beiden jüngern Commis — der dritte Arbeiter war der Kassirer Lorenz, ein Mann von fünfzig Jahren — trat ein reizendes junges Mädchen in das Comptoir, und fragte schüchtern nach Herrn Soltau. Man zeigte ihr das Kabinet. Gleich darauf stand sie dem Banquier gegenüber. Nachdem sie bescheiden gegrüßt, flüsterte sie mit zitternder Stimme:

„Ich habe Herrn Soltau eine Anweisung von Herrn Kolbert zu übergeben.“

Ihre kleine, mit schwarzen verschossenen Handschuhen bekleidete Hand überreichte dem Banquier ein Papier. Erröthend schlug sie die Augen nieder, als ihre Blicke denen des jungen Mannes begegneten. Dann trat sie, vor Angst zitternd, einen Schritt zurück.

Soltau fühlte sich von Mitleiden ergriffen; ohne das Papier zu lesen, antwortete er:

„In diesem Falle habe ich das Vergnügen, Fräulein Sophie Saller zu empfangen?“

Das reizende Gesicht Sophie’s ward plötzlich von einem Freudenstrahle verklärt, und die leichte Röthe ihrer Wangen verwandelte sich in Purpur. Nachdem sie sich zum zweiten Male verneigt hatte, athmete sie hoch auf; daß der Banquier ihren Namen kannte, schien ihr die Bürgschaft für ein bevorstehendes Glück zu sein.

„So sind Sie auf meinen Besuch vorbereitet?“ fragte sie kaum hörbar.

Soltau nickte bejahend mit dem Kopfe, während er das Papier las. Es enthielt nur die Zeilen:

„Ueberbringerin ist Sophie Saller. E. Kolbert.“

Der vorsichtige Geschäftsmann legte das Blatt zu dem Briefe; bei dieser Gelegenheit vergewisserte er sich, daß beide Documente von einer Hand geschrieben waren. Dann wandte er sich zurück und bot dem jungen Mädchen einen Stuhl an.

„Die Summe von tausend Mark steht Ihnen zur Verfügung!“ sagte er artig. „Ich bitte, bescheinigen Sie den Empfang.“

Sophie trat zu dem ihr bezeichneten Tische, ergriff zitternd die Feder und schrieb die Quittung. Kaum hatte sie ihren Platz wieder eingenommen, als Soltau aus dem Comptoir zurückkehrte, die Thür hinter sich schloß und aus einem Lederbeutel die Summe von tausend Mark in Goldstücken auf den Tisch neben die Quittung legte.

„Zählen Sie nach, mein Fräulein!“ sagte er mit einer leichten Verneigung.

Das junge Mädchen hatte sich ein wenig erholt. Ihre lieblichen Züge lächelten, indem sie antwortete:

„Dessen bedarf es nicht; man hat mir gesagt, daß ich mich auf Herrn Soltau verlassen könne, und ich nehme das Geld als richtig an.“

Der erstaunte Banquier ließ sich dem Besuche gegenüber auf einem Stuhle nieder; er fand ein Interesse daran, das seltsame junge Mädchen näher in’s Auge zu fassen. Und wahrlich, Sophie war unter den obwaltenden Verhältnissen eine seltsame Erscheinung. Sie trug zwar anständige, aber schlichte, sehr schlichte und einfache Kleider. Der kleine Hut von dunkelgrüner Seide beschattete ein wahres Madonnengesicht. Wie regelmäßig schön und jungfräulich waren diese Züge! Das himmelblaue Auge, von einem Kranze langer, schwarzer Wimpern umgeben, war der Spiegel einer reinen, unschuldigen Seele. Das blaue Thibetkleid und das kurze Mäntelchen von abgetragener Seide verriethen, daß Sophie in sehr beschränkten Verhältnissen lebte. Sollte man nicht ihrer Schönheit den plötzlichen Wechsel der äußern Umstände zuschreiben? Doch nein, ein Blick in das Madonnengesicht verscheuchte sofort jeden Argwohn.

„Fräulein Saller erlaubt mir wohl eine Frage,“ sagte der Banquier.

„Sie sehen mich bereit, zu antworten, wenn ich es vermag.“

„Herr Kolbert beehrt mich mit einem Vertrauen, das meine Dankbarkeit erweckt, und Sie selbst sprechen sich in einer Weise aus, die mich ehrt; man kennt doch gern die Leute, die einem wohlwollen, zumal wenn eine längere Geschäftsverbindung in Aussicht steht – wer ist Herr Kolbert, mein Fräulein?“

Die kaum gewichene Verlegenheit des jungen Mädchens kehrte wieder. Diese Frage schien sie nicht erwartet zu haben.

„Mein Herr.“ flüsterte sie, „ich kenne Herrn Kolbert eben so wenig, wie Sie ihn kennen; ich habe ihn nie gesehen. Hätte mich nicht das Seltsame der Situation abgehalten, ich würde Sie um die Gefälligkeit ersucht haben, mir Auskunft über meinen unbekannten Wohlthäter zu geben.“

Das Erstaunen des Banquiers läßt sich denken.

„Sie kennen wirklich den Mann nicht, der Ihnen eine jährliche Rente von viertausend Mark ausgesetzt hat?“

„Zweifeln Sie nicht daran, mein Herr!“ antwortete Sophie zitternd, und indem sie bittend mit ihren großen Augen zu dem Banquier emporsah. „Aus dem Briefe, der mir die Anweisung auf das Bankhaus Soltau brachte, erfuhr ich zum ersten Male den Namen Kolbert.“

„Und Fräulein Sophie Saller wohnt in Hamburg?“

Das junge Mädchen erhob sich. Ihre Verlegenheit hatte den höchsten Grad erreicht.

„Verzeihung,“ sagte Soltau, „der Geschäftsmann ging ein wenig zu weit. Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich Ihnen die Versicherung ertheile, daß mich mein Interesse an Ihrer Person zur Indiscretion hinriß. Unser Geschäft ist geordnet: verfügen Sie jedes Vierteljahr über tausend Mark!“

Er deutete auf die Goldstücke. Sophie verbarg sie in eine Plüschtasche, die sie am Arme trug. Unter tiefem Erröthen verbeugte sie sich und verließ das Kabinet und das Comptoir. Der junge Lambert war so artig, ihr die Thür zu öffnen. Sie dankte und verschwand.

Es war halb ein Uhr; der Banquier mußte um ein Uhr an der Börse sein. Wie stets, so ging er auch heute noch einmal zu seiner Gattin, bevor er das Haus verließ. Madame Soltau erwartete ihren Mann zum Frühstück, das um zwölf Uhr eingenommen wurde.

„Du kommst spät, Franz!“ sagte die liebenswürdige Frau, indem sie ihm den Mund zum Kusse bot.

Franz umarmte zärtlich seine Gattin und führte sie zum Frühstücke, das auf einem kleinen Tische servirt war.

„Mein Geschäft gewinnt täglich an Umfang!“ rief er heiter. „Heute hat man die erste große Summe meiner Kasse anvertraut.“

Er erzählte den Besuch des jungen Mädchens.

„Und wer ist Dein neuer Kunde?“ fragte unbefangen Madame Soltau.

„In seinem Briefe, der aus Berlin kommt, nennt er sich E. Kolbert — und dies ist Alles, was ich von ihm weiß. Wie es scheint, werde ich auch vor der Hand nicht mehr erfahren.“

Der Banquier frühstückte rasch, um die Börse nicht zu versäumen; er hatte die Ueberraschung seiner Gattin nicht bemerkt als er den Namen „Kolbert“ ausgesprochen.

Nach einer Pause, in der sie sich gewaltsam ihre Fassung wieder angeeignet, fragte die junge Frau:

„Und wie nannte sich das junge Mädchen?“

„Sophie Saller. Sie ist jung, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt — und schön, sehr schön!“

„Sophie Saller?“ wiederholte Madame Soltau fast bestürzt. Und dabei überflog ein leichtes Roth ihr zartes, weißes Gesicht.

Franz sah seine Gattin an.

„Henriette,“ rief er lachend, „ich glaube, Du wirst eifersüchtig! Doch beruhige Dich, mein liebes Kind, ich weiß von der kleinen Sophie nicht mehr als von Herrn Kolbert, das heißt, den Namen.“

Er umarmte und küßte Henrietten, dann stand er vom Tische auf und nahm seinen Hut. Die junge Frau schmiegte sich zärtlich an ihn.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_178.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)