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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Verzeihung, mir ist die Finanzwelt so unbekannt, daß ich von Herrn Philipps zuerst Ihr Bankhaus rühmen und empfehlen hörte.“

„Es handelt sich um ein bedeutendes Geschäft, wie ich höre –“

„Eben so bedeutend, als sicher und reell, wie meine Papiere ausweisen. Ich bedauere, daß mich ein Familiengeheimniß zwingt, Sie zu bitten, sich mit der Auskunft zu begnügen, die Herr Philipps und diese Papiere geben. Und was kommt im Grunde auch auf die Personen an, wenn die Papiere richtig sind?“

„Die Empfehlung Gotter’s, mein Herr, reicht hin, um Sie bei uns zu accreditiren, aber ich erlaube mir die Bemerkung auszusprechen, daß Sie bei dem vorgeschlagenen Geschäfte ein Drittel der Summe einbüßen, um die es sich handelt.“

„Demnach fürchten Sie, daß man Sie durch diese Lockspeise geneigt zu machen sucht, auf eine unredliche Spekulation einzugehen?“ fragte der Fremde mit einem bittern Lächeln.

„Verzeihung, mein Herr, ein reeller Geschäftsmann legt sein Kapital nicht zu Wucherzinsen an.“

„Die Gesellschaft Globe bot neunzigtausend Mark für mein Papier – Herr Philipps ist Zeuge.“ Der Agent stimmte durch ein Zeichen bei.

„Wenn ich hunderttausend erhalte, deren ich nothwendig heute bedarf, so habe ich gut verkauft. Und ist es außerdem nicht möglich, daß Kolbert länger lebt, als die Aerzte vermuthen?“

„Sie haben Recht!“ murmelte der Banquier.

Soltau müßte nicht Banquier gewesen sein, wenn ihn die Aussicht auf einen Gewinn von fünfzigtausend Mark nicht reizen sollte. Alle Umstände vereinigten sich, um ihn zu Gunsten des Fremden zu stimmen. Daß Kolbert, der Sophien eine Rente gesichert, derselbe war, dessen Lebenspolice ihm angetragen ward, ergab sich aus der Unterschrift. Im Falle eines Betrugs, der übrigens nicht wahrscheinlich war, hatte er Mittel in Händen, sich schadlos zu, halten. Er beschloß, Kolbert’s Police mit Kolbert’s Gelde zu kaufen, und das Weitere abzuwarten.

„Mein Herr, ich werde die Summe zahlen, begleiten Sie mich in mein Comptoir.“ Die drei Männer verließen die Börse, nahmen einen Fiaker, und fuhren nach Soltau’s Wohnung. In dem Nachbarhause hatte die Gesellschaft Globe ihr Comptoir. Soltau entfernte sich unter einem Vorwande, und präsentirte dem Dirigenten der Lebensversicherungsbank die Police; sie ward als vollkommen gut und richtig befunden.

„Wir sind verpflichtet, die Versicherungssumme zu zahlen, sobald der beglaubigte Todtenschein eingereicht wird,“ sagte der Dirigent. „Die Versicherung ist in London vorschriftsmäßig geschehen. Weitere Auskunft kann ich Ihnen über den Versicherten nicht geben, ohne zuvor in London angefragt zu haben.“

„Läuft man Gefahr beim Ankaufe dieses Papiers?“

„Wenn Kolbert eines natürlichen oder ohne sein Verschulden bewirkten Todes stirbt – nein! Man hat uns diesen Morgen das Papier angeboten, und wir würden es genommen haben, wenn dem Verkäufer die Summe genügt hätte, die wir nach der Vorschrift zu zahlen ermächtigt sind.“

Die letzten Bedenken des Banquiers waren beseitigt; er kehrte in sein Comptoir zurück, und schloß das Geschäft ab.

„Sehen wir uns wieder?“ fragte er den Fremden beim Abschiede.

„Habe ich Ihnen in drei bis vier Tagen einen Besuch nicht abgestattet, so werde ich auf das Vergnügen verzichten müssen, Sie noch einmal zu sehen. Von Herrn Gotter in Berlin erhalten Sie Nachricht über den Ausgang der Krankheit unsers Versicherten.“

Um vier Uhr ging Soltau zu Tische. Henriette, die längst zurückgekehrt war, empfing ihn mit der Zärtlichkeit und Unbefangenheit, die er an ihr gewohnt war. Die beiden Gatten speisten allein. Der Banquier erzählte der jungen Frau von dem an der Börse abgeschlossenen Geschäfte.

„Ich höre heute von Dir zum zweiten Male den Namen Kolbert,“ sagte Henriette; „ist der, dessen Police Du gekauft hast, derselbe, der dem jungen Mädchen die Rente angewiesen?“

„Ohne allen Zweifel. Ich habe mehr als einen Grund dafür.“ Der Banquier legte seine Gründe dar, und schloß mit der Bemerkung:

„Kolbert liegt sehr krank, wie mir der Fremde sagte; wünsche ich nun auch seinen Tod nicht, so kann mir doch Niemand den Wunsch verargen, sobald als möglich Gewißheit in der Sache zu erhalten. Morgen reise ich nach Berlin. Ich will den Kranken sehen und sprechen. Du erschrickst, mein Kind?“

„Franz, ich kann den Gedanken nicht fassen, daß Du auf ein Menschenleben spekulirst!“ flüsterte erbleichend die junge Frau. Der Kranke ist jedenfalls ein Mann von Stande, da er über so bedeutende Summen verfügt – welchen Eindruck wird der Besuch des Banquiers auf ihn ausüben, der seine Lebenspolice gekauft hat! Du hast den Handel einmal abgeschlossen, warte nun ruhig den Verlauf der Dinge ab.“

„Man wird einen schicklichen Vorwand zu diesem Besuche zu finden wissen, antwortete der Banquier. Hätte ich mit meinem eigenen Gelde spekulirt, ich würde Deinen Rath befolgen.“

„Wessen Geld hast Du angelegt?“ fragte die überraschte Henriette.

„Das Geld Sophie Saller’s!“

Franz bemerkte die Veränderung nicht, die in den Zügen seiner Gattin vorging. Ein unbefangener Beobachter würde der Ansicht gewesen sein, Henriette empfände eine innige Freude über diese Mittheilung; aber eine Freude, die sie ihrem Gatten zu verbergen suchte.

„Ja diesem Falle würde das junge Mädchen auch den Gewinn erhalten; nicht wahr, mein Freund?“ fragte sie.

„Nachdem ich Disconto und Spesen abgezogen – allerdings!“ rief Franz. „Sophie ist mir völlig unbekannt; aber man hat mir ihr Vermögen auf eine Weise anvertraut, die, wenn sie auch ein wenig räthselhaft ist, meinem Stolze als Geschäftsmann im höchsten Grade schmeicheln muß. Ich unternehme nur Schritte zur Sicherheit meiner Mündel, und dafür kann und muß ich das junge Mädchen halten.“

„Brav, Franz, das habe ich von Dir erwartet!“ sagte die reizende Henriette, indem sie dem Gatten die Hand reichte. „Du bist Banquier, aber ein Banquier, der für mehr, als für Zahlen Sinn und Gefühl hat. Du beschuldigtest mich diesen Morgen der Eifersucht – fast möchte ich in Deiner Fürsorge für das junge, schöne Mädchen einen Grund dazu erblicken, um so mehr, da ich Dich täglich inniger lieben muß.“

Soltau drückte die Gattin an seine Brust.

„Henriette,“ sagte er scherzend, „Deine Eifersucht könnte mich von dem guten Werke abhalten, das zu verrichten ich mir vorgenommen habe! Ich müßte wahrlich einen zu hohen Preis für das Bewußtsein zahlen, der gewissenhafte Vormund eines jungen Mädchens gewesen zu sein.“

„Nein, Franz, mein Vertrauen zu Dir steht so fest, daß das häßliche Gefühl, von dem wir sprechen, nicht aufkommen kann. Ich würde mich als Deine Gattin selbst herabsetzen, wollte ich dem Gedanken an Deine Untreue Raum geben!“

„Brav, Henriette! rufe auch ich Dir zu. So will ich mein Weib, so soll sie denken und reden! Und dasselbe Vertrauen hege ich zu Dir. Du bist mein Stolz, mein Glück, meine Ehre! Strebe ich nach einer bedeutenden Stellung im Leben, wünsche ich, daß meine junge Firma den ersten unsers Platzes zur Seite gestellt werde, so geschieht es, weil ich Dich geehrt und geachtet wissen will. Es ist nun einmal so in der Welt; der Mammon bestimmt die Stellung, er schafft Achtung, Vertrauen und Ehre!“

Eine innige Umarmung folgte dieser Herzensergießung.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.
Nr. 4. Die Inseln Sylt, Amrum und die Halligen.

Die Inseln der Nordsee, Föhr, Sylt, Amrum u. s. w., welche, wie alte Ueberlieferungen und Sagen berichten, früher zusammenhingen, und gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts durch heftige Stürme auseinander gerissen wurden, werden dennoch zuweilen sowohl untereinander, wie mit dem festen Lande wieder vereinigt, und zwar wenn in strengen Wintern das Eis seine krystallenen Brücken schlägt. So sind unter Anderm in diesem Jahre Fußgänger von der Insel Pellworm, und Schlitten und Wagen von der Insel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_180.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)