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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

ich bitte diesen Ausdruck wörtlich zu nehmen – läßt sich unmöglich ermitteln: wenn auch von unsern Gerichten Jahr aus Jahr ein die schwere Menge Geistergeschichten verhandelt werden, wie selten anderswo im großen deutschen Vaterlande, so ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß der kleinste Theil dieser Geschichten das Licht der Oeffentlichkeit erblickt.

Wir reden hier vom finstersten Theil der Nachtseite jener Geschichten, von der handgreiflichsten Gewinnsucht vermittelst des unbegreiflichsten Geisterglaubens und von dem schändlichsten Mißbrauch, der mit diesem Glauben getrieben wird. Lassen Sie mich einige Geschichten aus der neuesten Zeit erzählen.

Ende Februar stand vor dem Schwurgericht in Ellwangen Balthasar Huber von Steinheim, O.-A. Heidenheim. Der Angeklagte, 53 Jahre alt, Schäfer und Viktualienhändler, erscheint in abgetragener blauer Blouse. Er saß bereits schon längere Zeit in Gefängnißhaft, wofür auch sein blasses Gesicht Zeugniß giebt. Seine scheinbar ausdruckslose Physiognomie geht während seiner eignen, mit Lebhaftigkeit geführten Vertheidigung in Schlauheit und Verschmitztheit über. Das mehrfach ausgestellte Prädikat eines redseligen Schwätzers hat er sich auch während der Verhandlung erworben, und mußte er vom Präsidenten darauf aufmerksam gemacht werden, bei der in Frage stehenden Sache zu bleiben. Nach der Anklageakte hat Huber wegen Landstreicherei, unerlaubten Einsetzens in das baierische Lotto, oftmaliger Uebertretung der Confinationsgrenze und betrügerischer Handlungen nicht weniger als 28 Vorstrafen zum Theile bis zu halbjähriger und achtmonatlicher Arbeitshausstrafe nebst zweimaliger Applikation von Stockstreichen (in Baiern) bestanden. Er trieb sich die letzten vierzehn Jahre, trotz mehrfacher Ausweisung aus Baiern und speciell aus München, dennoch zum Theil in Augsburg und München und namentlich in Roggden und der Umgegend herum. Er ist nach der Anklageakte eines durch zwölf Jahre (1841 bis 1853) fortgesetzten gewerbsmäßigen Betrugs durch Vorspiegelung zu hebender Schätze, der Fälschung von Lotterieloosen und selbst der Teufels- und Geisterbeschwörerei angeklagt und hat von Personen verschiedenen Standes und Berufs theils in München und Augsburg, theils namentlich von vielen Söldnern in Roggden u. s. w. in diesen zwölf Jahren nicht weniger als 4386 Gulden baares Geld herauszulocken gewußt, im Ganzen aber in dieser Zeit die Summe von gegen 8000 Gulden durch fortgesetzten Betrug sich zu eigen gemacht. Bei nicht weniger als 31 Personen, von welchen sechzehn als Zeugen persönlich erschienen, hat er seine betrügerischen Zwecke erreicht, und die meisten an den Bettelstab gebracht. Er fing damit an, sie durch die Loosnummern irre zu machen, welche sein Zauberspiegel als sicher gewinnende reflektirte, oder welche von geistlichen Herren durch Einfluß von Geistern als unfehlbar bezeichnet wurden.

Der Zufall wollte, daß einzelne wirklich gewannen, von den übrigen gab er, den leicht zu täuschenden Menschen gegenüber, deren Physiognomien auf den Zeugenbänken das Gepräge der Geistesbeschränktheit an der Stirn tragen, die hohen den Loosen zugefallenen Summen fälschlich an. Nachdem der Köder einmal gewirkt und der Reiz nach leichtem Gewinn rege gemacht war, hatte er bei seinen Klienten, denen er sich geistig weit überlegen fühlte, leichtes Spiel. Brauchte es doch nur, die warm und flüssig gewordene Phantasie durch Vorspiegelung eines durch relativ unbedeutende Geldmittel zu erreichenden ungeheuern Schatzes zur Siedhitze zu bringen. Dazu mußte ein angeblich im Kloster zu Elchingen und im Kloster Herrgottsruhe bei Friedberg im Schooße der Erde verborgener Schatz die verlockende Perspektive bilden. Die Fabel ist folgende: In den verschütteten Kellern beider Klöster liegen sieben oder, wie er gegen andere Zeugen versicherte, 35 Millionen in dreieckigen, gutlöthigen Silberstücken von altem Gepräge. Bereits ist von dem, im Hintergrund spielenden Comitee dafür gesorgt, die Einwechslung in gangbarer Münze zu bewerkstelligen. Nackte dienstbare Geister, sieben an der Zahl, von sonst menschlicher Gestalt, mit einem „simrigroßen“ Todtenkopfe, welche, bei einer angeblichen Erscheinung in einem Saale in Augsburg, einen solch penetranten Modergeruch zurückgelassen, daß eine große Schnupftabaksdose als Palliativ aufgestellt ist, reden mit der aus „geistlichen Herren“ bestehenden Versammlung in lateinischer, mit dem Angeklagten in deutscher Sprache. „Arme Seelen,“ die ihre im Leben abgelegten Gelübde, wegen jähen Todes nicht zu lösen vermochten, bewachen als Sträflinge des Himmels den Schatz. Es spielen in diesem phantastisch-zauberhaften Schau-, Possen- oder Trauerspiel Ritter mit Helm und Panzer, zwölf- und sechzehnjährige Kinder, und neben den dienstpflichtigen Geistern der leibhaftige Teufel selbst.

Das Geheimniß von dem vorhandenen großen Schatze wurde zuerst dreizehn geistlichen Herren offenbart, nach einer andern, vom Angeklagten erst später vorgebrachten Version aber nur drei Herren, welche in seiner Vertheidigung eine Hauptrolle und an ihm selbst – wie er sagt – den Betrug spielten, nämlich einem, von ihm stets im Munde geführten, abgesetzten geistlichen Herrn Waigl (eine für einen Dritten verfertigte Bittschrift hatte seine angebliche Absetzung zur Folge!), einem Bierwirth aus Augsburg und einem Schullehrer, welch’ letztere zwei aber bereits gestorben sind. Auf die Frage, wo Waigl sich aufhalte, eskamotirte er diesen nach – Amerika!

Diese Geistlichen, oder wie er zu Andern später sagte, diese drei Agnaten bilden einen eigenen Verein in „dieser Sache“, welches Ausdrucks sich Huber zur Bezeichnung des Geschäfts der Erhebung und Theilung des Schatzes in ewiger stereotyper Wiederholung bedient. In untergeordneter Stellung unter diesen Verein oder dessen Agnaten tritt nun Huber auf Geheiß der Geister, bei deren Erscheinung und pestartigem Geruch ihm „fast der Athem vergangen“, als Sendbote des klingenden Evangeliums auf. Die Geister ermahnen ihn, standhaft und fest in „dieser Sache“ zu verharren, und seine Aufträge an die Prädestinirten, d. h. die Armen und Nothleidenden auszuführen. Die Geister bedienen sich des homöopathischen Systems; die „armen Seelen,“ nämlich, die als Wächter über den silbernen Schätzen schweben, sollen wieder nur durch Arme, Bedrängte erlöst werden, aber nur durch solche, die guten, reinen Herzens und unbescholtenen Wandels sind. An diese nun soll in „Theilen“, nach vorhergegangener, durch Seelenmessen begutachteter strenger Prüfung der religiösen Gesinnung und der Herzensreinheit, der Schatz der vielen Millionen repartirt werden. Ein kleiner Gegendienst wurde freilich verlangt, denn die Erlösung kann ohne Vermittlung der Lebendigen nicht geschehen. Dazu ist – die Geister sitzen ja selbst über silbernen Barren – kein Geld nöthig, sondern die geistlichen Dinge des Gebets und der kirchlichen Funktionen: Seelenmessen, Wallfahrten, Rosenkranzbeten und Opfer. Ja, an Huber selbst ergeht im bewußten Saale zu Augsburg die Aufforderung, eine Wallfahrt nach Rom zum heiligen Vater, zum erlösenden Zwecke der Geister zu unternehmen, die er aber im „protestantischen Bewußtsein“ verweigert. Dagegen giebt er sich gerne dazu her, und trägt auch als „Evangelischer“ kein Bedenken, als Unteragnat die von den dienstbaren Geistern erkornen „Armen und Nothleidenden“ aufzusuchen und sie durch den unwiderstehlichen Reiz der silbernen Millionen anfänglich zu geringen Beiträgen für Seelenmessen, Wallfahrten und später zu immer größeren Einlagen zu verleiten. Ein vor den Schranken erschienener Zimmermann von vierzig Jahren aus Roggden hat sein ganzes Vermögen, 1300 Gulden, dem Betrüger zum Opfer gebracht, und ist jetzt völlig verarmt. Ein anderer Betrogener gab wiederholte Beiträge von einigen hundert Gulden, weil er nach der Versicherung der durch Huber redenden Geister „Oeconomie-Verwalter mit dem Schlüssel zur Thüre der verborgenen Schätze“ werden sollte! Ebenso wußte er in München und Augsburg Personen verschiedenen bürgerlichen Standes, Frauen, die zum Theil im seidenen Hut und Mantel vor dem Schwurgerichtshof erschienen, durch stets gleichlautende betrügerische Machinationen zu immer bedeutenderen Einlagen zu echauffiren. Erhielt doch ein Gulden 1000 Gulden, ja 3000 Gulden, und stiegen doch bei größern Geldspenden die Prämien in fabelhaften Progressionen bis zu Hunderttausenden. Und dennoch ist es kaum glaublich, daß sämmtliche Betrogene, worunter einzelne aus bessern Ständen, schon bei der in Baiern gepflogenen Untersuchung lieber den Schaden trugen, als sich durch einen solchen Betrüger, dem sie ihr Vertrauen zwölf Jahre lang blindlings schenkten, kompromittiren zu lassen.

Oder wurden sie stutzig und dauerte ihnen die Sache ohne den gewünschten und erwarteten Erfolg zu lange, so wußte Huber dieselbe theils durch untergeschobene Briefe von dem Direktor Erhard von Herrgottsruh (welcher dem Betruge auch ein Ende machen sollte), theils durch Darreichung einiger Kronenthaler in der Schwebe zu erhalten. Andere führte er vor die Pfarrhöfe und selbst vor das Kapuzinerkloster in Augsburg, ließ sie vor der Thüre warten, oder in der Klosterkirche den Rosenkranz beten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_186.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)