Seite:Die Gartenlaube (1856) 196.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

wissen, ob Sie je wieder unser Comptoir betraten? Ich faßte Muth, warf die Feder fort und eilte Ihnen nach.“

„Und was wird Ihr Chef sagen, wenn Sie zurückkehren?“

Bei dieser Frage war Sophie stehen geblieben und sah ihren Begleiter forschend an; aber sie lächelte mit einer Anmuth, die den armen Commis fast um die Besinnung brachte. Ihm schien Sophie kein irdisches Wesen mehr zu sein.

„Mein liebes Fräulein,“ rief er hingerissen, „Ihnen kann ich keine Unwahrheit aussprechen, ich würde es für eine Sünde gegen Gott halten, der mir erlaubt hat, Sie kennen zu lernen und zu verehren! Herr Soltau wird mich fragen, ob ich erforscht habe, wo Sie wohnen.“

„Demnach verließen Sie in seinem Aufträge das Comptoir?“

„Aber mehr noch von meinem eigenen Drange getrieben. Hätte er mir glücklicherweise nicht den Auftrag gegeben, ich würde meine Stellung auf das Spiel gesetzt haben, um mit Ihnen sprechen zu können.“

„Was werden Sie Ihrem Herrn antworten?“

„Ich erwarte, daß Sie mir die Antwort sagen.“

Sophie senkte die Augen, und setzte den Weg fort; sie schien zu überlegen, was sie sagen sollte. Lambert folgte mit klopfendem Herzen, denn es regte sich ein Gefühl in ihm, das der Eifersucht auf den reichen Banquier nicht unähnlich war. Er hatte sich bereits in tausend Vermuthungen über die Absicht seines Chefs erschöpft.

„Mein Herr,“ begann Sophie nach einer Minute, „Sie haben den Wunsch ausgesprochen, mich von Zeit zu Zeit zu sehen – dieser Wunsch kann nur in Erfüllung gehen, wenn Herr Soltau nie erfährt, daß wir uns heute gesprochen haben und daß meine Wohnung sich in der Vorstadt Sanct Georg befindet. Zugleich hoffe ich, Sie werden mich nie um die Gründe fragen, die mich veranlassen, dem Banquier unbekannt zu bleiben. Daß er mir vierteljährlich eine Rente auszahlt, verpflichtet mich ihm nicht zur Dankbarkeit – es ist dies ein Geschäft, wie jedes andere, das in den Bankhäusern vollzogen wird. Ich weiß, was ich von Ihnen fordere, indem ich Sie veranlasse, Ihren Herrn zu hintergehen; aber es ist dies eine Maßregel, die ich seinen Nachforschungen gegenüber zu ergreifen gezwungen bin, eine Maßregel, die ihm weder Nachtheil bringt, noch einen Vortheil entzieht. Aber erlaubt es Ihre Stellung nicht, das verlangte Schweigen zu bewahren, so trennen wir uns jetzt, um uns nie wiederzusehen.“

„Nein, nein!“ rief Ludwig. „Mich hält Nichts ab, Ihr Geheimniß wie ein Heiligthum zu bewahren. Auch Herr Soltau hat seine Geschäftsgeheimnisse vor uns – warum sollte ich nicht ein Herzensgeheimniß vor ihm haben? Geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen nützlich zu sein, und Sie werden meinen Eifer kennen lernen. Ich schwöre Ihnen, daß ich verschwiegen sein will, wie das Grab.“

„Gut, mein Herr, ich nehme Ihren Schwur an!“

Sie reichte ihm ihre kleine Hand. Lambert ergriff sie und drückte sie mit Inbrunst an seine Lippen.

„Wann und wo sehe ich Sie wieder?“

„Nennen Sie mir Ihre Adresse, und Sie werden einen Brief durch die Stadtpost erhalten.“

Der Commis sann einen Augenblick nach.

„Ich wohne in dem Hause meines Prinzipals,“ murmelte er; „dorthin darf der Brief nicht kommen – aber mein Onkel kann ihn annehmen: ihm darf ich sagen, daß ich das größte Glück meines Lebens darin finde, mir die Gunst Fräulein Sophie’s zu erwerben!“

Lambert holte sein Taschenbuch hervor, schrieb einige Worte auf ein Blatt, riß das Blatt aus dem Buche, und überreichte es dem jungen Mädchen.

Sophie las:

„Ludwig Lambert, per Adresse Pastor Lambert, Polstraße 11. 3. Etage.“

„Der Pastor ist der Bruder meines verstorbenen Vaters,“ fügte Ludwig ergänzend hinzu. „Er liebt mich wie seinen eigenen Sohn, und wird den innigsten Antheil an meinem Glücke nehmen.“

„Halten Sie es denn wirklich für ein Glück, mich näher kennen zu lernen?“ fragte Sophie, verschämt lächelnd. „Wenn Sie sich nun in Ihren Erwartungen getäuscht fänden?“

„Ein Engel kann nur Glück bringen, und Sie sind für mich ein Engel in menschlicher Gestalt!“ rief Ludwig wie begeistert.

Einige vorübergehende Personen unterbrachen den Herzenserguß des liebeberauschten Commis! Indem sie sich den Anschein müßiger Spaziergänger gaben, traten sie den Rückweg an. Die Uhr in der Kirche des heiligen Georg schlug eins.

„Jetzt erlauben Sie mir, daß ich mich entferne!“ flüsterte Sophie. „Leben Sie wohl, und erwarten Sie meinen Brief!“ fügte sie tief erröthend hinzu.

„Und werde ich lange warten müssen?“

„Ich glaube, daß es mir möglich sein wird, Ihnen bis übermorgen zu schreiben. Die Bitte um Verschwiegenheit spreche ich nicht noch einmal aus, sie müßte Sie beleidigen. Leben Sie wohl, Herr Ludwig!“

„Auf Wiedersehen, Fräulein Sophie!“

Sie reichten sich einander die Hand. Dann schlüpfte Sophie in eine Seitenstraße und verschwand. Lambert sah ihr entzückt einige Augenblicke nach, dann trat er den Rückweg zur Stadt an. Gern hätte er gesehen, welches Haus seine Geliebte öffnete; aber er wollte nicht neugierig erscheinen, und ging langsam weiter. Diesen Ausgang seines Abenteuers hatte er nicht erwartet. Alle Qualen des Herzens, die er seit einem Vierteljahre erduldet, waren verschwunden, er durfte sich jetzt der süßesten Hoffnung hingeben. Sophie hatte ihm eben so viel Ehrfurcht als Liebe eingeflößt, sie war für ihn das schönste, vollkommenste Weib, das er je gesehen. Mit ganzer Seele überließ er sich dem Entzücken der ersten, der reinsten Liebe. Ludwig stand noch in dem glücklichen Alter, in dem man Genuß an der Melancholie und Seligkeit in dem Traume von entfernten Hoffnungen findet; er war noch jung genug, um in einer Frau mehr als die Frau zu erblicken. Die Stimme Sophie’s, ein Blick von ihr reichten hin, um ihn in einem Meere von Seligkeit schwelgen zu lassen.

Jetzt kam er an dem Eckhause vorbei, das die Geliebte hatte betreten wollen. Die Fenster des Erdgeschosses waren mit Läden verschlossen – in dem Augenblicke, als er zu dem obern Stockwerke emporsah, rollte ein weißes Rouleau auf, und Sophie, noch im Mantel und Hut, erschien hinter den glänzenden Fensterscheiben. Lächelnd nickte sie einen Gruß herab, dann aber legte sie schnell den Finger an die Lippen. Ludwig grüßte kaum merklich, und ging rasch weiter. Dieser neue Beweis von der Gunst des reizendes Mädchens machte ihm den Kopf wirr. Drückte ihre Pantomime nicht aus: du kennst jetzt meine Wohnung, aber schweige?

„Schweigen werde ich,“ flüsterte er wie berauscht vor sich hin, „und wenn es mich meine Stelle in dem Hause des Banquiers kostet. Jetzt habe ich ein Recht, die Geliebte vor unwürdigen Nachstellungen zu schützen!“

(Fortsetzung folgt.)




Die thüringer Edeltanne.
„Thüringen, du holdes Land,
Wie ist mein Herz dir zugewandt!“

Das alte Lied, dessen Refrain diese Verse sind, tönt Einem in Thüringen überall entgegen. Es ist gleichsam Nationalhymne der Thüringer geworden. In ihm hat Ludwig Storch die Reize seines Vaterlandes besungen und zugleich ein schönes Zeugniß seiner Liebe zu ihm abgelegt. Storch ist vorzugsweise der Dichter Thüringens; mit hoher und reiner Begeisterung hat er das schöne Thüringerland in Lied und Novelle und lebendigen Schilderungen verherrlicht, aber im Gebirge, wie im flachen Lande kennt und liebt ihn auch alles Volk, vorzüglich der „gemeine Mann“, der da weiß, daß Storch sein treuester Freund ist. Das zeigte sich so recht deutlich in den vormärzlichen Tagen, wenn er auf einem der thüringer Sängerfeste erschien, der, wie eine Edeltanne, hoch und schlank gewachsene schöne Mann, dem Alles entgegenjubelte, sobald er die Rednerbühne bestieg. In den höchsten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_196.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2021)