Seite:Die Gartenlaube (1856) 199.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Vier Jahre lang nehmen die Truppenmärsche durch das Ruhlathal und ergreifende Kriegsscenen die Aufmerksamkeit des talentvollen Knaben fast ganz in Anspruch. Sehr rührend ist sein freiwilliger Dienst als Krankenpfleger in einem französischen Hospital. Da kocht er Suppen und labt die Leidenden.

Die Schule des Orts ist schlecht und Storch erhält den ersten besten Unterricht in der Privatschule eines Candidaten der Theologie, eines rohen und gemeinen Menschen, der im Hause wohnt. Durch den ältesten Sohn Schiller’s, der in einem in Ruhla vom Förster auf der eisenacher Seite errichteten zahlreich besuchten Forstinstitute die Forstwissenschaften studirt, lernt Storch zuerst Schiller’s Gedichte kennen. Die Wirkung ist hochberauschend. Mit den ersten Flügelschlägen der Poesie in seiner Seele zieht auch die Liebe in dieses heiße Knabenherz. Er ist kaum zwölf Jahre alt, als er ein Mädchen seines Alters (Gretchen, das er im „Vörwerts-Häns“ verherrlicht hat) mit einer Glut liebt, deren nur eine Dichterseele fähig sein kann.

Durch Zeitumstände und lüderliche Wirthschaft versank die Familie indeß mehr und mehr in Armuth. Die Mutter trieb Viehzucht, braute und schenkte Bier und hielt einen Kramladen mit Materialwaaren und Viktualien und Schnapsschank. Der elf bis zwölfjährige Knabe mußte den Gehülfen bei den Gürtlerarbeiten machen, die sein Stiefvater als Beschläger der Pfeifenköpfe betrieb, und erlangte darin eine solche Fertigkeit, daß er sie noch heute anzuwenden versteht und daraus seine Vorliebe für Mechanik erklärlich wird; er mußte ferner den Viehknecht machen und den Kühen und Schweinen ihr Futter beifahren, was er meist baarfuß verrichtete; daraus erklärt sich seine Liebe zur Landwirthschaft, respective zur Viehzucht. Er hatte ferner den Dienst eines Kellners und Bierschenken, aber auch den weit beschwerlichern eines Marketenders. Wir sehen nämlich den schlanken Knaben mit den blonden Locken und den schwärmerisch leuchtenden blauen Augen an den Sonntagmorgen früh vor vier Uhr mit einer an einem Trageband ihm über die Schultern, vor seinem Unterleibe hängenden Korbwanne voll Schnapsflaschen und Semmeln mit der neuerrichteten Landsturmkompagnie der gothischen Ruhl auf eine große Wiesenfläche hoch im Gebirge ausziehen, wo das Exercitium stattfindet, und der künftige Dichter seine Schnäpse an die Mannschaft ausschenkt. Das Vaterhaus wurde ihm zur Hölle.

Führen wir seine eignen Worte an, um die Theilnahme des Lesern für ihn zu gewinnen. „Man wird sich schwerlich eine rechte Vorstellung von der wüsten, scheußlichen Ehe meiner Mutter machen können. Mißgriffe und Irrungen fort und fort von beiden Seiten. Arbeitsunlust, Vorwürfe, tägliche Zänkereien und Schlägereien, die den tiefsten Grad von Gemeinheit erreichten, widerwärtige Scenen, die mein junges zuckendes Herz zur Verzweiflung brachten und mir jetzt noch das Blut vor Scham und Unwillen in die Wangen treiben. Mein von launenhafter Strenge, Angst und Schrecken schon schwer niedergedrücktes Gemüth wurde zermartert und zerrissen von den Furien, die mein elterliches Haus täglich durchrasten. Meine beschmutzte Kinderseele kehrte sich mit zitternder Empörung und wachsendem Abscheu von den dämonischen Gestalten, die, gepeitscht von Haß und Wuth, mich dort täglich und stündlich umgrinsten und umtobten. Weinend floh ich in die schönen einsamen Wälder, die mir von den Bergen herab die Arme mitleidig entgegenstreckten. Dort saß ich an einem Felshange und starrte sehnsüchtig in die weite blaue Ferne, ein um sein schönes Jugendglück betrogenes Kind, oft hungernd und frierend, schluchzend vor unsäglichem Schmerz, und doch bald wieder mit aufflammender Seele, dort saß ich, der arme Knabe, der Nachkomme der steinreichen Kühn, der vornehmen Götter, der gelehrten Storch, von höllischen Geistern aus dem Vaterhause vertrieben, und – schrieb meine ersten Lieder, zu welchen es mich unwiderstehlich drängte, auf ein vergilbtes Blatt Papier. Dort zuerst brauste Schiller’s großer Genius wie ein Sturmwind durch die offnen Thore meiner Seele, dort suchten mich die neckischen Berggeister, die Sagen und Märchen, auf, dort tauchten die ehernen Gestalten der Geschichte in mir auf und zogen majestätisch vor meinem brennenden Geistesauge vorüber. Damals habe ich so manches stille – schwärmerische Lied geschrieben. Selig träumend ging ich dann weiter, um Gretchen aufzusuchen und ihr in das süße, blaue Auge zu sehen. So hat mich früh der Hort der Poesie vor dem Schmutz der Erde geschützt.“

Der Knabe hatte gewünscht, Theologie zu studiren, da er gegen die Jurisprudenz durch unverständige Reden eingenommen worden war, aber er wurde von seinen Eltern bestimmt, Kaufmann zu werden. So kam er im Spätherbst 1816 nach Erfurt in eine Engros-Material- und Landesproduktenwaaren-Handlung. Neue Drangsale warteten seiner. Von einem unbedeutenden Menschen gemißhandelt, dem Hunger preisgegeben, war er nahe daran, lüderlich zu werden. Die Poesie rettete ihn. Er schrieb ein Drama und Gedichte, die der prosaische Herr Prinzipal entdeckte und dafür den poetischen Lehrling züchtigte. Er mußte die schwersten Tagelöhnerarbeiten thun und den Pferdeknecht machen.

Aus dieser Periode hat Storch’s Buch wieder sehr interessante Genrebilder. Auch die nächste Veranlassung, daß er im Spätherbst 1817 aus dem Geschäft entlassen wird, ist poetisch originell, wir können sie aber nicht mittheilen. Einige Monate später tritt er in ein Material-Detail-Geschäft in Erfurt als Lehrling ein, brennt jeden Morgen um 4 Uhr einen Centner Kaffee in einer großen Trommel und destillirt den Tag über in einer großen kupfernen Blase alle möglichen Schnäpse und Liqueure, cujonirt von einer impertinenten Ladenmamsell, und albern behandelt von einem sehr dummen Menschen, der jetzt sein Prinzipal war. Die Schilderung seines Lebens in diesem Hause ist sehr humoristisch. Ein entsetzlicher Sturz in den Keller, der das Leben des Lehrlings in die größte Gefahr brachte, machte auch diesem Aufenthalt nach einem Vierteljahre ein Ende.

Jetzt wußte der an bittern Lebenserfahrungen schon so reiche Jüngling es durchzusetzen, daß er zu Michaelis 1818 das Gymnasium zu Gotha beziehen durfte. Der Direktor desselben, Kirchenrath Döring, wollte ihn nicht annehmen, weil er, groß wie ein Mann, aller Vorkenntnisse ermangelte. Seine Fortschritte waren indeß erstaunenswerth. Und dabei litt er den bittersten Mangel an den nothwendigsten Bedürfnissen. Seine Eltern waren gänzlich verarmt, und das geringe väterliche Erbe Storch’s in ihrer Benutzung. Da gab er Unterricht, arbeitete als Gehülfe in der Hennings’schen Buchhandlung, trieb einen kleinen Buchhandel mit Schulbüchern und arbeitete für Schüler und andere Leute. Und doch mußte er zuweilen lange darben. Eine verhüllte Hand ließ ihm sehr zweckmäßige Unterstützung zufließen. Ein Zufall entdeckte sie ihm; es war ein junges hübsches Mädchen in seiner Nachbarschaft, die Tochter eines wohlhabenden Schuhfabrikanten. Aus dem Gefühl der Dankbarkeit erwuchs, wie so oft, die Liebe. Zu Michaelis 1822 verließ Storch das gothaische Gymnasium und wurde Schüler des Gymnasiums zu Nordhausen, dessen Director Krafft ihm viele Vortheile gewährte, und ein Jahr später bezog er die Universität Göttingen, um Humaniora zu studiren. Dort erschien auch unter dem Titel: „Knospen und Blüthen,“ die zweite Auflage seiner in Nordhausen bereits veröffentlichten Gedichte, die indeß von dem Dichter als Jugendarbeit später nicht brachtet wurden.

Aber schon zu Anfang des Jahres 1825 sehen wir ihn sich um eine kleine Anstellung in Gotha bewerben, die ihm der Staatsminister Lindenau, dem er sich empfohlen, zugesagt, und seine Verlobte heirathen. In diesem Jahre schrieb er seine erste Novelle, die Intrigue, die später in zweiter Auflage erschien, und ihm viele Freunde erwarb. Er erhielt die Anstellung nicht, der Minister zieht seine kleine Unterstützung zurück; der junge Dichter ist Gatte und Vater zweier Knaben ohne namhaftes Vermögen, ohne Broterwerb. Alles zieht sich von ihm zurück, er wird überall abgewiesen, nur einige anrüchige Subjecte suchen seinen Umgang aus schmutziger Absicht. Die Schilderung dieser Zeit ist im Buche herzergreifend, die Portraitirung der Persönlichkeiten von den beiden Gymnasien und der Universität vortrefflich. Wir begegnen da z. B. Heinrich Stieglitz, der in Gotha Storch’s Mitschüler und Umgangsfreund ist, freilich der verwöhnte und verzärtelte Neffe des Baron Stieglitz, des russischen Rothschild.

Die Kraft eines ursprünglichen Geistes bewahrt sich auch hier wieder. Der unglückliche Storch rafft sich auf. Wie er 1821 nur durch einen Zufall abgehalten wurde, als Philhellene nach Griechenland zu gehen, so halten ihn jetzt die Bitten seiner Mutter zurück, mit seiner jungen Frau zum Theater zu gehen, wozu Beide entschiedenes Talent haben. Er geht zu Ostern 1826 nach Leipzig, um seine Studien zu vollenden. Frau und Kinder bleiben in Gotha. Auf originelle Weise lernt er den Buchhändler Barth kennen, und dieser führt ihn in die Schriftstellerlaufbahn ein. Während er noch einige Collegia hört, werden schon Novellen und Romane von ihm gedruckt

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_199.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)