Seite:Die Gartenlaube (1856) 206.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Gitter umgeben ist, wodurch die Seite des Platzes zu einer Art Vorhof gebildet wird, wo sich die Haufen spielender Frauen aufhalten, denen ihres Geschlechtes wegen der Eintritt in den Raum, wo die Geschäfte gemacht werden, untersagt ist, die durch ab- und zugehende Börsenmakler (Courtiers) mit dem Geldmarkt in Verbindung gesetzt, ihre Geschäfte besorgen lassen. Werfen wir, bevor wir in das Innere des Heiligthums treten, einen Blick auf diese Schaar, die der zarteren Hälfte des Menschengeschlechtes angehört. Die Einleitung zu dem weitumfassenden Staatsspielhause kann unmöglich passender sein. Alles an diesen Weibern ist widrig, ihr Anzug ist schmutzig und vernachlässigt, die Gesichter, unschön und von der niedrigsten Leidenschaft, der Habsucht, entstellt. Nirgends eine Spur von Jugend, von Gefühl, von einer besseren Regung. Man möchte, Gott weiß, was darum geben, daß diese Geschöpfe nicht auch wie die anderen, die man bewundert oder verehrt, Frauen genannt würden. Sie sind den untern Volksklassen angehörig, gewesene Köchinnen, die gut einzukaufen verstanden, Wirthschafterinnen bei Junggesellen, die für sich gewirthschaftet oder Frauenzimmer, die ein noch viel schlimmeres Gewerbe getrieben[WS 1]. Nur hier und da sieht man auch eine elegante Frau, die in irgend einem abgelegenen Winkel verborgen lauert. Doch gehört diese Erscheinung zu den Seltenheiten; denn die Frauen in Paris, welche in höhern gesellschaftlichen Sphären sich bewegen, spielen wohl auch sehr häufig auf der Börse, allein sie vermeiden zum Mindesten die unsaubere Berührung mit diesen Kameradinnen und halten ihre Leiber, wenn schon nicht ihre Seelen, von dem unpoetischen entwürdigenden Schauplatz der Spekulation fern.

Nun steigen wir über fünfzehn Stufen einer Treppe, welche die ganze Breite der Vorderseite einnimmt, empor und gelangen an einen prachtvollen Portikus, von dem aus zwei Haupteingänge in die innere Halle führen. Wir treten in diese ein und sind überrascht von dem, was da zu hören und zu sehen ist, ob wir gleich schon zum dreißigsten oder gar fünfzigsten Mal das furchtbare Haus besuchen; wir können uns, das fühlen wir, an diese Scene unmöglich gewöhnen. Man denke sich Hunderte von Stimmen, die durcheinander brüllen und einander zu übertönen suchen, ohne daß ein Wort oder auch nur ein artikulirter Laut zu unterscheiden ist; dann Hunderte von Menschen, die umherrennen, jeden Augenblick erschüttert oder einer Erschütterung gewärtig, fortwährend gespannt und erwartungsvoll die Augen weit aufgerissen, schreiend und überschrieen, bald in Verzweiflung, bald in Siegesrausch, ohne Rücksicht für Anstand und Ziemlichkeit aller Würde, aller Gemessenheit entäußert, ohne andere Eingebung als der brutalen Leidenschaft, die losgebunden umherragt, man denke sich einen Sumpf voll Stürme und man hat eine leise Vorstellung von diesem Schauspiel.

Doch auch über dieses Chaos gibt es eine Herrschaft, auch dieser Wildheit läßt sich gebieten. Diese babylonische Verwirrung wird, wie einst die venetianische Republik von Dreien regiert. Gegen zwei Uhr sah ich einen hochgewachsenen Mann in der Halle erscheinen, seine Haare sind bereits grau und mit röthlichblonden untermischt, welche die ursprüngliche Farbe derselben anzeigen; an den Augenbrauen hat die Zeit noch nicht so arg gebleicht, als ob sie dächte: mit diesem dürftig vorhandenen Vorrath werde ich in einem Nu fertig. Unter diesem röthlichblonden Schatten zwinkern zwei verloschene in die Runde gezogene Augen von unbestimmter Farbe, die Einen so seltsam anblicken, ohne daß man in ihnen etwas gewahrt. Die Nase, von beträchtlichem Umfange, scheint im Herabfallen wie zufällig an dem Gesichte von hellem Teint hängen geblieben zu sein, und unter derselben zieht sich ein Mund mit wulstig aufgeworfenen Lippen fast durch die ganze Breite des Gesichtes. Der Kopf sitzt etwas tief in den Schultern; die Haltung des ganzen Körpers ist voller Zwang, unfrei. Der Gang nachlässig unsicher, es sind die Schritte sich selbst überlassen. Kaum war der Mann eingetreten, so wendeten sich alle Blicke nach ihm; die große wilde Bewegung gerieth auf einen Augenblick in’s Stocken. So mag der erste Eindruck gewesen sein, als Napoleon I. am 18. Brumaire in die Nationalversammlung trat; und doch wiederholt sich der Besuch des röthlich-grauen Mannes häufig. Herr Rothschild, Herr James Rothschild, der Baron Rothschild! hörte man von allen Seiten mehr oder weniger laut ausrufen. Die sich nähern Umgangs mit der Finanzhoheit erfreuen, umringten ihn rücksichtsvoll, die Anderen machten ehrerbietig Platz. Nun sprach der Börsenfürst mit seinen Vertrauten und jeder lauschte, ob ihm nicht ein Wörtchen aus seinem Munde zu hören vergönnt wäre. Einer frug den Andern, was er denn gesprochen, der Ueberlegene. Die Papierkäufer zitterten, bei dem Gedanken, daß er verkaufen, die Verkäufer, daß er kaufen, würde. Einige stellten sich in die Nähe des Barons und stierten ihn an, als wollten sie aus seinen Zügen herauslesen, ob er das Drücken oder Heben der Actien beabsichtige. Allein wie alle Gottheiten hüllt sich der Baron Rothschild in Geheimniß. Andere Spekulanten haben ihre bestimmten Agents de Changes und Courtiers (offiziell beglaubigte und unbeglaubigte Mäkler), Herr von Rothschild wechselt fortwährend die Instrumente seiner Operationen, so daß Niemand zu errathen vermag, was er ausführt und wohin er zielt; selbst vor den von ihm Beauftragten sucht er seine Absicht so gut es geht zu verbergen. Eines Tages ließ er zwei Courtiers, die Herren Paton und Dreyfuß, zu sich bestellen; sie kamen die Befehle entgegen zu nehmen. Der große Baron fragt sie, ob sie sich auf Bilder verstehen; die überraschten Mäkler erklären, daß ihnen schöne Bilder gefallen. Der Baron laßt ein prächtiges Oelgemälde in einem goldenen Rahmen herbeibringen und vor den Berufenen aufstellen. „Wie gefällt Ihnen dieses Werk, meine Herren?“ fragte er die Berufenen, die auf Alles eher, denn eine ästhetische Berathung gefaßt waren und die einander verwundert und verlegen anblicken. Sie loben, in der Voraussetzung, daß es der Mächtige so haben will. „Es werden dreißig tausend Franken dafür verlangt. Sie müssen mir helfen das Geld gewinnen, gehen Sie, und kaufen Sie ein Jeder achtzigtausend Franken Rente.“ Sie gestehen Beide, daß sie die Art und Weise der Auftragertheilung irre geführt, daß sie nicht wüßten, was sie von dem Allen denken sollten und daß sie einen so großen Auftrag nach dieser seltsamen Einleitung nicht erwartet hätten. An dergleichen diplomatischen Streichen ist das Geschäftsleben des Herrn James von Rothschild überaus reich.

Herr von Rothschild blieb, bis die Glocke das Ende der Börse ankündigte; dann verließ er mit einem Gefolge, das sich ihm freiwillig anschloß, das große Staatsspielhaus, Gruppen zurücklassend, die alle Möglichkeiten besprachen, welche den Baron hierher geführt haben konnten, obgleich dergleichen Besuche sehr häufig vorkommen. Sie unterhielten sich ferner von seinem Aussehen, von den Falten, die sich auf seinem Gesichte neu gebildet, sie zählten die Jahre seines Alters nach, zergliederten seinen Charakter und sein Wesen, sie schätzten sein Vermögen, wobei ihre Blicke von der unheimlichen Glut der Habsucht und des Neides erglänzten.

„Hundert Millionen Franken und mehr hat der eine Mann für sich allein im Vermögen,“ sagte ein alter Courtier in einer Art Begeisterung. „Mir schwindelt bei dem Gedanken, und doch geht und trägt sich der außerordentliche Mann wie andere Menschenkinder; er ist nicht stolz, er spricht mit Unsereinem, wie mit seines Gleichen und mit deutschem Accent. Das finde ich wunderschön, das finde ich erhaben.“

„Ich danke ihm nicht dafür, daß er mit Unsereinem spricht,“ sagte ein Jüngerer, mit vollem schwarzen Bart, „es ist auch keine gar so große Ehre; außerdem thut er es nur, weil es ihm Geld einträgt. Alles zielt auf Gewinn bei dem Manne, darum ist er auch so reich; er handelt, ich selbst habe die Erfahrung gemacht im sans Courtage, und wenn er einen Abzug machen kann, unterläßt er es gewiß nicht.“

„Die Laune eines großen Herrn,“ versetzte der alte Courtier; er konnte sich nun einmal nicht überreden, daß an dem Besitzer so großen Reichthums etwas zu tadeln sei. Bis vor einigen Jahren war Herr von Rothschild Alleinherrscher der pariser Börse; er glich dem alten Jupiter; wenn er die Locken seines Hauptes schüttelte, dann erbebte die Finanzwelt in ihren Grundfesten. Seither aber hat er in der französischen Kreditanstalt (Credit mobilier) eine mächtige Rivalin erhalten; ihr stehen die Brüder Emil und Isaak Pereire vor, gleichen Stammes wie Herr von Rothschild; während dieser blos der Erbe und Vermehrer des großen Reichthums ist, sind sie die Gründer des ihrigen. Die Gebrüder Pereire zeigen sich nie auf der Börse, sie sind dafür zu gebildet, zu anständig; sie haben ihre Agenten, welche auf dem Aktientummelplatz ihre Geschäfte oder vielmehr die Geschäfte der Anstalt ausführen. Sie sind Beide Anhänger des Simonismus, und als

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gegetrieben
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_206.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2020)