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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

ließ ich bis auf den Goetheplatz vorfahren, stieg hier aus und schickte den Wagen nach einem Gasthofe weiter.

Da stand ich denn vor dem langfrontigen, ziemlich vornehm aussehenden Hause, welches den großen Mann vom Jahre 1782 bis zu seinem Tode 1832 beherbergte! Freude und Wehmuth, Bilder seines Lebens und Gestalten seiner mannigfaltigen Werke erfüllten drängend meine Seele. Ich nahm es fast übel, daß die

Goethe’s Arbeitsstube.

ab und zu spazierenden Weimaraner kein Auge zu haben schienen für die denkwürdige Stelle, für die Tempelhalle eines so großen deutschen Dichterlebens.

Der Abend rückte indessen vor und ich beschloß, nach dem Gasthofe zu gehen und den nächsten Morgen (Freitag), an welchem das Goethe-Haus den Fremden geöffnet wird, ruhig abzuwarten.

Um aber wenigstens den anregendsten Weg zu gehen, nahm ich meine Richtung nach der Marienstraße zu und bog dann links nach der Ackerwand ein.

Hier kam ich an der Mauer von Goethe’s Hausgarten vorüber und konnte die Fenster des berühmt gewordenen Arbeitszimmers des Dichters sehen. Gern hätte ich auch einen Blick in den Garten selbst gethan, allein die Mauer ist ziemlich hoch und ich konnte trotzdem, daß ich auf einige Treppenstufen des gegenüber befindlichen

Goethe’s Wohnhaus.

Hauses stieg, nur wenig von der innern Beschaffenheit des Gartens sehen.

Ich ging also weiter und begnügte mich mit dem Andenken an einige Scenen, welche von Verehrern und Freunden des großen Mannes der Nachwelt überliefert worden sind. In diesem Hausgarten war es auch, wo unter Anderm der getreue Eckermann einst mit dem 75-jährigen Goethe einen Baschkirenbogen zu Schießübungen benutzte. „Goethe stand da, wie der Apoll, mit unverwüstlicher innerer Jugend“ – ich dachte an die Verse:

„Läßt mich das Alter im Stich?
Bin ich wieder ein Kind?“

Eckermann schoß zuletzt und zwar in den Fensterladen von Goethe’s Arbeitszimmer; der Pfeil saß so tief im weichen Holze, daß es nicht gelang, ihn wieder herauszubringen. „Lassen Sie ihn stecken,“ sagte Goethe, „er soll mir einige Tage als eine Erinnerung an unsere Späße dienen.“ Dann gingen Beide im Garten auf und ab, sprachen über den Bogen des Odysseus, über die Helden des Homer, dann über die griechischen Tragiker und endlich über die vielverbreitete Meinung, daß das griechische Theater durch Euripides in Verfall gerathen.

Ich war am nächsten Morgen, wie sich denken läßt, nicht der Letzte, welcher die Stunden von neun bis zwölf Uhr benutzte, um das Innere des Goethe-Hauses zu sehen.

Mit einiger Verwunderung vermißte ich über dem Thore des Hauses jede an den großen Dichter erinnernde Ueberschrift und ich gestehe, daß es mir wohlgethan hätte, wenigstens „Goethe-Haus“ oder „Hier wohnte Goethe“ zu lesen.

Besser gefiel mir schon die untere Flur des Hauses. Hier sprechen verschiedene an der Treppe stehende Abgüsse antiker Statuen, wer des Hauses Gebieter einst gewesen. Der gute Eindruck wächst, wenn man, die Treppe hinaufschreitend, von Gypsabgüssen und anderen Kunstgegenständen umgeben bleibt, und im ersten Stocke über einem hellen Treppenraume an der Decke eine gemalte Aurora von Goethe’s vielgenanntem Freunde, H. Meyer, erblickt.

Ich blieb hier nicht lange allein der stille Beschauer; bald stellten sich Fremde und Heimische einzeln und in Gruppen ein, die nach den sehenswerthen Zimmern drängten. Links vom Treppenraume gelangt man zu einem Saale, der die Mitte des Hauses ihrer ganzen Länge nach einnimmt. Salve! heißt es über dessen Eingänge, der gegenwärtig knapp zugemessenen und erschwertes Zugänglichkeit der innern Hausräume ziemlich widersprechend.

An den Saal stoßen zu beiden Seiten mehrere Zimmer.

In denen rechter Hand befinden sich Goethe’s eingerahmte Handzeichnungen und Kupferstiche, wie überhaupt einzelne Abtheilungen in Anticaglien, Medaillen, Münzen, Majoliken, Autographen u. s. w.; linker Hand stößt an den Mittelsaal das Empfangs- und Gesellschaftszimmer, in welchem jetzt Goethe’s Kunstsammlungen ausgestellt sind.

Es bedarf wohl nur der Erwähnung, daß der Katalog der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_213.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)