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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

zeichnenden Kunst allein vierthalbhundert Seiten enthält, um den bedeutenden Umfang der Goethe’schen Sammlungen anzudeuten; darum wird der Leser dieser wenigen Zeilen auch kein näheres Eingehen auf diese mannigfaltigen Schätze hier erwarten.

Goethe selbst gesteht seinem treuen Eckermann einmal, was ihn seine Studien, die er stets durch Ankauf bezüglicher Gegenstände der Kunst und Wissenschaft zu unterstützen suchte, bis in seine alten Tage gekostet haben. ,Eine halbe Million meines Privatvermögens ist durch meine Hände gegangen, um das zu lernen, was ich jetzt weiß; nicht allein das ganze Vermögen meines Vaters, sondern auch mein Gehalt und mein bedeutendes literarisches Einkommen seit mehr als fünfzig Jahren.“

Gewiß ist, daß es in Deutschland viele weit bedeutendere Kunstsammlungen giebt als diese, aber keine von diesem speciellen und charakteristischen Interesse. Denn man darf von vornherein nicht außer Acht lassen, daß Goethe Vieles gekauft hat, um daran zu lernen, und an mangelhaften Kunstgegenständen sich die Grade der Vollkommenheit eines wahren Kunstwerks recht anschaulich zu machen. Wer daher über manches Stück der Goethe’schen Sammlungen bedenklich werden wollte, muß die Worte beherzigen, welche Herr Sekretair Schuchardt seiner Beschreibung der Goethe’schen Sammlungen vorausschickt.

„Für Goethe,“ sagt er, „war der geistreiche Gedanke, die Art und Weise der Auffassung und Darstellung desselben die Hauptsache. Diesen zu erkennen, genügte ihm auch eine weniger gute Nachbildung, ein minder guter Nachdruck, ja selbst das Fragment eines bedeutenden Werkes. Goethe sammelte und sah das Gesammelte eben als Dichter, als schaffender Künstler.“

Ein Brief des Dichters an seinen sehr geschätzten Kunstgenossen Heinrich Meyer sagt dies noch deutlicher mit folgenden Worten:

„Zur wahren Erkenntniß braucht man eigentlich nur Trümmer. Diese guten, vortrefflichen, aber höchst beschädigten, diese schwachen, ausgedruckten, diese ungeschickt ausgestochenen, kopirten und in so manchem Sinne versehrten und zerfetzten Blätter haben gerade meine kritische Fähigkeit aufgeregt und mir in einsamen Stunden sehr große Freude gemacht. Wie sehr Recht haben Sie nicht, daß es zur wahren Kenntniß nur wenig bedürfe; wie sehr Recht hätten Sie nicht, wenn es nicht eines großen Umweges bedurfte, zu diesem Wenigen zu gelangen.“

Freilich dürfen wir nicht vergessen, daß dieses ein Mann geschrieben, dessen Kunstgeschmack durch unzählige bedächtige Anschauungen vollendeter Meisterwerke bereits sicher stand, der also bei Betrachtungen mangelhafter Stücke die ganze Zwischenstufe bis zu ihrer vollkommenen Ausführung leicht schöpferisch zu ergänzen verstand. War Goethe dann mit einem bedeutenden Gegenstände oder mit einer Kunstrichtung in’s Reine gekommen, so stellte er seine Gedanken in klarer Ordnung zusammen und überlieferte sie in fruchtbaren Aufsätzen denjenigen, welche solche Geistesresultate zu würdigen verstehen.

Mit Recht bemerkt Adolf Stahr in seinem Tagebuche: „Weimar und Jena,“ daß in diesen Sammlungen Goethe’s Studien, seine Werke und sein ganzes Leben den ergänzenden, erklärenden Kommentar erhalten. „Diese Reliquien verkommen, diese Sammlungen verzetteln lassen,“ fügt er dann hinzu, „wäre eine That der Barbarei, welche allein hinreichen würde, den letzten Rest des Nimbus zu zerstören, mit welchem das Volk von Denkern und Dichtern sich zu umgeben liebt.“

Hoffentlich wird es trotz des mißlungenen ersten Versuches doch nicht gelingen, Goethe’s Haus und Sammlungen so zum Eigenthum der deutschen Nation zu machen, wie Schiller’s Haus ein Eigenthum der Stadt Weimar ist; es würde dann auch der bittere Umstand wegfallen, daß Fremde, oft sehr weit hergekommene Reisende, entweder gar nicht oder unter erschwerenden Umständen und nur theilweise das Haus und die Sammlungen des großen Gelehrten und Dichters sehen können.

Wer Goethe’s Haus besucht, wird natürlich besonders nach speciellen Reliquien des großen Mannes Verlangen tragen, und mit Begierde nach dem Hefte suchen, welches die eigenhändigen Zeichnungen Goethe’s enthält.

Es ist ein Heft von zweiundzwanzig Stücken, die im Jahre 1810 während eines Aufenthaltes in Jena entstanden sind. Goethe hatte sich dahin begeben, um den zweiten Band seiner Farbenlehre abzuschließen, und wurde dort von dem Verlangen überfallen: „was von Zeichnungsfähigkeit in ihm läge, noch einmal zu versuchen.“

„Dies geschah nun auf diese Weise (erklärt er selbst), daß ich bei einsamen Spaziergängen mir gewisse Gegenstände so fest als möglich einprägte, und nachher zu Hause mit der Feder auf’s Papier fixirte, auch wohl an der Natur selbst Umrisse versuchte oder nach Erzählungen mir Gegenden vorbildete – – und so entstanden denn nachstehende zweiundzwanzig Blätter, die ich mit eben so wunderbarer Aufmerksamkeit aufzog, umrahmte und mehr oder weniger ausführte. Da mit dem August sich diese gewissermaßen angestrengte Neigung völlig verlor, auch von mir nachher derart wenig hervorgebracht wurde, und selbst, wenn ich es versuchen wollte, nicht gelang, so habe ich diese Zeichnungen sämmtlich zusammengehalten, keine fremde Hand, wie ich sonst bei Skizzen gern that, darin walten lassen, und so dieser eigenen Lebens- und Kunstepoche ein Denkmal zu erhalten gesucht; wie ich sie denn auch gegenwärtig in einem Bande gesammelt, um sie für ein Ganzes zu erklären, woraus Fähigkeit sowohl als Unfähigkeit beurtheilt werden könne.“ –

Doch wir kehren zu den denkwürdigen Räumlichkeiten des berühmten Dichterhauses zurück.

Den obenerwähnten Saal und die Zimmer mit den Kunstsammlungen haben wir erreicht, indem wir uns vom äußeren Treppenraume aus links wandten; rechts davon gelangt man in die besonderen Gelasse des Goethe’schen Bibliotheks-, Arbeits- und Schlafzimmern.

Die Anzahl von Büchern in dem Bibliothekszimmer ist ansehnlich; die Aufstellung derselben ganz übereinstimmend mit der Goethe eigenthümlichen schmucklosen Einfachheit. Von besonderem Interesse jedoch sind hier die gesammelten Briefe und Tagebuchhefte des Dichters und der mit Smaragden gezierte goldene Lorbeerkranz, welchen die Vaterstadt Frankfurt ihren, großen Sohne zum 79jährigen Geburtstag geschickt hat.

Denkwürdiger, wenn auch den Charakter der strengsten Einfachheit ebenfalls beibehaltend, ist das Goethe’sche Arbeitszimmer. Hier befindet sich an der Vorderseite zwischen zwei Fenstern ein unansehnlicher Spiegeltisch, darauf eine Uhr und ein Weinglas stehen. Ein eichener Tisch von länglich runder Form nimmt die Zimmermitte ein, davor steht ein einfacher Stuhl. Von den Fenstern rechts an der Wand befindet sich ein anderer Tisch von Birnbaumholz, er ist oben mit Randfächern versehen, in welchen Handbücher u. dergl. ausgestellt sind, der untere Theil des Tisches ist für die Aufnahme von großen Heften, Atlanten, eingerichtet. Ueber diesem Tische hängt ein Gypsmedaillon des von Goethe so sehr und oft bewunderten Napoleon’s I. mit der Umschrift: Scilicet immenso superest ex nomine multum. Nicht weit davon steht ein Behältniß mit Dichterwerken, welche Goethe als Geschenke verehrt worden sind. Da Goethe besonders in seinen spätern Jahren seine Arbeiten fast nur zu diktiren pflegte, wobei er mit über den Rücken gelegten Armen gewöhnlich auf und abging, so dürfte es nicht sonderlich wundern, wenn man einen für den alten Herrn gemäßen Schreibtisch in dem Arbeitszimmer ganz vermißte. Aber er hatte ja Briefe zu schreiben, seinen Namen zu unterfertigen und manche Notiz zu verzeichnen, daher denn auch links an der Wand ein langes Stehpult von weichem Holze angebracht ist, auf welchem Goethe das Nothwendigste eigenhändig schrieb. Hier steht auch jene kleine Napoleonsbüste aus Milchglas, welche, gegen das Licht gehalten, feurig in’s Bläuliche schimmert und von Goethe als für die Theorie seiner Farbenlehre brauchbar, besonders geschätzt war. Neben dem letztgenannten Stehpulte befindet sich eine Thüre, welche in das Schlafgemach des Dichters führt. An derselben ist ein Papierbogen mit Anmerkungen zur neuern Zeitgeschichte befestigt, dahinter Tabellen schematischer Begriffe zur Musik und Geologie.

Das Schlafgemach, oder besser, die Schlafkammer Goethe’s entspricht eben nur einem bescheidenen Sinne; es hat nur ein Fenster und Raum für ein schmuckloses Bett, vor welchem ein grüngepolsterter Lehnstuhl steht. – Ein Vorfall, der sich an dieses Zimmer knüpft, und den Goethe’s Diener eines Tages erzählte, hat immer einen seltsamen, fast dämonischen Eindruck auf mich gemacht; er stehe denn auch hier als eine der merkwürdigsten Erinnerungen aus dem Leben eines so wunderbaren Mannes.

„Einst – so erzählt der Diener – klingelte Goethe mitten in der Nacht, und als ich zu ihm in die Kammer trete, hat er sein eisernes Rollbette vom untersten Ende der Kammer herauf bis an’s Fenster gerollt und liegt und beobachtet den Himmel.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_214.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)