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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Mein Gott,“ dachte er, und ein stechender Schmerz durchzuckte seine Brust – „wenn dieses Engelsgesicht löge, wenn hinter diesen Blicken ein arglistiges Herz verborgen läge!“

„An was denkst Du, Franz?“ fragte sie ein wenig schüchtern.

„An den Ball!“

„Ah, an Miß Belling!“ rief sie scherzend, indem sie sich auf seine Kniee setzte.

„Du hast Recht.“

„O, ich wußte es.“

„Ich stelle Vergleiche zwischen Dir und ihr an.“

„Und darf man wissen – es ist zwar eine seltsame Frage von einer Frau an ihren Mann – darf man wissen, zu wessen Gunsten diese Vergleiche ausfallen?“

„Sie ist seltsam; aber auch ein Beweis Deines Vertrauens in meine Offenheit.“

„Vorausgesetzt, daß ich nicht so anmaßend bin, außer bei meinem Manne einen Sieg über die gefeierte Schönheit davontragen zu wollen. Du siehst, Franz, daß ich eben so offen bin, als Du.“

Franz drückte sie zärtlich an sich, indem er sagte: „Muß ich Dir denn wiederholen, daß meine Frau den Vergleich, den ihr Mann anstellt, nicht zu fürchten hat? Glaube mir, ich kenne den Schatz, den ich besitze, und jeder Vergleich läßt mich seinen unschätzbaren Werth erkennen.“

„O Franz, ich hätte jene Frage nicht an Dich richten sollen!“

Sie preßte ihre zarten Lippen auf seinen Mund, während sie sich mit beiden Armen an seinen Hals hing. Dann flüsterte sie:

„So hat der Ball sein Gutes gehabt.“

„Aber auch sein Uebel.“

„Für Dich?“

„Nein.“

„Was willst Du sagen, Franz?“

„Man bot mir auf dem Balle einen Diamantring an – ich sollte eine Summe darauf leihen. Hier ist er.“

Er gab ihr den Ring, den er von dem Advokaten erhalten hatte. Henriette verlor ihre Fassung nicht; sie sah den Ring einen Augenblick verwundert an, dann gab sie ihn zurück.

„Fast möchte man glauben, er sei der meinige, Dein Geburtstagsgeschenk, Franz!“

„Ich habe es geglaubt, und glaube es noch!“ antwortete der Banquier, indem er die Steine betrachtete.

„Dann bist Du im Irrthume, mein Freund!“ antwortete ruhig die junge Frau.

„Hier steht mein Name – diese Steine habe ich selbst gekauft – –“

„Das ist seltsam!“

„Henriette, Du hast diesen Ring verloren – Du mußt ihn verloren haben!“ fügte er mit großer Anstrengung hinzu.

„Vorhin, als ich mich auskleidete, habe ich den Ring mit meinen Schmucksachen abgelegt.“

Franz sah bestürzt auf.

„Unmöglich!“ flüsterte er.

Sie erhob sich schweigend und ging in ihr Kabinet. Franz sah ihr mit starren Blicken nach; dann betrachtete er das verhängnisvolle Juwel wieder, von dem er die Ueberzeugung hatte, daß es das Geschenk seiner Liebe war. Er zitterte vor dem nächsten Augenblicke, der Aufklärung bringen mußte. Wie war es möglich, daß Henriette den Ring vorhin abgelegt haben konnte, der sich seit zwei Stunden in seinen Händen befand? Sollte sie sich stellen, als ob sie der Meinung sei, ihn wirklich mit den übrigen Schmucksachen abgelegt zu haben?

„Das ist eine fürchterliche Nacht!“ flüsterte er vor sich hin. „Ich muß die Tugend meiner Frau in Zweifel ziehen, muß sie wie eine Verbrecherin inquiriren!“

Da erschien Henriette wieder; schweigend und mit ruhigen Mienen überreichte sie ihm ihren Diamantring. Der bestürzte Franz hielt zwei Ringe in der Hand, die sich so täuschend ähnlich sahen, daß er nicht zu unterscheiden vermochte, welchen von beiden er zuletzt empfangen hatte.

„Henriette,“ murmelte er, „an Wunder kann ich nicht glauben – hier liegt eine arge Mystifikation zum Grunde.“

„Mir scheint, man will das Glück unserer Ehe zerstören!“ flüsterte sie bewegt.

„Du hast Deinen Ring nie vermißt, Henriette?“

„Nie! Auf welche Weise hast Du den zweiten Ring erhalten?“ fragte sie schüchtern.

„Der Advokat Eberhardi gab ihn mir.“

Er erzählte kurz die Scene mit dem Advokaten und dem Fremden.

„Der Begleiter Miß Belling’s,“ schloß er, „nahm sich Deiner mit einer Wärme an, die mich in Erstaunen setzte. Er sprach von Beweisen, die man mir liefern würde, wenn ich die Schurkerei des Advokaten in Zweifel zöge. Sollte er den Ring gemeint haben, den Du mir so eben gebracht hast?“

„In diesem Falle, Franz, setzest Du eine Beziehung zwischen mir und ihm voraus?“ fragte die junge Frau, indem sie ihn vorwurfsvoll ansah. „Kannst Du es denn nicht über Dich gewinnen, mich so lange ohne Argwohn zu betrachten, bis diese verhängnißvolle Angelegenheit aufgeklärt ist? Ist Deine Liebe zu mir ein leichtes Rohr, das bei jedem Windhauche schwankt? Franz, ich fühle, daß ich diesen Thatsachen gegenüber kein Recht mehr habe, Vertrauen von Dir zu fordern; aber ich bitte Dich darum, indem ich Dir zugleich bei dem Andenken an meine Mutter und bei dem Glücke, das wir bisher in unserer Liebe fanden, schwöre: Deine Gattin hat keinen andern Gedanken, als Dich, sie hat nicht einen Augenblick aufgehört, Dich zu lieben und Dir treu zu bleiben. Mein Vertrauen zu Dir steht so fest,“ fügte sie mit bebender Stimme hinzu, „daß es selbst eine Fluth von Verdächtigungen nicht erschüttern könnte.“

Er stand rasch auf, und drückte sie tief erschüttert an seine Brust.

„Henriette, verzeihe nicht mir, verzeihe meiner unendlichen Liebe zu Dir!“ rief er unter Thränen. „Wenn ich Dich betrachte, muß es mir ja klar werden, daß uns Neid und Mißgunst verfolgen!“

„Warum bleiben wir nicht fern von der Welt?“ fragte sie, nachdem sie zärtlich seine Augen geküßt hatte. „In unserer Einsamkeit sind wir so glücklich, und wir suchen die Welt auf!“

„Meine Eitelkeit, mich an Deiner Seite zu zeigen, ist hart bestraft – vergessen wir diesen Abend, und fliehen wir die tückische, boshafte Welt.“

„Und was wirst Du mit dem zweiten Ringe beginnen?“ fragte sie an seinem Halse.

„Ich werde ihn dem Advokaten mit dem Bemerken zurücksenden, daß er entweder ein Wahnsinniger oder ein Betrüger ist. Und nun gute Nacht, Henriette.“

Der Banquier wollte sich entfernen.

„Franz!“ rief sie noch einmal.

Der Gerufene kam zurück.

„Versprich mir, Dich keiner Gefahr auszusetzen und das Aufsehen zu vermeiden, damit der böse Mensch seinen Zweck nicht erreicht.“

„Fürchte nichts, Geliebte; meine Liebe zu Dir macht mich vorsichtig! Schlafe ruhig, mein Engel – ich habe Alles vergessen, das schwöre ich Dir!“

Nach einer innigen Umarmung trennten sich die beiden Gatten.

„Henriette hat Recht!“ flüsterte Franz vor sich hin, als er sein Zimmer betrat. „Sie liebt mich so rein und aufrichtig, daß der leiseste Verdacht ihre zärtliche Neigung beflecken muß.“

Die junge Frau brach in Thränen aus, als sie allein war.

„Mein Gott, mein Gott,“ rief sie leise aus, „ende bald die schrecklichen Tage der Prüfung und laß meinen armen Mann nicht in dem Meere der Zweifel versinken, das ihn umtobt!“

Dann trat sie zu dem Tische, auf dem die beiden Ringe lagen. Sie ergriff einen davon, betrachtete ihn eine Zeit lang, drückte ihn an ihre Lippen und flüsterte:

„Dies ist der rechte! O wie theuer ist er mir – er soll ferner nicht mehr von meinem Finger kommen!“

Sie steckte ihn auf den Zeigefinger der rechten Hand; den andern verschloß sie in ein Kästchen. Dann löschte sie die beiden Kerzen aus und trat in ihr Schlafgemach, das durch eine Lampe unter blauem Glase matt erhellt ward.

Zwei Minuten später lag sie in den seidenen Kissen ihres Bettes, um bald darauf einem ruhigen Schlafe, dem Schlafe reiner Seelen, in die Arme zu sinken.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_222.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)