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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Am dritten Tage bestattete man zwei Leichen: auf dem Friedhofe der Vorstadt Sanct Georg unter feierlichem Gepränge Sir Edmund Dudley, wobei Pastor Lambert an dem Grabe des Freundes eine erhebende Rede hielt – und auf einem Friedhofe der Stadt in der Morgendämmerung den Advokaten Eberhardi, den man als einen Selbstmörder in einem Winkel verscharrte. Ihm ward keine Thräne nachgeweint, es waren ihm im Leben genug geflossen: die Thränen der armen Menschen, die er an den Bettelstab gebracht hatte. Wie sich später ergab, hatte er sein bedeutendes Vermögen in einer großen Spekulation verloren, und da er außerdem in eine Criminaluntersuchung verwickelt war, glaubte man die Gründe seiner letzten und einzigen ersprießlichen Handlung erkannt zu haben.

Drei Monate später kam Franz von London zurück; er hatte das enorme Vermögen Henriette’s und Sophie’s erhoben. Der Kammerdiener William war wahnsinnig im Gefängnisse gestorben, nachdem er zuvor ein offenes Bekenntniß seiner That abgelegt hatte.

„Und was wird nun mit unserer Sophie Saller?“ fragte Franz seine Gattin eines Tages, als sie im traulichen Gespräche die Leidensgeschichte ihrer Ehe recapitulirt hatten.

„Sie verheirathet sich.“

„Mein Freund Philipps hat sich auf dem Balle in sie verliebt.“

„Sie liebt längst einen Andern.“

„Wen?“

„Unsern Ludwig Lambert. Du siehst, mein lieber Freund, daß die Banquiers in unserer Familie Glück machen. Du bist der Vormund Sophie’s – wirst Du Deine Einwilligung versagen?“

„Knüpfe Du das Band Deiner Schwester, ich werde den armen Philipps zu trösten suchen.“

Ein halbes Jahr später hatte sich die Firma des Bankhauses verändert; man las auf dem Schilde „Soltau und Lambert.“ Die beiden Schwäger waren Associé’s geworden. Der Pastor Lambert lebte bei seinem Neffen, und Madame Lay wartete auf die Enkel Jenny’s, um ihr Amt als Pflegerin und Erzieherin von Neuem anzutreten. Ob die Hoffnungen der guten Frau in Erfüllung gehen werden?

Sophie vergalt ihrem Gatten die kleine Mystifikation, die sie auszuüben gezwungen gewesen, durch das offene Geständniß, daß sie den Schlüssel, der ihre Bekanntschaft eröffnet, mit Fleiß verloren habe.

„Und der Mann im Wagen?“ fragte Ludwig.

„War mein armer Vater, unser Schutzgeist!“




Genrebilder aus Birmanien.
Rangoon, die Hauptstadt, in der nassen und trockenen Jahreszeit. – Die üppige Vegetation der Umgegend. – Ein Leichenbegängniß, mit Feuerwerk und das Abenteuer auf einem durchgehenden Elephanten. – Guapee, die Nationalwürze. – Bemerkungen über Land und Leute.
(Mit Abbildung.)

Die englische Politik that sich während des Krieges mit Rußland gern etwas darauf zu Gute, daß sie blos für’s „Recht“, für die „Civilisation“ kämpfe, durchaus nicht eigennütziger Absichten wegen, nicht um zu erobern. Während dieser aufopfernden Uneigennützigkeit knüpfte sie aber ein ganzes, großes Königreich, Oude, an ihre schon europagroß ausgedehnten Eroberungen in Indien und kurz vorher war es, nach manchen blutigen Kriegen, ihrer List und Waffengewalt gelungen, den schönsten, größten und werthvollsten Theil des birmanischen Reiches ihren umherschwärmenden Steuereintreibern unterthänig zu machen.

Unsere Geschichte fällt in die letzte Periode dieses birmanischen Krieges. Die flache Küste und die dicht mit Vegetation überwucherten Ufer um die Hauptstadt des eroberten Birmanien, Rangoon, waren den Sommer über die unerschöpfliche Geburtsstätte massenhaften Fiebertodes gewesen, Rangoon ein ödes, heißes, feuchtes Verhungern, Sterben und Begraben. Aber mit Eintritt des September änderte sich plötzlich die ganze Scenerie wie durch Zauber. Die stehenden Wasser der Ebenen waren verschwunden, und diese überkleideten sich rasch mit der luxuriösesten Vegetation aller Farben und Schattirungen von einer Schönheit und Fülle, wovon wir im üppigsten Norden noch keine Ahnung bekommen. Die Stadt mit ihren zwei Meilen langen Pfahlwerken und Holzhäusern, jetzt keine menschenarme Wüste voller Sterbenden mehr, sondern auf’s Neue gefüllt mit geflüchteten und neuen Eingebornen unter englischem Schutze, lief nach allen Seiten in unabsehbare blühende Paradiese, wogende Felder, Frucht- und Blumengärten und Bananengebüsche. Selbst die noch gebliebenen Wasserstände hatten sich mit Teppichen grüner, blühender, betrügerischer Wiese überzogen. Am Zauberhaftesten war der Blick nach den stumpfen, kleinen Hügelreihen hinauf, auf welchen die ungeheuere Schoe-Dagon-Pagode glüht und glittert.

Die Häuser Rangoons schwärmten wieder lustig aus und ein und die verschlossenen und verfallenen Läden öffneten und putzten sich unter den Händen emsiger, schnatternder Chinesen. Selbst die Umgegend und die Klöster wurden wieder menschenfreudig und heiter, besonders letztere, da es keine heiterere, fröhlichere und lustigere Menschenrasse giebt, als die gelben birmanischen Priester.

Ich (ein englischer Offizier erzählt es) befand mich nach langem Siechthume im Zustande der Genesung, und benutzte nach Kräften die herrliche Natur mit ihrem Balsam, den sie nun statt des Fiebergiftes von und nach allen Seiten ausduftete. Mein Arzt lud mich eines Tages ein, die Beerdigungsfeierlichkeiten eines Priesters von großer Berühmtheit mit anzusehen. Die ganze Gegend war in freudiger Aufregung, denn die Vorbereitungen zu dieser Feierlichkeit waren im großartigsten Maßstabe getroffen worden, obgleich auch minder berühmte Personen nicht selten mit dem größten, lustigsten Pompe begraben werden.[1] Der Körper war üblicher Weise einbalsamirt und dann mit einer Schicht geschmolzenen Wachses überzogen worden, um ihn zu erhalten, bis die Vorbereitungen zu seiner Verewigung vollendet sein würden. Außerdem hatte man über diese Wachsschicht noch eine dünne Vergoldung von Goldplättchen gezogen. In diesem Zustande wartete er des Feuerwerks, welches ihn beerdigen, d.h. der Ewigkeit übergeben sollte.

Der Festtag war endlich gekommen und damit mein Arzt, der mir zugleich die freudige Mittheilung machte, daß er für uns Sitze auf einem der wenigen erlaubten Elephanten gemiethet habe. Der Schauplatz der Feierlichkeit war eine große Ebene, die sich nach dem Meere absenkte, beherrscht von einer verfallenen und in ein Festungswerk verwandelten Pagode. Wir drängten uns durch dichte Menschenmassen, die sich schon aufgestellt hatten, obgleich die Prozession mit der Leiche um die Stadt herum noch nicht angekommen war, und bestiegen unsere Sitze auf dem Elephanten, der gleich von Anfang an nicht bester Laune zu sein schien. Der übergoldete Sarg erschien endlich auf einer hohen Tribune von Holz, reichlich bedeckt und behangen mit Sprüchen in Goldpapier geschnitten. Von da wurde er auf einen sehr hohen Leichenwagen gestellt, der ebenfalls auf einer hohen Tribüne stand. Eine große Menge Priester und sonstige Birmanier zogen mit Flaggen und Fahnen, Bannern und goldenen Götzenbildern um den Wagen, Knaben und Mädchen tanzten und sangen lustig um die Tribüne herum. Als unser Mahout (Wärter und Lenker des Elephanten) sein mürrisches Thier näher getrieben, bemerkten wir, daß die in den Leichenwagen gesteckten Götzenbilder dicht mit Feuerwerkskörpern, Racketen u. s. w. gespickt waren. Eine Schaar gelber Priester stand dicht drum herum; in deren Nähe glänzten etwa sechs große übergoldete Tii’s (Sonnenschirme), unter denen die höchsten obrigkeitlichen Personen sich vor den Sonnenstrahlen und dem Anblick der Menge verbargen. Das schöne Geschlecht war nicht stark vertreten. Außer hier und da älteren Frauen fielen mir blos mehrere jugendliche Gestalten im grellsten Gelb und unter eigenthümlicher Kopfbedeckung auf, Priesterinnen und Nonnen der buddhistischen Religion. Dicht hinter dem Sarge stand eine geladene Kanone, vor demselben wurde ein großer Raum frei gehalten, ohne daß die Beamten große Schwierigkeit damit zu haben schienen.

Während dieser Zeit hatte die ärgerliche Stimmung unseres Elephanten offenbar stets zugenommen, so sehr sich auch der Mahout bemühte, ihn zu controliren und zu beschwichtigen. Wir erfuhren nachträglich auch den Grund: sein eigentlicher Lenker lag


  1. Nur die Armen werden begraben, reiche und berühmte Todte aber verbrannt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_239.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)