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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

krank im Hospitale, und den neuen, ihm octroyirten, konnte er nicht leiden, weil dieser ihn nicht zu leiten verstand. Endlich plärrte aus einem sehr verstimmten Horne das Signal. Die Kanone donnerte weithin durch die Ebene, die Racketen und Schwärmer zischten und sprudelten und platzten nach allen Seiten, und das geölte Holz flatterte in qualmigm Flammen hoch auf, und erstickte das brüllende Freudengeschrei der Menge. Dies trieb den Aerger unseres Elephanten auch zur lodernden Flamme. Mit rasender Geschwindigkeit stürzte er sich schnaubend durch die aufkreischende Menge und den dicken Rauch, und hätte mich sogleich von meinem Platze geschüttelt, wär’ ich nicht, wie die Kissen, auf denen ich saß, durch Stricke und Bandagen gesichert gewesen. Bald hatte er die ganze qualmende, flackernde Feierlichkeit hinter sich; und stürmte mit fürchterlichem Trompetenton – das sicherste Zeichen von Elephantenwuth – im rasendsten Galopp immer gerade aus über die blühende, üppige Vegetation hin. Ungeachtet meiner Angst hatte ich doch noch den Hauptakt der Feierlichkeit gesehen, die Aufsprengung des Sarges und Leichnams zu tausend Atomen in den Himmel hinein, in die Luft, wo der entseelte Körper jedenfalls eine geeignetere Gruft fand, als in der langsam zersetzenden und zu neuem Leben rufenden Erde.

Als ich wieder ordentlich zu mir selbst kam und über meine gefährliche, geschüttelte, uncontrolirte Lage nachdachte, sah ich zugleich, daß hinter mir mein Arzt und alle andern Reiter mit sämmtlichen Kissen verschwunden waren. Ich und der Mahout waren noch die einzigen Spielbälle des wüthend dahin trompetenden Elephanten. Ich hielt mich krampfhaft an die Stricke und Bandagen fest, und der Mahout hatte offenbar jeden Versuch, ihn zu lenken und zu besänftigen, aufgegeben. Auch er beschäftigte sich blos mit den Anstrengungen, sattelfest zu bleiben. Bald kam die wüthende Thiermasse in das Bereich von Büschen und Bäumen, durch welche er knatterte und krachte, als beständen sie aus dünnem, dürren Reisig. Größere Aeste, die ihm im Wege waren, riß er mit Trompetengeschmetter ab, als wären es Zwirnsfäden. Meine Hauptangst war nun, daß ich von einem Aste plötzlich unsanft gepackt und weggerissen werden würde, besonders als er sich auf einen ungeheuern Baum losstürzte. Hier stand er zum ersten Mal still, schnaubte, wackelte mit seinen großen lappigen Ohren und schien nachzudenken, aber nicht lange. Sein Rüssel schwang sich wie eine Peitsche empor, faßte den Mahout und schleuderte ihn in die Baumkrone hinein, wie ein Kind einen Federball. Der Mahout kreischte fürchterlich und rauschte und krachte dazu in der Baumkrone oben, wie nichts Gutes, aber jedenfalls gut genug, um nicht wieder herauszukommen, sondern sich hübsch oben zu halten. Als der Elephant sich durch Augenschein überzeugt hatte, daß er seinen Bändiger und Peiniger los und dieser in Sicherheit war, gab er seinen Beifall über diese Aenderung der Dinge durch einen eigenthümlichen quiekenden Laut zu erkennen und setzte dann seinen Marsch mit mir ruhiger fort. Jetzt glaubte ich auch die Ursache seiner Revolution zu erkennen, eine blutende Wunde neben dem Ohre, dem empfindlichsten Theile, welchen die Mahouts mit ihrem Stachel zu kitzeln pflegen, um ihn anzutreiben. Der Mahout hatte den Stachel gar zu fleißig gebraucht und eine ältere Wunde dabei aufgerissen.

Das arme, brave Thier war nun vollkommen ruhig und latschte gemüthlich umher, um sich von dem reich gedeckten Tische der Natur das Beste auszusuchen. Ich dachte nach, wie ich eine solche Gelegenheit benutzen könnte, um auf den sumpfigen, weichen Boden herunter zu gleiten, ohne meinen Herrn und Meister aus’s Neue zu beleidigen, und wie ich wohl meinen Weg zurückfinden könnte; denn ich wußte absolut nicht mehr, wo ich war und in welcher Richtung ich Rangoon suchen sollte, als mich ein eigenthümlicher, birmanischer Geruch an die Nähe eines Daches erinnerte, wo dieser Geruch so recht eigentlich zu Hause ist. Das Dorf lebt ausschließlich von Bereitung des Gnapee oder Balischong, einer Art von Kleister, welcher nicht nur, wie bei uns Petersilie, auf allen Suppen schwimmen will, sondern den unfehlbaren Theil und die unerläßliche Würze jeder birmanischen Mahlzeit bildet, Mostrich zum Fleisch, Sauce zum Fisch, Butter zum Brot, Brot zur Butter, Caviar um Appetit zu erregen, und Speise, diesen Appetit zu stillen. Dieser allgegenwärtige, zu allen Dingen nützliche Gnapee besteht aus – faulen Fischen, besonders Seeheuschrecken, welche in Fäulniß versetzt und dann in Oefen getrocknet, in Mörsern mit Zwiebeln, Schnittlauch, Salz und andern Gewürzen gestoßen, in Töpfe gepackt, mit heißem Essig überschüttet, verschlossen und so verkauft werden. Doch läßt man die Masse erst eine Zeit, je länger, desto besser, offen stehen, ehe man sie hermetisch verschließt und in den Handel bringt. Der Geruch dieses Nationalgewürzes ist ungemein streng und eigenthümlich penetrant, der Geschmack noch mehr, so daß ich alle meine Courage zusammennehmen mußte, um es zum ersten Male zu kosten.

Jetzt war mir aber dieser Geruch in der Atmosphäre sehr willkommen, ich wußte doch, wo ich war und daß Menschen in der Nähe seien. Aber ich saß immer noch umstrickt auf dem willkürlich und launisch umherschweifenden Elephanten, der wieder lebendiger wurde und schneller lief, just als ich glaubte, einen Versuch zum Hinunterrutschen machen zu können. Ihm war ein mächtiger Baumwollenbaum, üppig geschmückt mit großen scharlachnen und weißen Blüthen, in die Augen gefallen, denen er sofort seine Aufwartung machte, um sich aus diesem Blüthenmeere zu laben. Während er stand und sich mit dem Rüssel reichlich bediente, rauschte und knisterte es in den Zweigen oben. Ich und der Elephant wir horchten zugleich verwundert und erschracken. Zugleich sah ich auf und erkannte einen höchst unwillkommenen Gast über uns, eine halb um den Baum gewickelte, mit graugrünfleckigem Vordertheile und dem dicken Kopfe und den glühenden Augen umher peitschende und zischende, monströse Schlange. Mich überlief es mit grauenhaftem Schrecken. Auch der Elephant zitterte und gab einen Laut von sich, wie ich ihn noch nie von einem Elephanten vernommen, ganz verschieden von seiner Trompete des Zornes und den eigenthümlichen Baßquieken des Beifalls und der Befriedigung, so daß ich hierin eine neue Nota zu meiner Behauptung fand, jedes Thier habe für seinen Gedanken- und Gesichtskreis eine eben so reiche Sprache, wie der Mensch für seinen weiten Geist. Der Elephant wollte fliehen, aber in demselben Augenblicke hörte ich das Klatschen und Zischen des Ungeheuers hinter mir. Der erschreckte Riese aller Thiere that einen so gewaltigen Satz und Sprung, daß ich in die Luft flog und dort mich verlor. Wenigstens hatte ich in dieser Region meine Besinnung verloren, die ich erst auf dem sumpfigen Boden, bedeckt mit Schmutz und Schlamm und seltsamen Blumen, wiederfand. Ich kroch hervor und heraus aus Sumpf und Blumen, noch zitternd in Gedanken an das ringelnde, gelblichgrüne, fleckige, zischende Ungeheuer, das mich zwar nicht wieder überfiel, wohl aber ein seltsames Gefühl von Schwäche und Uebelkeit, worin ich mich abermals verlor. In ehrlichen Worten, obgleich Krieger, gestehe ich, daß ich ohnmächtig gewesen war, als ich mich durch den starken Geruch von vier Gnapee-Fabrikanten, die mich wegtrugen, wiederfand.

Reife Bananen und frisches Wasser machten mich wieder zum Manne. Als ich meinen Arzt aufgesucht, fand ich diesen mitten in Vorbereitungen zu einer Aufsuchungs-Expedition nach mir. Er war, wie ich, ohne Schaden zu nehmen, gefallen. Von dem Mahout hörten wir nichts wieder. Der Elephant war ruhig zu seinem Herrn zurückgekehrt, ohne zu verrathen, wie er sich seines letzten, umarmenden Reiters entledigt hatte.

Birmanien umfaßte nach den Messungen, die dessen abenteuerlicher Generalfeldmarschall Orgoni, ein geborner Franzose, anstellen ließ, 40,500 französische Quadratmeilen, von denen die Engländer den besten Theil am Meere weggenommen haben. Es wird von verschiedenen Racen bewohnt, Malaien, Mogs, Cassaiten u. s. w. Sie haben in Taille und Figur etwas Chinesisches, sind aber im Durchschnitt schöner, kräftiger, ungemein lebhaft, lustig, gastfreundlich, neugierig und tanzsüchtig. Jederzeit wird getanzt, wenn Einige Muse haben. Die Tänze bestehen aus pantomimischen Sprüngen, Verrenkungen und Gestikulationen zu den Tönen verschiedener Instrumente. Die Hauptreligion ist die buddhistische, die Regierung despotisch. Nach dem Staatsoberhaupte kommt im Range gleich der weiße Elephant. Es giebt eine ziemlich reiche Literatur auf Palmenblättern in einer Schrift, die, wie hebräisch, von der Linken nach der Rechten geschrieben ist. Unsers Wissens ist noch nichts davon durch Übersetzung bekannt geworden. Vielweiberei ist gesetzlich gestattet, doch genießt das schöne Geschlecht mit wirklich viel Schönen, dieselben Freiheiten und Rechte, wie das männliche. Kultur und Industrie giebt’s nicht besonders, außer was die Chinesen und Engländer treiben. Die Eingeborenen spielen und singen, kämpfen, tanzen, machen Feuerwerke und führen dramatische Pantomimen auf, und wenn sie hungrig sind, greifen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_240.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)