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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 19. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Eine italienische Dorfgeschichte.

Man muß sie erlebt haben, jene milden Nächte Italiens, um den magischen Zauber, den unbeschreiblichen Eindruck zu begreifen, mit dem sie die Seele berauschen, mit süßer Trunkenheit erfüllen. Ein märchenhafter Glanz liegt ausgegossen über dem tiefdunkeln, mit tausend und tausend hellflammenden Sternen besäeten Himmel, und verklärt mit eigenthümlich ergreifendem Schimmer die reizenden Formen des wunderbar herrlichen Landes. Tiefe Stille ruht auf der schweigenden Landschaft; nur in den Wipfeln der schattigen Ulmen, in dem flüsternden Laube der Silberpappel rauscht leise die mit berauschendem Wohlgeruche geschwängerte warme Nachtluft, und spielt mit den leichten Rebenguirlanden, die sich malerisch von Baum zu Baum schwingen, und mit den tausend glänzenden Blüthendolden, die von Busch und Baum, von Hag und Rainen, von Wand und Pfeilern uns träumerisch entgegennicken.

Und auf den Stufen der grünumlaubten Treppe, oder unter der schattigen Veranda ruhen in malerischen Gruppen die Dorfbewohner, mitten unter ihnen der Erzähler. Das volle Mondlicht selbst stiehlt sich neugierig durch das breite, saftige Blätterdach, und beleuchtet die ausdrucksvollen Physiognomien der dunkeln Gestalten, die mit athemloser Spannung den Worten des Erzählers lauschen.

Und in der That, der Eindruck dieser Erzählungen ist unvergleichlich. Die stille Nacht mit ihrem Zauberglanze, die reizende Umgebung, der melodische Klang der Sprache, in der selbst des Bettlers Wort uns zum Gedichte wird, – das Alles stimmt schon von selbst das Herz zu poetischer Empfänglichkeit; wie wenig bedarf es, dem Vortrage des Erzählers eine Wirkung zu sichern, wie sie im kalten Norden nur die höchste Kunst, und sie so selten, erreicht.

Einen solchen Erzähler lernte ich einst in der Umgegend Turins kennen. Es war der Seelsorger und zugleich der Schullehrer des Ortes, ein vortrefflicher, würdiger alter Mann. Hatte er seine Messe gelesen, sein Brevier gebetet, seine Schule gehalten, auch wenn es sich gerade traf, seine Beichte gehört, so versammelte er des Abends seine Gemeinde um sich, um ihnen einfache Geschichten, die er selbst erlebt hatte, zu erzählen.

Eine seiner Geschichten klingt mir noch heute lebendig im Ohre. Ich versuche, sie wörtlich hier so zu erzählen, wie ich sie gehört und, wenn ich auch nicht hoffen kann, jene Wirkung wiederzugeben, die sie damals in mir zurückließ, so wird doch das eigenthümliche Gepräge der Wahrheit, das sie in so hohem Grade trägt, gewiß auch so seines Eindrucks nicht verfehlen.

So begann der Erzähler:

Zur Franzosenzeit, da war die Conscription. Söhne, Brüder, Gatten wurden schonungslos den Armen ihrer Familien entrissen, und zusammengekoppelt, wie die Thiere, wurden sie weggeschleppt, weit, weit weg – zur Schlachtbank. Eine Schlächterei war es, und als eine blutige Schlächterei betrachtete es das Volk, das arme Land, das man ohne den mindesten Nutzen für uns seiner besten Söhne unbarmherzig beraubte.

Ich wohnte damals auf dem Monte ferrato, in der Nähe von Locarno. Zu meinen kleinen Zöglingen gehörten auch zwei Kinder, deren Familien Nachbarn, und, wenn ich nicht irre, auch entfernt verwandt waren. Maria und Tonietto waren unzertrennliche Spielgenossen und die treuesten Freunde. Wer sie nicht kannte, hielt sie für Bruder und Schwester; die sie kannten, meinten, sie würden einmal das schönste Pärchen, das es auf der Welt geben könne.

Und in der That, mit achtzehn Jahren war Tonietto der stattlichste Bursche der ganzen Gegend, und der schönste junge Mann, den ich je gesehen. Maria war ein blondes Madonnengesichtchen, zart, rein, einfach, wie eine Taube. Und herzensgut waren Beide, und im Uebrigen vollkommen mit denen einverstanden, die da meinten, daß sie für einander geschaffen seien. Das ganze Dorf war ihnen gut, und seit man von ihrer Liebe wußte, ihnen nur um so herzlicher zugethan.

Das Mädchen war sechzehn Jahre alt, die Hochzeit beschlossen. Nur die Ziehung wollte man noch abwarten. Was sollte ihre Verbindung, wenn Tonietto Rekrut und die arme Maria schon am Hochzeitsmorgen Wittwe werden mußte?

So dachten die Eltern, aber durchaus nicht so die Brautleute. Wenn sie nur erst seine Frau wäre, meinte Maria, so würde sie ihm folgen zum Regiment, wohin es sei, wenn’s sein müßte, als Marketenderin. Diese Idee gefiel zwar Tonietto wenig, gleichwohl meinte auch er, für alle Fälle, auch wenn er fort müßte, sei es besser, wenn sie sein Weib wäre. Aber nicht lange trübten solche Ueberlegungen ihr junges Glück. Die Sorglosigkeit, die Zuversicht der Jugend hatte bald die trüben Befürchtungen verscheucht. Der Himmel könne so grausam nicht ihr Glück zerstören, das hofften sie fest. Dann dachten sie nicht mehr daran, und liebten sich nur um so inniger.

Aber nur zu rasch kam die Zeit der Aushebung. Auf dem ganzen Dorfe lag ein banger Druck. Die jungen Brautleute wurden Gegenstand des allgemeinsten Mitleids. Maria, vor einigen Tagen noch so blühend, so frisch, so lebensmuthig, sah welk, niedergeschlagen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_245.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)