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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

solcher Zugvögel kommen, eine nicht zu verschmähende Rente, während der kalte, besonnene Spieler, der mit Tausenden der Bank naht, für diese immer eine gefürchtete Erscheinung, da das Glück eine wetterwendische Person ist. Ja, ich habe einen Russen kennen gelernt, der so glücklich und so hoch pointirte, daß er alljährlich von dem Spielpächter ein bedeutendes Abfindungsquantum erhielt, unter der Bedingung, wenn er nicht mehr spiele. Ob er diesen eigenthümlichen Vertrag auf die Länge der Zeit gehalten hat, weiß ich nicht. Uebrigens habe ich, so oft und so lange ich Bäder frequentirte, was weniger aus Neigung, als aus Zufall geschah, nie von einem Selbstmorde eines unglücklichen Spielers gehört, eben so wenig von abenteuerlichen Entfernungen und dergleichen pikanten Affairen – immer nur erbärmliche Schwindeleien – wie Abreisen und den Wirth nicht bezahlen, oder einer verheiratheten Dame den Hof machen und einen Korb erhalten, oder geohrfeigt werden. Also auch von diesen Seiten nichts Romantisches – sondern gemeine, triviale Alltäglichkeit – gerade wie im Leben außerhalb der Bäder, der Aktien- und Börsenepidemie.




Kommerzielle Briefe.

Eine kurze Notiz in einer Hamburger Zeitung, die ich hier wörtlich wiederhole, giebt mir Veranlassung zu einigen wichtigen Bemerkungen. Sie lautet: „Eine Elbblokade. Unser gesegneter Elbstrom bietet in der Gegend von Blankenese über den Sänden einen in diesem Augenblick sehr interessanten Anblick. Das Schiff „Carl und Auguste“, Kapt. Sonderburg, mit Reis von Batavia kommend, ist nämlich beim Aussegeln mitten im Fahrwasser fest geworden und zwar so verzweifelt glücklich auf der tiefsten Stelle, daß alle andern Schiffe, die jenem vorbeizusegeln versuchten, und dabei minder günstige Stellen zu passiren hatten, ebenfalls fest wurden. Auf diese Weise und da bei dem Ostwind das Wasser von Tage zu Tage niedriger wird, sitzt dort nun eine ganze Gesellschaft Kauffahrer zusammen und haben wenigstens den Trost, sich Gesellschaft leisten zu können. Unglücklicherweise aber ist die Elbe nun dadurch für größere Schiffe gänzlich abgesperrt, und das Wasser fällt von Tage zu Tage gerade eben so viel, als, man die Schiffe durch Löschen in Leichter zu heben bemüht ist. – Dieser unglückliche Zustand kann noch eine gute Zeit währen, und es fehlt weiter nichts, als daß noch ein tüchtiger Eisgang hinzukömmt, so können wir noch Wunderdinge erleben.“

Bekanntlich ist Hamburg der naturgemäße Hafen von ganz Mittel- und Norddeutschland. Thüringen, Baiern, Sachsen, Hannover, Braunschweig, die preußisch-sächsischen Provinzen, die Mark, Schlesien, und endlich Böhmen, Tirol, Steiermark und das industrielle Wien müssen ihre Fabrikate, soweit solche für England, Ost- und Westindien, das Kap und für die Ost- und Westküste Afrika’s, für Australien und die übrigen britischen Kolonien bestimmt sind – über Hamburg ausführen.

Es würde schwer zu ermitteln sein, den Antheil, den jeder einzelne dieser hier genannten Staaten an das transatlantische Export- und Importgeschäft nimmt, durch Zahlen zu bestimmen, es genügt die Thatsache, daß der jährliche Ein- und Ausfuhrverkehr Hamburgs über 400 Millionen Thaler beträgt und drei Viertel dieser Menge auf Deutschlands und Oesterreichs Rechnung kommen.

Unter solchen Verkehrsverhältnissen ist es nicht zu entschuldigen, wenn die deutsche Nation ihren einzigen bedeutenden Hafen, der die Verbindung mit den transatlantischen Erdtheilen vermittelt, der Art vernachlässigt, daß Fälle wie die oben angeführten vorkommen, ohne daß eine Regierung irgendwie Notiz davon nimmt, oder selbst die deutsche Presse etwas davon erwähnt.

Täglich hören wir von dem Wachsen unserer Industrie, wie Kreditanstalten gegründet, neue Verkehrsbahnen angelegt, Fabriken errichtet, Metall- und Kohlenbergwerke aufgeschlossen werden, und wie die deutsche Nation aus sich heraus stets neue Mittel und Wege schafft, um mit andern Völkern auf dem Gebiete des Fleißes gleichen Schritt zu halten. Während das innere politische Treiben uns von Tage zu Tage mehr den Bestrebungen gewisser Bureaukraten und Diplomaten entfremdet, und wir gleichgültig auf das Parteigetriebe eines untergehenden Junkerthums hinblicken, wenden wir uns mit aller Kraft dem wahren humanen und wirtschaftlichen Streben zu, „Reichthümer für die Zukunft zu schaffen“ und vereinen die Entdeckungen und Rathschläge der Wissenschaft mit dem Willen, dem Fleiße und der Ausdauer der materiellen Kraft.

Die Zeit, wo die Völker ihre industrielle und kommerzielle Thätigkeit nur auf die Grenzen ihrer eigenen Ländergebiete beschränkten, ist im Abnehmen, und die Schutzmauern und Verkehrsstörungen, die noch in vielerlei Formen bestehen, werden in Folge des Gegendruckes, den Eisenbahnen, Telegraphen und Dampfschiffe ausüben, bald einer unbehinderten Bewegungsfreiheit für Menschen und Güter Platz machen müssen; wir stehen jetzt zu eng im Zusammenhange mit der ganzen Welt, um nicht sofort jede Störung des Verkehrs hart zu empfinden.

Demnach muß jene sogenannte Selbstständigkeit unseres gemeinsamen Vorhafens Hamburg naturgemäß abnehmen, je mehr unsere kommerzielle Verbindung mit England und den transatlantischen Ländern zunimmt. Wir bedürfen des Hamburgischen Kapitals jetzt durchaus nicht mehr zur Versorgung unserer Märkte, wie zu jener Zeit, als Deutschland noch bedeutende Mengen Manufakturerzeugnisse aus England bezog, und Hamburger Kaufleute die einzigen Vermittler waren. Das Kolonialwaarengeschäft des innern Deutschlands emanzipirt sich ebenfalls immer mehr von den Hamburger Kaufleuten, und es werden sich für die Folge direkte Verbindungen zwischen großen Kaufleuten im Innern Deutschlands mit überseeischen Produktionsplätzen bilden, wie man bereits von den deutschen Fabrikplätzen aus die Hamburger umgeht, und direkte Verbindung mit den Käufern in England und den Kolonien anknüpft, um deutsche Fabrikate abzusetzen.

Die Zunahme des Ein- und Ausfuhrhandels der Stadt Hamburg ist also keinesweges den Anstrengungen oder dem Unternehmungsgeiste der dortigen Kaufleute zuzuschreiben, vielmehr nur eine Folge des gestiegenen Wohlstandes der Hinterländer. Mit dem Wachsen der Industrie stieg unsere Ausfuhr, und da wir unsere Fabrikate nicht verschenken, so mußte natürlich die Einfuhr als Gegenwerth ebenfalls zunehmen, wovon die Wirkungen zuerst dort sichtbar werden, wo der Handel die Quantitäten der Tauschgüter konzentrirt – und dieser Ort ist unser Vorhafen Hamburg.

Was haben aber die Hamburger „Herren und Bürger“ in neuer Zeit gethan, um die wichtige Aufgabe, welche ihnen als Vermittler für das deutsche und überseeische Geschäft übertragen wurde, gewissenhaft auszuführen?

Die wenigen oben angeführten Zeilen in Betreff der „Elbblokade“ genügen, um eine Anklage des gesammten Deutschlands zu rechtfertigen.

Die Hamburger haben bisher ihre Stellung dem übrigen Deutschland gegenüber vollständig verkannt. Hamburg war stets mehr englisch als deutsch gesinnt und vergaß, daß es nicht England, sondern Deutschland seine Stellung zu verdanken habe. Mit jedem Ballen Kattun, der aus Manchester kam, sah man reichen Profit kommen, vergaß aber, daß nicht die Engländer, sondern die Käufer, welche die Waare bezahlten, den Gewinn brachten.

Es mangelt den Hamburgern weder an Kapital noch an Unternehmungsgeist, aber sie besitzen keinen Associationssinn; denn während in den englischen Handelsstädten und selbst in einzelnen größeren Städten des inneren Theiles von Deutschland, wie Berlin, Leipzig, Köln, Magdeburg und Stettin bereits seit fast dreißig Jahren sich Kompagnien zu Eisenbahnbauten, Feuer-, Lebens-, Hagel-, Land- und Wassertransport-Assekuranzen u. dergl. mehr bildeten, weisen die vier alten freien Hanse- und Reichsstädte bis in die neueste Zeit hinein keinen erheblichen Antheil an der gemeinschaftlichen Gründung solcher Institute nach. Kleine Städte, wie Dessau und Gotha, haben Banken und Lebensversicherungs-Kompagnien gegründet, die sich eines guten Rufes erfreuen; Bremen etablirt jetzt erst eine Bank, bei welcher merkwürdigerweise die Bremer sich wenig betheiligen, und die Zeichnungen zumeist von andern Börsenplätzen ausgegangen sind. Frankfurt, Hamburg und Lübeck wollen keine Banken (die hamburger Depositen-Bank verdient nur den Namen eines gemeinschaftlichen Geldaufbewahrungs-Instituts), weil die einzelnen dortigen Geldwechsler sich dem widersetzen, sie verdienen

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