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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Cleveley, oder der Mann von Ehre“ schrieb. Wenn ich mich recht erinnere, beginnt die Verfasserin ihre Erzählung unter dem Motto: „Ich schreibe, was ich erlebte und im Innersten fühle!“ In dem Roman selbst erscheint eine unbemittelte Lady, die ohne Neigung an einen geizigen, kalten und stolzen Mann verheirathet wird. Trotz allen Kampfes kann die junge, täglich verletzte Gattin dieses Verhältniß der Qual nicht länger tragen. Sie gesteht dies einst einem jungen Cavalier, den sie früher liebte, und der sie noch liebt. Der Gatte erfährt diese Bekenntnisse – schwört fürchterliche Rache – verstößt sie endlich, und Cleveley, der Mann von Ehre, bietet der Verstoßenen Herz und Hand an. – Dies sind die Grundzüge des Romans.

Bulwer trug hierauf auf Scheidung an, und reiste damals mit seinem Advokaten nach Genf, wo sich seine Gattin aufhielt, um noch eine persönliche Besprechung mit ihr zu pflegen, als ich ihn in Wiesbaden sah. Ob diese Scheidung wirklich erfolgt ist, weiß ich nicht – erklärlich wurde mir aber die außerordentlich ernste, ja angegriffene Stimmung des Dichters, dem jedes Gespräch, ja jede Aufmerksamkeit lästig schien.

Drei Monate nach meinem Aufenthalt in Wiesbaden befand ich mich in Genf.

Genf zieht ganze Colonien aus allen Nationen, namentlich aus England an. Landhäuser, Villen und Schweizerdörfchen vom bunten Gemisch der Fremden belebt, – die Terrasse „La Traille“, von der man die erhabene Aussicht auf den Salève und die savoyischen Alpen genießt, – „St. Antoine“ oder „Place Maurice,“ von dem aus man den glänzenden Spiegel des Sees mit seinen lachenden Ufern und Bergen in unermeßlicher Ausdehnung vor sich sieht, – der schöne „Place de bel Air“ zwischen den Rhonebrücken und dem höheren Theile der Stadt – Alles gleicht einem englischen Park, in welchem Genf das Lustschloß ist. Ueberall die üppigste Vegetation, Wiesen, Felder, Weinberge mit lebendigen Hecken. Die Anhöhe von St. Jean, der Hügel von Saconex, Montbeillant, Rainpalais, Tour des Jardins, Cologny, Roissière und Champol, gewähren die entzückendste Aussicht. Und welch’ ein Schatz von historischen Erinnerungen! Jenes einfache Landhaus, Diotati, bewohnte Englands großer, unglücklicher Dichter, Lord Byron; am Ende des Sees, hart am Ufer, ragen aus den blauen Wogen die Zinnen des alten grauen Chillon, in dem Byron seinen Gefangenen schmachten läßt – das kleine Fernex, der Wohnsitz Voltaire’s, wo er mit seiner Nichte, Madame Denis, sein Leben zu beschließen dachte.

Ich besuchte eines Tages Coppet, wo Frankreichs großer Finanzmann, Necker, starb. – Vor seiner Büste, in tiefem Sinnen, stand eine Dame von imposantem Aeußeren. Bei meinem Eintreten wendete sie leicht den Kopf, und ich gewahrte die edelsten und zugleich stolzesten Züge, bemerkte aber auch leider, daß diese Züge stark mit weißer Schminke belegt waren. Hinter der Dame stand ein junges Mädchen, die auf eine Begleiterin schließen ließ. Wenn man eine Mappe unterm Arme trägt, kommt man selten in Verlegenheit. Ich zog deshalb meinen Bleistift hervor und skizzirte schnell den Kopf des ehemaligen Ministers, um meine Gegenwart weniger lästig scheinen zu lassen – denn die Dame wollte augenscheinlich allein sein, und doch konnte ich nicht umhin, dieselbe mit dem respektvollsten Interesse zu betrachten.

Am andern Tage, als ich aus dem Hotel trat, begegnete mir die junge Begleiterin der Erscheinung von Gestern, und gab dem Portier einen Brief. Ich grüßte unwillkürlich – es entspann sich ein Gespräch, und meine Ahnung hatte mich nicht betrogen – denn die junge Dame war eine Landsmännin, die vor einem Jahre hergekommen war, um sich im Französischen zu vervollkommnen.

Durch Empfehlung trat sie bei einer Dame vom Stande als Gesellschafterin ein – diese Dame war Lady Bulwer – und meiner kleinen Landsmännin verdanke ich die Blicke in das eheliche Verhältniß des englischen Paares, welches, wie wir hoffen wollen, bei so gegenseitigen ausgezeichneten Vorzügen, sich wieder gefunden haben möge.




Marmont, Herzog von Ragusa. Graf Chambord.

Die Anhänger der Bourbonen scheinen eben so rasch an Anzahl wie an Bedeutung abzunehmen. Es war vor ungefähr zwölf Jahren noch ein ansehnliches Häuflein, das sich um den jungen Herzog von Berry schaarte. Ich bemerkte unter Anderen den alten Fürsten Polignac und den noch älteren Ms. Clevy, den Kammerdiener Ludwig’s XVI., mit dem, es kam mir etwas sonderbar vor, eine wahre Abgötterei getrieben wurde.

Der Schwäche seiner Partei bewußt, bewußt der Thatsache, daß sich in Frankreich, so sehr man auch von Fusionen sprechen mag, außer einigen alten Marquis der Faubourg St. Germain, Niemand mehr mit Wärme für die, man möchte sagen, aus der Mode gekommenen Bourbonen interessirt, hat sich auch wohl nur der Herzog, der unter dem Namen eines Grafen Chambord auftritt, mit den Orleans verbunden, oder vielmehr sich ihnen in die Arme geworfen, um nicht völlig isolirt dazustehen. Das heutige Frankreich weiß sehr gut, daß außer Heinrich IV. es den Bourbonen wenig Dank zu schulden und demnach wenig Ursache hat, sich um ihretwillen noch die Köpfe blutig zu schlagen.

Es war im Jahre 1850, als in Regensburg ein sonderbares Fuhrwerk nach dem Gasthof „zum Ritter“ umlenkte. Es war dies ein großer, hochrädriger Wagen aus dem Anfange des Jahrhunderts, in dessen Boden ein riesiger Regenschirm, mit roher Seide überzogen, eingeschraubt war. Unter diesem Wetterdache, das gegen Sonne und Regen ganz vorzügliche Dienste leisten mußte, denn das seidene Zelt überragte auf allen Seiten den Kutschkasten, saß, die übereinandergeschlagenen Hände auf einen Stock gestützt, ein ehrwürdiger Herr von siebenzig Jahren, mit südlichbraunem Teint und eisgrauem Schnurr- und Backenbart. Ohne sich eines Prophetenblicks rühmen zu dürfen, dieser Greis mit den tiefgefurchten militärischen Zügen konnte nichts Anderes als ein französischer Marschall aus der großen napoleonischen Zeit sein. – Es war Marmont, der Herzog von Ragusa, einer der besten Generale des Kaisers, leider aber auch einer der Ersten von Jenen, die ihrem Gebieter in der Stunde der Entscheidung untreu wurden. Der Marschall hat noch kurz vor seinem Tode die Motive seines Abfalls in einem Memorandum niedergelegt – im Jahre 1850 reiste er nach Regensburg, um mit dem Grafen Chambord zusammenzutreffen, der zur nämlichen Zeit im Gasthofe zu den „drei Helmen“ sein Absteigequartier genommen hatte, um dann mit seinem Gefolge und dem kleinen Rest von Anhängern nach Frohsdorf abzugehen.

Kurz nach dem Tode des ermordeten Herzogs von Berry, des Neffen Ludwig XVIII., wurde die Herzogin am 29. September 1820 von einem Prinzen entbunden. Doch weder die Schmerzen der Geburt, noch die Freude, einem Sohne das Leben gegeben zu haben, ließ sie die politischen Rücksichten vergessen, welche sie ihm als einstigen Thronerben des Landes schuldig zu sein glaubte. Sie bestand auf das Herbeirufen unbefangener und glaubwürdiger Zeugen, um die Echtheit dieses Kindes zu beweisen, und erst nachdem dies geschehen, und die Rechtmäßigkeit der Ansprüche ihres Sohnes gegen jeden Zweifel geschützt war, überließ sie sich dem wehmuthvollen Glücke, mit dem der Besitz eines Kindes sie erfüllte, dessen Vater bereits in höheren Regionen seine Heimath gefunden hatte.

Als sie Herrn Deneux, ihren Geburtshelfer zu sich kommen ließ, trat sie ihm ruhig entgegen und sagte: „Ich weiß, daß es bei schweren Entbindungen der Gebrauch ist, der Mutter auf Kosten des Kindes das Leben zu retten. Ob meine Stunde schwer sein wird – wer kann das wissen? – Aber wie dem auch sei, so vergessen Sie nicht, daß das Kind, welches ich zur Welt bringen soll, das Eigenthum Frankreichs ist, und zögern Sie keinen Augenblick, ich beschwöre Sie, und mache Sie dafür verantwortlich, es selbst auf Kosten meines Lebens zu erhalten.“ – Im Exil, im Schlosse Holyrood bei Edinburg, erhielt der junge Herzog seine erste Erziehung.

Von dem männlichen Muthe, von dem, wie uns das spätere Leben der Herzogin Berry zeigt, abenteuerlichen Wesen der Mutter scheint der Sohn nichts geerbt zu haben. – Ich sah einen großen, beleibten, blonden jungen Mann, mit kleinen sanften Augen, energielosem Munde und zurückliegendem Kinn; dazu eine starke, gebogene Nase, und man hatte ungefähr ein Bourbonen-Gesicht vor sich. Einer großen, kühnen, entscheidenden That, wie sie der vollziehen muß, wer sich ein Land, einen Thron wieder erkämpfen will, schien mir der junge Prätendent nicht fähig.




Metternich.

Professor R., der Architekt des Fürsten, lud mich eines Tages ein, dessen Hotel zu besuchen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_266.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)