Seite:Die Gartenlaube (1856) 274.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

75
So thut denn ohne Zögern sich nun das Burgthor auf,

Und arglos zieht zum Marktplatz der kleine Heldenhauf,

Stolz, wie’s für Unbesiegte und Freie sich gehört,
Doch ach vom grimmen Nothwolf zu Schatten abgezehrt.

Die Ihren strecken schluchzend die treuen Arme aus,

80
Sie an ihr Herz zu schließen, sie leiten froh nach Haus.


Da fährt, wie Geier fahren auf sanfte Taubenbrut,
Gen sie ein Schwabenhaufe, im Blicke Schergenmuth;

Reißt von der Gattin Busen den Gatten mitleidsbar,
Aus seines Kindes Armen den Greis im Silberhaar;

85
Und schleppt sie ohn’ Erbarmen zum Kerker alsogleich –

Und auf Befehl des Kaisers geschah der Bubenstreich.

Empört, Ihr könnt’s Euch denken, war jegliches Gefühl –
Doch war dies nur das Vorspiel zum ganzen Heldenspiel.

Denn als wir heute kaum noch begrüßt das Tageslicht,

90
Durchfuhr wie eine Schlange die Straßen das Gerücht:


Es seien sechzig Häupter von jener Höllenwacht
Und zwar die edelsten, gefallen in der Nacht.

Und was wir schaudernd hörten und doch nicht glaubten dann,
Es ward nach wenig Stunden, uns offen kundgethan.

95
Zum warnenden Exempel, so hieß es, und mit Fug

Sei an den Hochverräthern vollzogen solch ein Spruch;

Und also sei des Kaisers ausdrückliches Gebot,
Daß alle die Gefangnen erlitten gleichen Tod;

Dafern in dreien Tagen sie nicht die Ihrigen

100
Mit vielen tausend Marken fein Silber löseten.


Doch da nun solch ein Lösgeld uns unerschwinglich ist,
So werden die drei Tage zur leeren Galgenfrist – –

Mit Nichten! fällt der Markgraf dem Boten in das Wort,
Nicht Einer mehr soll sterben – ich löse sie sofort!

105
Und müßt als Wanderritter aus meinem Land ich geh’n,

Ich will die treuen Männer dem Tod entrissen seh’n!

Auf, ehrenwerthe Herren! Wer will mein Bote sein? –
Gleich meldet sich ein Schönberg samt dem vom Kriebenstein.

Die jagen mit der Botschaft zum Kaiser alsofort –

110
Doch dieses war des Grimmen so erst als letztes Wort:


Es trifft die Hochverräther das tödtliche Gericht,
Der Herr Wettiner leiste denn auf die Mark Verzicht! –




Und Friedrich hat gelöset mit deutscher Treu’ sein Wort:
Er zog aus seinem Lande als Wanderritter fort.[1]




Wie gefällt Ihnen meine Braut?
Von Heinrich Smidt.

I.

Peter Liebener war ein glücklicher und ein unglücklicher Kerl zu gleicher Zeit. Im gewissen Sinne winkten ihm alle Güter des Lebens vollauf und wieder im gewissen Sinne hatte er nicht einen überflüssigen Groschen.

Onkel Bastian und Tante Emerentia waren die beiden Pole, zwischen denen er sich bewegte, denn von ihnen hing sein Schicksal ab, das sich sehr glänzend gestalten konnte, da Beide mit Glücksgütern gesegnet waren. Onkel war ein alter Junggeselle, Tante eine alte Jungfer, und obgleich leibliche Geschwister, konnte es doch kaum zwei Personen von verschiedenerer Sinnesart geben.

Onkel Bastian war früher viel gereist, und auf diesen Reisen mit vornehmen und lebenslustigen Leuten zusammen gekommen. In seiner Heimath wieder angelangt, beschloß er, es ihnen gleich, wenn nicht zuvor zu thun, und traf sofort alle Anstalten, um ein Haus zu machen. Herrschaftliche Wohnung, brillante Equipage, kostbare Tafel, fürstlicher Wein, was brauchte es mehr, um dies neueste Haus der Residenz zugleich zu einem der vielbesuchtesten und berühmtesten zu machen? Onkel Bastian befand sich wohl, wie der Fisch im Wasser, ließ seine zahlreichen Gäste in Champagner schwimmen und schwamm gelegentlich mit.

Tante Emerentia war von alledem das Gegentheil, und darum harmonirte sie mit ihrem Bruder ganz und gar nicht. Sie war gerade so häßlich, als schielende Augen und citronengelber Teint ein Frauenzimmer machen können. Da sie klug genug war, zu begreifen, daß die Männer, welche sich um ihre Gunst bewarben, dies nur ihrer harten Thaler wegen thäten, beschloß sie, auch ihr Herz zu verhärten und ledig zu bleiben. Etwas aber muß der Mensch haben, woran sein Herz, und sei es noch so verknöchert, hängt. Da sich für Tante Emerentia kein anderer Gegenstand finden wollte, so liebäugelte sie mit ihrem Golde, und sann darüber nach, wie sie es möglichst rasch verdoppele. Darum wurde sie von allen Menschen für einen Geizteufel gehalten, und Jeder wiederholte es so oft und so laut, daß sie selbst es endlich glaubte und so lebte, als ob sie oft den Groschen zu Brot oder Holz nicht für sich selbst, geschweige denn für Andere im Hause hätte. Nebenbei pflegte sie auch wohl – und dies war ihre eigentliche und einzige Ergötzlichkeit – armen, nothleidenden Mitbrüdern und Mitschwestern kleine Summen darzuleihen, versteht sich, gegen dreifache Sicherheit, und wenn die Empfänger sich verpflichteten, den erwiesenen Liebesdienst durch zweifache Zinszahlung zu vergelten.

Trotz dieser verschiedenen Sinnesart fand sich doch ein Moment in dem Leben der Geschwister, wo diese vollständig mit einander übereinstimmten, und das war in ihrer Abneigung, um nicht zu sagen, ihrem Widerwillen gegen den Bruder Robert.

Bruder Robert war der Aelteste der Geschwister. Kein Schlemmer und Prasser, wie Onkel Bastian, kein Geizteufel und keine Wucherseele wie Tante Emerentia. Robert war durch und durch eine Künstlernatur. Seine Malerwerkstatt, die herrliche freie Natur und ein frohes Zusammenleben mit Gleichgesinnten waren seine Welt. Er fand ein schönes, liebenswerthes Mädchen und heirathete sie, ohne viel nach Herkunft und Vermögen zu fragen. Er vertraute einem Freunde, der ihm goldene Berge versprach, den größten Theil seiner Habe, und als dieser das Geld in gewagten Spekulationen verlor, hatte der Leichtsinn es in wenigen Wochen vergessen. Obgleich arm geworden, blieb er doch reich und nur, als sein Weib ihm starb, brach auch sein Herz und er ließ den Geschwistern seinen einzigen Sohn, den kleinen Peter, als ein unerwünschtes Erbe zurück.

Er wurde nicht besonders freundlich angesehen, der arme Junge. Zu Hause wollte ihn Keiner haben, weder der Onkel noch die Tante, also mußte er anderweitig untergebracht werden. Die Geschwister besaßen ein gemeinsames Eigenthum, ein kleines Gut, welches als eine Familienstiftung nicht veräußert werden durfte, und daher verpachtet war. Zu dem Pächter dieses Gutes wurde der Peter geschickt, und hatte bei demselben eine harte Lehrzeit durchzumachen. Aber auch das Schlimmste findet ein fröhliches Ende. Der Pachter war ein strenger, aber zugleich ein gewissenhafter Mann. Peter hatte auf dem Pachthofe keine Freudentage verlebt, aber er war ein tüchtiger Landwirth geworden. In einem Anfall verwandtschaftlicher Schwäche gestatteten Onkel und Tante, daß, als der Pachter dem Peter ein glänzendes Zeugniß ausstellte, diesem die Pacht übergeben wurde, und er war nun der gehorsame Diener seiner Verwandten.

Peter war Tag und Nacht auf den Beinen und sorgsam ohne Aufhören. Aber auch der eifrigste Landwirth kann sich nicht stets mit Knechten und Mägden herumzanken; er muß zeitweise mit andern Menschenkindern verkehren, die nicht seine Knechte und Mägde sind. Dann ging Peter in den nahen Wald spazieren, wo unter den uralten Bäumen die Försterwohnung gar anmuthig lag. Und da der Förster, der über den jungen, anstelligen Nachbar ein rechtes Vergnügen hatte, ihn stets freundlich grüßte, so


  1. Es ist dies vielleicht einer der großartigsten Züge, welche die Geschichte von den Gewaltigen dieser Welt aufzuweisen hat. Wie erhaben steht durch diesen einen Zug unser Held über den Eroberungsfürsten Friedrich II. und Napoleon, die Millionen Menschen ihrer Herrsch- und Ruhmgier opferten, während jener, um wenige Menschenleben zu retten, seinen angestammten Landen entsagte und arm und bloß in die Fremde wanderte.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_274.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2020)