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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Das gnädige Fräulein ist im Salon und zeigt dem alten Herrn die neuen Tafelaufsätze, welche sie aus Paris hat kommen lassen,“ antwortete ein Anderer. „Komm nur, es ist genug zu thun. Der Mann kann ja hier warten.“

Die Diener liefen weg. Peter stand da und faßte sich an den Kopf. Er glaubte, daß er träume. Der Lärmen dauerte fort, aber es kam Niemand, der ihn zu dem Onkel führte, wie es doch sonst der alte Balthasar stets gethan. Der aber war nirgend zu sehen und überall im Hause fremde Gesichter.

Endlich kam Johanna und mit ihr der Onkel. Der alte Herr war nicht wieder zu erkennen. Sein ganzes Gesicht strahlte wie Sonnenschein, und zu Johanna sprach er nie anders, als: „Mein Püppchen! Wie willst Du das blaue Zimmer arrangirt haben?“ Oder: „Sage mir, mein Herzchen, was räthst Du mir für Mittwoch Abend?“

„Mittwochs nach der Oper habe ich Spiel und Souper angeordnet,“ sagte sie leichthin. – „Ah! Guten Tag, Peter! Läßt Du Dich auch einmal sehen? – Ueberhaupt,“ fuhr sie wieder gegen den Onkel gewendet fort, „ist die ganze Woche besetzt und höchstens über den Donnerstag wäre zu disponiren. Aber auch für den Abend können Sie nichts voraus bestimmen, denn der Baron Verbreuil wird von Paris zurückkommen, und Sie wissen wohl, er nimmt es übel, wenn man seine erste Soiree nicht wenigstens eine Stunde besucht. Es ist zwar langweilig da, aber was will man machen.“

„Du hast ganz recht, mein Täubchen,“ sagte der Onkel, ihr einen Kußfinger zuwerfend. „Wie gesagt, Deine Ideen sind immer die besten. Weiß der Himmel, wie Du es nur anfängst! Ah, da ist ja auch der Vetter vom Pachthofe. Guten Tag, Vetter Peter.“

„Guten Tag, Onkel Bastian,“ sagte dieser stotternd. „Ich bringe –“ das Wort blieb ihm in der Kehle stecken.

Petit paysan!“ sagte der Onkel, wie entschuldigend zu Johanna. „Man muß es ihm zu Gute halten.“

„O, nicht doch!“ entgegnete sie rasch. „Man muß ihn im Gegentheil informiren, und ich denke, es soll bald gethan sein.“

„Da hörst Du es, was Dir bevorsteht!“ sagte Onkel Bastian lachend. „Was bringst Du denn, kleiner Peter?“

„Den Pachtzins, wenn es erlaubt ist!“ antwortete er kleinlaut, und Onkel Bastian, die Brieftasche nehmend, sprach: „Hier, Täubchen! Ein Beitrag zu Deiner Garderobe. Es wird nöthig sein, denke ich.“

„Sehr nöthig!“ entgegnete sie, mit einem leichten Knix dankend. „Ich war mit meiner Börse fast am Rande, und die Modistin schickte mir gestern ein bedeutendes Conto. Nun, ich lasse die Herren allein!“ Darauf sich ausschließlich zum Peter wendend, sagte sie: „Wir sehen uns wohl bei der Tafel?“ und war alsbald im nächsten Zimmer.

Der Onkel lachte: „Das hättest Du Dir wohl nicht gedacht? Ja, ja! So kann man sich in Leuten irren. That der armen Johanna im vorigen Jahre himmelschreiendes Unrecht. Freilich habe ich es ihr später abgebeten.“

„Ist es denn nur möglich?“ fragte Peter kopfschüttelnd. „Das Mädchen, auf das Sie so gescholten, ist jetzt bei Ihnen Alles in Allem? Ach, Onkel, Herzensonkel, wie gefällt Ihnen denn nun meine Braut?“

„So über alle Maaßen, daß ich sie selbst heirathete, wenn sie nur einen so alten Kerl möchte. Aber Braut? Was will ein solcher Bauer mit dieser Perle der Gesellschaft? Schwatzen wir keinen solchen Unsinn. Du hast gehört, daß Du bei Tafel erscheinen sollst; darum gehe in Deinen Gasthof, und mache eine möglichst anständige Toilette. Allons! Punkt vier Uhr wird bei mir servirt. Und dann ist auch Johanna zurück, die wohl jetzt bei der Tante Emerentia sitzt und scheinbar ihrem Geize huldigt, eigentlich aber, um ihr den Geschmack am Weltleben beizubringen, was mein größtes Gaudium sein soll, wenn es gelingt.“

Peter ging wie im Rausche davon und kam in gleicher Weise zurück. Er stand wie verloren unter der Menge und wurde nicht bemerkt. Johanna hatte für ihn kaum einen flüchtigen Gruß. Sie war so sehr von Herren umlagert, die sich eifrig um sie bemühten; sie hatte für Jeden ein freundliches Wort, eine witzige Pointe, ein angenehmes Kompliment, und als der Kammerdiener anzeigte, es sei angerichtet, wäre schier ein gefährliches Ueberstürzen eingetreten, denn Alle wollten ihr den Arm bieten. Sie aber zog sich mit Grazie zurück, ging allein voran und nahm ihren gewohnten Platz an dem obern Ende der Tafel ein.

Peter hatte sich auf den unscheinbarsten Platz gesetzt, und da sich kein Mensch mit ihm abgab, hatte er vollauf Gelegenheit, zu sehen, was um ihn her vorging. Er gewahrte, daß Försters Johanna in diesem reichen Hause der Anfang und das Ende aller Dinge sei; die einzige Sonne, um welche sich die übrigen als gehorsame Planeten drehten; und daß hier von dem untersten Diener an bis zu dem Onkel hinauf Alle nach ihrer Pfeife tanzten. Zuletzt wurde ihm ganz wirr im Kopfe. Eben so unbemerkt, wie er sich niederließ, stand er auf und ging zum Saal und zum Hause hinaus. Schweigend saß er in seinem Stübchen. Er hatte so vieles Unerwartete erlebt, und konnte den Schlüssel dazu nicht finden. Die Johanna sah noch eben so gut und herzig aus, wie sonst im Forsthause und doch war sie ganz anders; sie stand ihm so fern, daß es ihm schien, als habe er sie gar nicht gekannt, oder sie doch fast bis auf die Erinnerung vergessen. Endlich erbarmte sich seiner der Schlaf und versetzte ihn in das heimische Forsthaus, wo er mit dem alten Herrn Förster seine Pfeife rauchte und eine Parthie Deutsch-Solo spielte, während Johanna am Spinnrade saß und freundlich zu ihm hinüber lächelte.

Mit dem anbrechenden Morgen waren freilich diese lieblichen Bilder verschwunden, und Alles mahnte ihn dringend an seine Pflicht. Hatte er doch gestern in der Verwirrung ganz vergessen, zur Tante Emerentia zu gehen, die dies Versehen gewiß sehr übel vermerkte. So steckte er denn das nöthige Geld ein und machte sich zur schicklichen Stunde auf den Weg zur Tante. Die alte Barbara, die ihm schon auf der Schwelle entgegen kam, sagte auf die Bitte, ihn zu melden, daß sie hier nichts mehr zu sagen habe, und nur noch aus Gnade und Barmherzigkeit im Hause geduldet werde. Sie werde es aber sogleich dem Fräulein sagen. Damit ging sie hinein, kam aber alsbald in Johannens Gesellschaft wieder.

Peter fuhr bei diesem Anblick vor Staunen und Schrecken zurück. War das die prächtige Dame von gestern? So scheu, so demüthig und mit einem so armseligen Fähnchen bekleidet, daß der härteste Stein ein Erbarmen gefühlt hätte.

„Bist Du es denn wirklich, Johanna? fragte er stotternd.

„Ja, mein lieber Peter, ich bin es,“ antwortete sie in einem singenden Tone. „Gott hat große Dinge an mir gethan, als er mich in dies fromme, christliche Haus gesandt hat, wo ich Alles kennen lernte, was allein zum wahren Heil dient, und der guten Barbara hier, die ich wie eine Schwester liebe, sowie der tugendsamen Jungfrau Emerentia, die ich wie eine Mutter verehre, bin ich dafür ewig dankbar.“

Es ist ein braves Kind,“ sagte Barbara, sich die Augen trocknend. „Und sie braucht so wenig, fast noch weniger als ich.“

„Man kann den wahren Beruf des Lebens nicht eher würdig erfüllen, bis man sich von allen irdischen Bedürfnissen losmachte,“ fuhr Johanna fort. „Darnach strebe ich, bin aber noch weit vom Ziele entfernt. Von tausend Dingen, die der Mensch zu seinem Dasein nöthig glaubt, macht er sich leicht bis auf die unentbehrlichsten los, und auch diese lassen sich noch beschränken. Du, mein armer Freund, schmachtest freilich noch in den Banden des schnöden Weltlebens. Aber höre auf mich, die zur Erkenntniß gekommen ist, und ich werde das Glück haben, Dich auf die Bahn des Heils zu leiten, die allein zum wahren Frieden führt. Jetzt aber wird es schicklich sein, daß Du Dich zu der Tante begiebst. Folge mir.“

Tante Emerentia empfing den Neffen in der gewohnten Weise.

Johanna aber sprach: „Es ist Vieles in ihm, was mir mißfällt. Aber wenn er mich wahrhaft liebt, wird er es ablegen und als ein anderer Mensch vor uns erscheinen. Jetzt aber würde es zunächst an der Zeit sein, von Geschäften zu reden, wenn Sie es ihm erlauben.“

Tante Emerentia warf einen freudestrahlenden Blick auf das Mädchen, und gab dem Neffen die Erlaubniß, zu reden. Dieser zählte das Pachtgeld auf und stattete den gewohnten Bericht ab. Die Tante erklärte sich zufrieden und bat Johanna, die Quittung zu schreiben. Zu diesem Zwecke verlangte das junge Mädchen von dem Peter die vorjährige Quittung, und als dieser sich entschuldigte, er habe sie nicht mitgebracht, weil er das nicht für nöthig gehalten, sagte sie strenge: „Nicht mitgebracht? Da sieht man es, wie gedankenlos Du doch eigentlich bist. Wäre sie jetzt zur Stelle, könnte man auf der Rückseite derselben die neue Quittung schreiben. Nun muß ich

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