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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Magnetismus die göttliche Heilkraft ist, welche den Menschen mit der Natur und dem Himmel verbindet, daß dieser wechselweise Einfluß unter den Himmelskörpern, der Erde und allen belebten Wesen, den die dummen klugen Menschen ableugnen wollen, wirklich existirt. Nein, Therese, ich werde Sie heilen mittelst der magnetischen Kraft, welche uns Beide einander vereint, uns Beide zugleich dem Himmel verbindet!“

„Heilen Sie mich, mein Herr und mein Meister,“ rief die Blinde begeistert, „ich nehme von Ihnen das Licht an, und Sie sollen durch mich ein neues Licht ausstrahlen über die ganze Welt!“

Er legte sanft die Hand auf ihr Haupt und sah sie mit leuchtenden Blicken an. „Du glaubst also an mich, Therese?“ fragte er. „Nicht wahr, Du glaubst?“

„Ich glaube an Dich, verstehe Dich,“ sagte sie leise. „Ich werde sehend werden, ich weiß es, ich fühle es! Und dann wird Niemand mehr zweifeln dürfen. Die Binde, die von meinen Augen fällt, wird auch abfallen müssen von den Augen Deiner Feinde, von den Augen der Wissenschaft und der Gelehrsamkeit. Sie werden sehen, daß es eine Kraft giebt, welche sie nicht kannten und nicht ahnten, eine Kraft der Natur, welche ohne menschliches Zuthun das verrichtet, was die Arzneikunde bisher der Kunst oder der Natur zugeschrieben hat!“

„O, Du sprichst meine Gedanken aus, Therese,“ rief Mesmer zärtlich, „Du siehst in meine Seele hinein, und findest auf Deinen Lippen meine Worte wieder! Du weißt also auch, daß ich die Wahrheit sage! Es giebt einen thierischen Magnetismus, eine übersinnliche Kraft, welche besser als alle Arzneien im Stande ist, den Menschen Gesundheit und Heilung zu bringen. Mögen die Aerzte darüber lachen, eines Tages werden sie doch erkennen müssen, daß ich die Wahrheit gesprochen. Die Aerzte sind Reisende, welche, einmal von der rechten Straße abgekommen, sich immer tiefer verirren, weil sie, statt umzukehren und sich zurecht zu finden, beständig gerade forteilen!“[1] „Aber Sie werden ihnen die rechte Straße zeigen, mein Meister,“ rief Therese begeistert, „Sie werden die Verirrten zurückführen auf die rechte Straße, und der Dank der zukünftigen Geschlechter wird Ihnen dafür lohnen!“

„Wenn der Undank des gegenwärtigen Geschlechtes es dazu kommen läßt,“ sagte Mesmer wehmüthig. „Es ist schwer, in dem Labyrinth des Wissens und des Glaubens sich zurecht zu finden. Ich weiß das, denn auch ich war lange Zeit ein Verirrter in diesem Labyrinth, aber ich sehnte mich nach der Befreiung, nach der Erkenntniß! Ein verzehrendes Feuer füllte meine ganze Seele! Ich suchte die Wahrheit nicht mehr voll zärtlicher Neigung, sondern voll der äußersten Unruhe. Ich floh in die entlegensten Wälder, die tiefste Einöde. Da fühlte ich mich näher der Natur. In der heftigsten Bewegung glaubte ich zuweilen, daß mein von ihren vergeblichen Lockungen ermüdetes Herz die Natur wild von sich stieße, und mit zürnender Stimme rief ich ihr zu: O Natur, was willst du von mir? Lasse ab von mir! Laß mich weiter ziehen in meiner Dunkelheit, wenn du mir doch das Licht nicht zeigen willst! – Dann wieder glaubte ich sie zärtlich zu umarmen, und beschwor sie mit der glühendsten Ungeduld doch endlich meine Wünsche zu erfüllen. Ein Glück für mich, daß in der Stille der Wälder nur die Bäume die Zeugen meiner Heftigkeit waren, denn die Menschen würden mich für wahnsinnig gehalten haben!“

„Ich nicht, Meister,“ rief Therese glühend. „Ich hätte bei Ihnen sein mögen, und ich hätte Sie verstanden!“

Mesmer drückte ihr zärtlich die Hand und fuhr fort: „Alle übrigen Beschäftigungen wurden mir verhaßt, jeder Augenblick, den ich ihnen widmete, schien mir ein an der Wahrheit begangener Diebstahl zu sein! Ich bereute sogar die Zeit, die ich bedurfte, um Ausdrücke für meine Gedanken zu finden. Ich fand, daß wir jeden Gedanken unmittelbar ohne langes Nachsinnen in die Sprache einzukleiden pflegen, die uns die bekannteste ist. Und da faßte ich den seltsamen Entschluß, mich von dieser Sclaverei loszumachen. Drei Monate dachte ich ohne Worte! Als sich dies tiefe Nachdenken endete, sah ich mich voll Erstaunen um! Meine Sinne betrogen mich nicht mehr wie vorher. Alle Gegenstände hatten für mich eine neue Gestalt, und mit einem nie gefühlten Entzücken ward ich mir bewußt, daß ich die Wahrheit, die ich so lange gesucht, endlich gefunden hatte! Es kam wieder Ruhe in meine Seele, denn sie hatte die Wahrheit erkannt, und sie entfernte sich nicht mehr von meiner Erkenntniß. Freilich stand mir nun noch ein schwerer Kampf mit den Meinungen der Menschen bevor, aber das schreckte mich nicht. Vielmehr fühlte ich die Nothwendigkeit, die Unzahl der Hindernisse dadurch zu vergrößern, daß ich’s mir als die heiligste Pflicht auferlegte, der Menschheit das unschätzbare, meinen Händen anvertraute Gut in seiner vollen Reinheit so unverfälscht, als ich es von der Natur erhalten hatte, zu überliefern, und nur da helfend einzuschreiten, wo ich meiner selber gewiß war. Viel habe ich gelitten von dem Unverstand und der Bosheit der Menschen, am Meisten von dem Neid und dem Hohne der Aerzte, welche in ihrem Hochmuth lieber blind bleiben, als sich von Andern ein Licht anzünden lassen wollen! [2] Aber der Tag ist gekommen, an dem ich sie zur Erkenntniß zwingen will! Heute sollen sie erkennen müssen, daß all’ ihr Wissen Stückwerk ist, und daß die Natur mit ihren heiligsten Offenbarungen ihnen bis hierher verschlossen war. O, Therese, Du bist das Evangelium meiner neuen Religion, welche Gottes und der Natur überschwellend voll ist! Verkünde ihnen, mein Kind, die neue, die heilige Religion! Schlage Deine Augen auf und lasse sie in ihrem hellen Stern die allewige Urkraft der Sterne und Planeten erkennen, die sie zu leugnen gewagt!“

„Ich will es, Meister, ich will es,“ rief Therese begeistert, „ich will den Ungläubigen und Zweifelnden Dein Evangelium verkünden und wider ihren Willen sollen sie glauben müssen! Ja, mein Herr und mein Meister! Die Stunde der Erkenntniß ist gekommen, und meine sehenden Augen sollen alle die Andern überzeugen, daß auch sie blind waren. Komm, Meister, nimm die Binde von meinem Angesicht, das Licht wird mich nicht mehr blenden, ich werde nicht mehr wie gestern ohnmächtig vor seinem Strahl zusammensinken! O, laß mich sehen, laß mich Dich sehen!“

Sie fuhr mit beiden Händen zu ihrem Haupte empor, um sich die Binde abzunehmen, aber Mesmer hielt sie zurück.

„Nein,“ sagte er, „noch nicht! Im Beisein aller meiner Feinde, die sich indeß Deine Freunde nennen, muß es geschehen, nicht eher!“

„Aber sie werden schon im Salon unserer warten! Hörst Du nicht, Meister, wie die Wagen vor unsere Thür rollen. Hörst Du nicht, wie sie die Treppe heraufsteigen! O, sie werden Alle schon da sein! Komm also, laß uns gehen!“

„Noch nicht, Therese, denn wenn alle diejenigen da sind, die ich erwarte, wird man, wie ich es erbeten habe, uns benachrichtigen.“

„Wen erwartest Du denn, Meister?“

„Meine Feinde, Therese! Und ich sage Dir, sie werden kommen! Der Professor Barth wird kommen, um den Charlatan zu sehen, der die Vermessenheit hat, durch eine unsichtbare Kraft zu heilen, was er, der berühmte Staarstecher nur vermöge seiner Pincette und seiner Messer vermag. Doctor Ingenhaus, mein erbitterter Gegner, wird da sein, um zu sehen, welche infernalische Künste der Charlatan anwendet, der schon mehr als hundert Kranke geheilt hat, die seine Gelahrtheit für unheilbar erklärt hatte; Pater Gall wird da sein, um zu sehen, ob die Gegenwart eines großen Astronomen mich nicht schrecken wird, oder ob der Charlatan wirklich den Muth, hat, selbst in Gegenwart Pater Gall’s, der es doch besser weiß, zu behaupten, daß die Planeten da oben im Zusammenhang stehen mit den Menschen und Einfluß haben auf ihr Sein und Denken. Ja, ja, sie werden Alle kommen, nicht um sich überzeugen zu lassen, sondern um zu triumphiren! Denn nach ihrer Meinung ist es keinem Zweifel unterworfen, daß der Charlatan heute vernichtet ihnen gegenüberstehen wird!“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_300.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)
  1. Mesmer’s eigene Worte. Siehe Franz Anton Mesmer aus Schwaben. Von Dr. Justinus Kerner. S. 58.
  2. Alle diese Reden enthalten Mesmer’s eigene Worte. Siehe Justinus Kerner. S. 60.