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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

ist noch viel mehr nicht nur das Schiff, sondern auch Wasser und Wind und Dampfmaschine und Schaufelrad dazu. Das Kameel, auf den Universitäten deutscher Länder ein Schimpfwort, trägt unter Völkern, welche die Bewohnerzahl Deutschlands auf mehr als fünfzehn Mal größeren Strecken übertreffen, die süßesten, geachtetsten Namen. Es ist in der Andacht der Wüstenvölker nach dem großen Allah und seinem Propheten die heiligste Größe. „Es ist uns ein Kind geboren!“ rufen der wilde Tuarik und die Ziegen weidende Tibbuserin, wenn eine Kameelmutter ein Junges geworfen. Es ist nicht blos Schiff und Segel auf den glühenden Stein- und Sand-Oceanen, nicht blos das Lebenswasser der „Hügel und Tiefen und Ebenen des Durstes,“ nicht blos Familienmitglied des Wüstenbe- und Anwohners, sondern auch zugleich Pferd und Wagen, Armee, Haus und Hof, Dach und Fach, Factotum unter Menschen, die in ungezählten Millionen über unbewohnbare und bewohnte Strecken und Ausdehnungen von mindestens der doppelten Größe Europa’s, von Timbuctu bis Mecca, von den Kawaramündungen des Golfes von Guinea bis Darfur und dem heiligen Nilthale ziehen. Es ist das Rennthier der Tropen und eins der genialsten Meisterstücke der Natur. Sein geographischer Wirkungskreis geht weit über die Wüste hinaus, aber der eigentliche Schau- und Kampfplatz seines heroischen Lebens ist die Sahara, die wir uns deshalb als Grund und Boden des Bildes näher ansehen müssen.

Die Sahara (von Humboldt aus der Urbezeichnung „das Zaharah“ genannt), die Königin aller Wüsten, breitet sich unter dem Wendekreis des Krebses vom atlantischen Meere über die ganze breite Seite von Nordafrika bis zum Nil und dem lachenden Hügel- und Oasenlande Sudan zwischen 161/2 und 321/2 der Breitengrade über mehr als 118,000 geographische Geviertmeilen aus, übertrifft also Deutschland an Größe beinahe zehn-, und das ganze mittelländische Meer dreimal, ohne sich damit zu begnügen, denn sie dehnt sich hier und da noch verrätherisch in Sandbänken und Untiefen unter dem Wasser hin weit in das Weltmeer aus, und unterhält so noch mit dem, was sie war, Verbindungen. Sie war einst Meeresbett und senkt sich in seinen tiefen Ebenen noch heute unter den Spiegel des lebendigen Meeres, nur hier und da unbedeutend und gegen die Mitte Afrika’s hin, dem Tsadsee, bis zu 1500 Fuß ansteigend.

Die Sahara ist dem Araber im Allgemeinen „Zahara bila ma“ d. h. „der Ocean ohne Wasser.“ Die Sandebenen nennt er Sahel, und mit „Zabarah“ allein bezeichnet er den glühenden, fest gebrannten Steinboden, die entsetzlichste Qual der Karavanen.

Aber es lachen auch Inseln aus diesem ausgebrannten Meere, die bekannten Oasen, welche, wenn sie Glut und Tod, Sand und Gestein so weit überwunden haben, daß sie ganzen Stämmen und ihren Heerden von Schafen, Ziegen, Hühnern u. s. w. hinreichende Nahrung geben, „Wadi“heißen. Man kennt bis jetzt achtzehn solcher vollkommenen Wadi’s und noch sechzehn andere in der Bildung begriffene, die allmälig immer mehr Humus, Feuchtigkeit anziehende Vegetation, und so mit Glut und Tod kämpfend immer mehr Lebensfähigkeit um sich herum bilden und so wirklich einen stillen, mächtigen Heldenkampf der Naturlebenskraft gegen das Meer des Todes darstellen. Wer weiß, wie viele Jahrtausende lang die glühende Sonne einst die Meereswogen der Sahara kochte, um sie zu verdampfen! Wer weiß, wie lange sie jetzt kämpfen muß, um diesen dem Meere abgerungenen Boden mit Leben und blühender Erdrinde zu überziehen! Aber so lange dauert’s nicht, als ersterer Krieg. Die Kultur und Nothwendigkeit kommt der Natur zu Hülfe. Man hat schon natürliche artesische Brunnen unter der heißen Stein- und Sandglut entdeckt und die fünf künstlichen, welche Mehemet Ali in dem libyschen Theile der Sahara und die Franzosen zwischen Biscara und Turgurt graben ließen, werden seitdem durch Natur und Kunst allmälig vermehrt. Kann man aber erst mit Sicherheit auf dem Dampfschiff der Wüste, dem Kameele, von einer Quelle zur andern kommen, wie wir von einem Hotel in’s andere, dann hat auch die Wüste ihre größten Schrecken verloren. Die quellenden Oasen und Wadi’s dehnen sich desto schneller aus, je größer sie werden, und so wird sich einst das Wort des Propheten erfüllen:

„Die Wüste wird jubeln und blühen wie die Rose.“

Jetzt spiegeln sich freilich diese Bilder der Zukunft vorläufig noch in Tantalusqualen schärfenden Truggestalten der Fata Morgana, von dem Araber und Berber „Durst der Gazelle“ genannt. Und wirkliche Höhen der Furcht und des Entsetzens (da bergauf die Hoffnung auf Wasser immer mehr schwindet) bezeichnet er als „Hügel des Durstes“. Für die Felsen der nubischen Wüste hat er blos den Namen „Mut“ (Tod). Wie alle Schrecknisse der Wüste aus dem Mangel an Wasser entspringen, bezeichnet man auch unendlich viel Dinge darin durch das Verhältniß zum Durst, zum Mangel oder der Quelle des Wassers. Nach den Namen für das Kameel klingt dem Sahara-Schiffer nichts so süß als die grüne, lachende, quellende „Wadi.“ Aber wenn er statt einer Wadi plötzlich ein offenes Thal des Todes, einen unbedeckten Kirchhof in unzähligen Gerippen von Menschen und Kameelen vor sich grinzen sieht? Man fand schon solche offene Kirchhöfe von mehr als hundert Skeletten neben einander. Und im Jahre 1805 kam eine ganze Karavane von 1800 Kameelen und 2000 Menschen auf dem Zuge von Tafilet nach Timbuktu vor Durst um. Ueber hundert Meilen dehnten sich die ausgedörrten Skelette aus, die immer dichter wurden und endlich einen entsetzlichen, dichten Schluß mit den ausgetrockneten Mumien und abgemagerten Gebeinen der Tüchtigsten und Tapfersten bildeten. Gegen eine solche Tragödie auf dem Meere ohne Wasser werden selbst die Scenen des Menschenschlachtens auf dem Wassermeere, das eine Zahl aus dem Schiffbruch geretteter Matrosen Wochen lang ohne Wasser auf dem Wasser umhertreibt, welche daher das Blut des Opfers trinken, das vom Loose getroffen ward, werden selbst solche Scenen, deren Wirklichkeit die furchtbarste Fieberphantasie übertrifft, blaß und klein.

Es giebt viele mit Leben bedeckte Oasen in der Wüste, aber noch mehr unbedeckte Kirchhöfe, obgleich die tödtlichen Wogen und Fluthen des Sandes manche solche Leichenfelder einhüllten oder auch Kameele und Reiter lebendig begruben. Aber die ungeheuere Ausdehnung der Wüste ist sich durchaus nicht gleich in ihrem Tode und ihrer Tödtlichkeit. Im Gegentheil leben in ihr die schärfsten Gegensätze von malerischer, quellender Fülle und formloser, dürrer Verdurstung. Sie zerfällt in zwei, durch einen fruchtbaren Gürtel geschiedene Theile, den östlichen oder die libysche Wüste, und den westlichen, der auch im Ganzen und Großen Sahel genannt wird.

Ersterer ist der minder furchtbare, weil er mindestens nicht mit lebendiger Begrabung unter Samum- und Sandfluthen droht. Aber die unendlichen Ausdehnungen des harten, nackten Kalksteins, ohne Erhebung und Senkung auf viele Hunderte von Meilen, wo die armseligste Spur eines Mooses ein Ereigniß ist, von dem man Tage lang spricht, wo man eine „von Sonnenglut lebende Eidechse“, die helläugig über den heißen Estrichboden gleitet, mit dem herzlichsten „Mash - Allah!“ betend begrüßt, und dem binnen Jahren einmal entdeckten, vereinsamt im vereinsamten „Baum des Wassers“ (der Dattelpalme) auszirpenden Vogel selbst von dem mitleidlosen Beduinen eine Hand voll Körner zum Dank für die Herzensfreude seines Tones gestreut wird, diese furchtbaren Schrecken des ewigen Einerlei in rothglühend herab- und rothglühend heraufzitternder Luft, gegen welche man sich dicht in Wolle packt, sind nur im Vergleich zu den Tod und Verderben wälzenden, lebendig begrabenden Sand- und Samumstürmen des „Sahel“ mit einem „Minder“ zu bezeichnen, und dies auch nur für den ausgetrockneten, sehnigen Beduinen und Berber mit einem Herzen von Stein, wie der Boden unter ihm, und mit einer Haut, die durch Gewohnheit gleichsam feuerfest geworden, und vor allen Dingen mit dem – Kameele.

Je näher man in westlicher Richtung dem Sahel kommt, desto kleiner werden die ebenen Kalktafeln. Der Reiter oder die Karavane begrüßt hoch auf dem Rücken seines eiliger zuschreitenden Thieres schon aus der Ferne kleinere, über den Boden verstreute, runde Steinchen. Denn bald kommen nun Klüfte und Ritzen, in welchen verkümmerte Gesträuche sich angstvoll gegen die Sonnenglut verkriechen. Aber auch blendende, heiße Eisflächen sind manchmal ganze Tagereisen lang aus den Klüften hervorgequollen, das aus dem ehemaligen Oceane abgedampfte Seesalz, das in krystallinischer, durchsichtiger Unendlichkeit den Boden bedeckt. Doch endlich werden die Klüfte tiefer und tiefer und plötzlich hört man unsichtbare Quellen süßen Wassers durch die geborstene Erde sickern. Die Quellen werden endlich sichtbar in Grashalmen, Reis- und Durrafeldern, Datteln und Zwergpalmen und lustig umherspringenden Ziegenheerden. Die scheue graziöse Gazelle flieht flink in die Weite, nachdem sie den nahenden Wanderer mit klugen, klaren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_302.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)