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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Kirchenbuße, und Edelleuten, die sich vergangen hatten, wurde in Deutschland das Tischtuch zerschnitten und das Brot verkehrt gelegt.

Vor Allem hätte auch die schöpferische Phantasie des Dichters der göttlichen Komödie keine mannigfacheren und sinnreicheren, aber auch keine grausameren Todesstrafen ersinnen können, als die Geschichte aufzuweisen hat, und namentlich den alten Deutschen gebührt der Ruhm der Erfindung und die Schande der Anwendung der meisten und qualvollsten Todesarten. Man möchte sich mit Abscheu von der Schilderung solcher Martern abwenden, aber man lese es, um desto mehr die Milde unserer Zeiten zu segnen, und damit wir nicht immer „die gute alte Zeit“ und „früher war es doch besser“ hören müssen.

Die Todesstrafe, welche bei uns die überwiegende geworden, und welche man als die humanste anzusehen gewohnt ist, ist die Enthauptung. Schon Griechen und Römer kannten sie. Bei uns tauchte sie neben dem Galgen auf, und hat ihn zuletzt fast aller Orts verdrängt. Sie ist die adeligste aller Strafen, denn die Köpfe vieler Könige und Großen, das Blut Konradin’s und Friedrich’s von Oesterreich, Peter’s von Castilien, der Weiber Heinrich’s VIII., der Maria Stuart, Karl I., Ludwig XVI., der Antoinette und anderer gesalbter Häupter hat sie geadelt. Bei unsern Altvordern geschah sie mit Barte (Beil) und Schlegel. Der Verurtheilte legte seinen Hals auf den Block, das Beil wurde darüber gehalten und ein Schlag mit dem Schlegel darauf gethan, Könige wurden mit goldner Barte enthauptet. In England und Preußen bedient man sich noch jetzt des Beiles, während es anderwärts durch das Schwert, in Sachsen durch das Fallschwert verdrängt worden ist. Bei Militairpersonen und in Zeiten des Standrechts ersetzt die Kugel das Schwert und scheint schon bei den Römern eine Hinrichtung durch Pfeile vorgekommen zu sein.

Weniger ehrenvoll, aber um so gewöhnlicher ist von jeher die Strafe des Hängens gewesen. Von der Römerzeit her hat der Galgen in allen Theilen der Welt seine drohenden Arme ausgebreitet und noch jetzt ist er z. B. in England und Oesterreich die regelmäßige Todesstrafe. Ihm wich auch die im Alterthum gebräuchliche Strafe des Kreuzigens, denn Konstantin der Große hatte bestimmt, daß Niemand mehr der Strafe würdig sei, welche der Heiland erduldet. So einfach nun auch die Procedur des Hängens ist, so hat sie doch die Phantasie der Vorzeit mit schauerlichen Symbolen und einem unheimlichen Ritus ausgeschmückt. Man hieß es „in der Luft reiten, den Ast bauen, den dürren Baum reiten,[1] das schwarze Band tragen“ u. dgl. mehr. Nicht der erste beste Baum im Walde genügte. Laublose, verdorrte Bäume wurden dazu auserlesen. Später war die offene Heerstraße, womöglich ein Kreuzweg der Ort, wo man die Galgen errichtete und Mitternacht die Seite, nach der sie gewendet wurden. Ein schwarzes Band wurde dem armen Sünder um die Augen gebunden. Je höher man den Missethäter hing, um so schimpflicher war es; wer die Geheimnisse der Vehme verrieth, sollte sieben Fuß höher gehängt werden, als andere Leute. Ja, im Mittelalter kam es auf, daß man Hunde oder Wölfe dem armen Sünder zur Seite hing, denn Hunde und Wölfe wurden an Raubgier den Dieben gleich geachtet. So wurde noch im Jahre 1462 zu Halle ein Jude wegen Dieberei mit dem Kopfe zu unterst zwischen zwei bissigen Hunden aufgehängt. Als die vollste Genugthuung aber wurde es angesehen, wenn der Mörder über dem Grabe des Ermordeten „in der Luft reiten mußte,“ oder wenn man ihn, wie in Frankreich, gar unter dem Ermordeten begrub. Manchen Orts mußte das Amt des Henkers der jüngste Richter übernehmen, und manchem Landesherrn, wie Herzog Albrecht V. von Mecklenburg, Herzog Otto von Lüneburg, sagt man nach, daß sie Verurtheilte mit eigenen fürstlichen Händen aufgeknüpft.

Eine ähnliche Symbolik, wie bei der Strafe des Stranges, zeigt sich bei der Strafe des Säckens, die namentlich Hexen und Kindesmörderinnen zu treffen pflegte. Denn auch hier haben schon die Römer und mehr noch die Deutschen oft einen Hund, einen Hahn, eine Natter und einen Affen mit der Unglücklichen in einen Sack genäht und gemeinschaftlich in das Wasser geworfen. Wie nach dem damaligen Volksglauben der Affe seine Jungen in der Umarmung erstickt, die Natter ihr Männchen bei der Begattung tödtet, Hund und Hahn ihre Jungen nicht schonen, so bildeten sie das passende Geleite der Kindesmörderin, die ihre eigene Leibesfrucht ermordet. Welch’ grauenhafte Poesie! Ja, und da sich die ganze Natur gegen das unnatürlichste aller Verbrechen empört, so hat man auch die Elende aus der ganzen Natur zu verbannen gesucht. Denn indem man sie in eine Haut einnähte und in das Wasser warf, hat man ihr Luft, Licht, Wasser und Erde gleichmäßig entzogen. So entsetzlich ernst aber dieser Gebrauch gewesen, so lächerlich wurde er, als man später den kostspieligen Affen mit einer Katze, ja, die schwer zu erlangende Natter um des Prinzipes willen mit einer gemalten Schlange vertauschte. Wer sollte nicht übrigens bei dieser Strafe an das traurige Ende der schönen Agnes Bernauer denken, welche 1435 von der Brücke in die Donau gestürzt, und da’ die Beweinenswerthe schwimmend das jenseitige Ufer erreichte, von dem Henker mit einer langen Stange so lange unter das Wasser getaucht wurde, bis ihre Seele entflohen war? Oder wem ist nicht das Schicksal des heiligen Nepomuk bekannt, welcher auf Befehl des blutdürstigen Wenzel im Jahre 1393 in Prag in der Moldau ersäuft wurde?

Allein noch weit grausamerer Todesstrafen muß ich, wenn auch mit Widerwillen, gedenken. Nicht der Tod des Missethäters, sondern die Qualen des Todes scheinen oft Endzweck der Strafe gewesen zu sein. Raubmördern, Giftmördern u. A. drohte die Strafe des Rades. Wahrscheinlich wurden in ältester Zeit wirklich Wagen über den Verurtheilten gefahren. Später begnügte man sich, demselben lebendig die einzelnen Glieder mit einem Rade oder eisernen Keulen zu zerstoßen, im günstigen Falle von oben herab, im schlimmeren Falle von unten herauf und dann den Leichnam auf das Rad zu flechten. In Frankreich wurde diese gräßliche Strafe oft nur als Körperstrafe angewendet und nicht bis zum Tode des Verbrechers fortgesetzt. Solchen Keulenschlägen erlag auch im Jahre 1762 der unschuldige siebzigjährige Jean Calas zu Toulouse, dessen Andenken drei Jahre später durch ein Urtheil des Staatsrathes wieder zu Ehren gebracht wurde.

Ehebrecherinnen, Ketzer, Zauberer, Mordbrenner wurden schon im grauen Alterthume und noch im vorigen Jahrhundert zum Scheiterhaufen verurtheilt. Auch hier kommt es vor, daß man die Missethäter in eine Ochsenhaut einnähte. Andere wurden wegen geringerer Verzeihungen blos mit entblößten Füßen an das Feuer gesetzt, die Fußsohlen der Flamme zugewendet. So saß der reiche Krösus da, bis ihn die Worte: „Solon, Solon!“ vom Feuertode erretteten. So wurde der wahnsinnige Schwärmer und „Prinz Gottes“ Quirinus Kuhlmann mit seinem Freunde Conrad Nordermann im Jahre 1689 in Moskau lebendig verbrannt.

Vestalinnen, welche das Gelübde der Keuschheit brachen, wurden von den Römern auf dem campus sceleratus (Schindanger) lebendig begraben, und ganz Rom trauerte an diesem Tage. Auch in Deutschland traf Frauen diese Strafe nicht selten. Oft ging sie in das Pfählen über, wie man z. B. Kindesmörderinnen lebendig in das Grab legte, den Leib mit Dornenhecken bedeckte, sie mit Erde beschüttete und ihnen einen eichenen Pfahl durch das Herz schlug. Auch Nothzüchtern setzte man also einen spitzen, eichenen Pfahl auf das Herz, darauf that die Geschändete den ersten, andern und dritten Schlag, die übrigen der Henker. Zu Zürich wurden noch im Jahre 1489 zwei Männer lebendig eingemauert, daß sie Sonne und Mond nicht mehr sahen und kein Luftloch war, als um die Speise hineinzureichen.

Die Römer warfen Verbrecher vom tarpejischen Felsen herab, die Lacedämonier stürzten sie in tiefe Erdspalten, die Strafe des Steinigens, das zu Tode Geißeln findet sich im Alterthume wie im Mittelalter. Tausende von Verbrechern und Tausende verfolgter Christen ließen die römischen Kaiser den wilden Thieren vorwerfen. Socrates trank den Schierlingsbecher, Seneca, dem man die Wahl der Todesart überließ, zog es vor, sich im Bade die Adern öffnen zu lassen, Plutarch gedenkt des Bestreichens mit Honig, um in brennender Sonnenhitze von den Fliegen zu Tode gepeinigt zu werden, und selbst ein Erzbischof von Cöln soll auf ähnliche Weise einen Grafen von Berg zum Tode gebracht haben.

Geistliche hat man, weil man ihnen nicht an’s Blut zu gehen wagte, lebendig verhungern lassen, die alten Deutschen haben einzelne Verbrecher von den Pferden zertreten lassen, Falschmünzer sind in Kesseln mit Oel und Wein gesotten worden und jener Betrüger, welcher sich im Jahre 1287 für den längst verstorbenen Kaiser Friedrich II. ausgegeben, wurde in Lübeck lebendig gebraten.

Doch das ist das Schrecklichste noch nicht. Die Martern, die


  1. Daher auch die Redensart:„auf keinen grünen Zweig“, d. h. an den Galgen kommen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_305.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)