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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

für Einzelne ersonnen worden sind, übersteigen allen Glauben, und es ist furchtbar, zu sehen, wie unter der Aegide des Gesetzes Grausamkeiten begangen worden sind, die einen indianischen Sioux beschimpfen würden. Auf dem Markte zu Gotha ward im Jahre 1567 das Blutgerüst Wilhelm von Grumbach’s, des Mörders des Bischofs von Würzburg, errichtet. Als der Henker den Delinquenten entkleidete, sprach dieser mit größter Ruhe: „Du schindest heute einen dürren Geyer.“ Der Henker antwortete damit, daß er den Uebelthäter an das Schaffot nagelte, ihm den Leib aufschnitt, ihm das Herz heraus riß und ihm mit den Worten in’s Gesicht schlug: „Siehe, Grumbach, Dein falsches Herz.“ Der Leichnam wurde in vier Theile zerschnitten. Nach ihm mußte der Kanzler Brück dieselbe Strafe erleiden.

Den 1463 hingerichteten Bürgermeister Ulrich Hölzer in Wien warf man auf der Richtstätte zu Boden und schnitt ihm den Leib auf. Als dies geschehen war, hatte er noch so viel Kraft und Besinnung, daß er den Kopf erhob und zusah, wie man ihm die Eingeweide herauszunehmen begann. Damiens, der Ludwig X. zu ermorden versucht hatte, wurde, nachdem er noch in der Nacht vor der Hinrichtung auf das Schrecklichste gefoltert worden war, am 28. März 1757 auf den Grèveplatz geschleppt. Man gab ihm zwei Glas Wein zu trinken, und hierauf begannen die Henker das scheußlichste Werk, was je Menschenhände besudelt hat.

Mit demselben Messer, das er gegen Ludwig gezückt, wurde ihm die rechte Hand durchstochen und dann dieselbe auf einem glühenden Ofen zu einem Stumpfe geröstet, wobei ihm die Haare wie eine Mähne zu Berge gestanden haben sollen. Darnach wurde er mit einem eisernen Gürtel an den Boden geschlossen und ihm das Fleisch von Brust, Armen, Schenkeln und Waden mit glühenden Schmiedezangen abgerissen, während Andere geschmolzenes Blei, heißes Oel, Wachs und Schwefel darauf gossen. Sodann brachte man vier junge Pferde und band die Stränge an die Arme und Beine des Verbrechers. Vergebens stampften die Rosse nach vier Seiten hin, es half auch nichts als man die Zahl derselben verdoppelte. Dreiviertel Stunde dauerte der Versuch, den Körper auseinander zu reißen, und gelang erst, als man die Flechsen an Armen und Beinen zerschnitt. Zuletzt wurde der noch lebende (?) Rumpf auf den Scheiterhaufen geworfen.

Der Abscheu, welchen man bei dieser Lektüre empfinden wird, ist der schönste Lohn der Männer, welche, wie Thomasius, Montesquieu, Beccaria, Sonnenfels u. A., den Boden Europa’s von solchen Giftpflanzen gesäubert haben.

Ihr Werk ist es auch, daß die früher so üblich gewesenen abscheulichen Körperstrafen, bis auf die noch jetzt nicht ganz auszurotten gewesene Prügelstrafe, so ziemlich verbannt worden sind. Statt des alten Staupenschlags und Stockschillings, des Spießruthen- und Steigriemenlaufens ist leider noch immer die Ruthe und der Korporalstock, in England die Katze, in Rußland die Knute, in Italien die Bastonnade in Thätigkeit. Dagegen fürchtet Niemand mehr das Haarabscheeren und Hautabreißen (Strafen zu Haut und Haar), das Riemenschneiden aus der Haut, das Ausstechen der Augen, das Abhauen der rechten Hand, wie beim Burgfriedensbruch und Aufpassen auf den Gassen, das Ausreißen der Zunge wie bei Gotteslästerern, das Abschneiden der Ohren und Nase wie bei Wildpretsschädigern und solchen, die sich um Gewinnes halber brauchen lassen, Jemanden auszuprügeln, das Abhauen der Finger wie bei Meineidigen, das Tauchen in’s Wasser wie bei falschen Würflern, das Wippen (tratto di corda) wie bei Fischdieben, das Entmannen wie bei stehlenden Knechten und Juden, die mit Christenfrauen Umgang hatten. (Schluß folgt.)




Ein englischer Künstler.
Skizze von Karl Wartenburg.

Die Winterabende in den Straßen Londons haben etwas Trübes, Düsteres und einen ganz anderen Charakter als die auf den lustigen, hellen Boulevards der Seinestadt. Die dicken, kalten Nebel, welche von dem dunklen Themsewasser emporsteigen, und der dichte Steinkohlendampf, der sich wie ein grauer Wolkenschleier über den flimmernden Nachthimmel mit seinem klaren, glänzenden Sternengefunkel breitet, beklemmen die Brust und erzeugen eine schwermüthige Stimmung, die sich selbst durch den Anblick der schimmernden Herrlichkeiten in den von Gasflammen prächtig erleuchteten Schaugewölben und Kaufhallen und das Betrachten des lebhaften, drängenden Menschengewühls nicht immer verscheuchen läßt. Ist Jemand traurig, einsam, verlassen, so fühlt er seine Traurigkeit, Einsamkeit und Verlassenheit nur noch lebhafter, wenn er sich in Mitten dieser Menschenmassen bewegt, die unbekümmert und theilnahmlos an ihm, dem Fremden, Unbekannten vorüberwogen und nur Blicke und Theilnahme für das Glänzende, das Berühmte haben.

Es war in der sechsten Abendstunde eines dieser trüben, nebeligen, naßkalten, englischen Winterabende, an denen man sich nur beim hellleuchtenden Kaminfeuer und dem summenden Theekessel auf dem runden Tisch behaglich fühlt, es war, wiederholen wir, in der sechsten Abendstunde des 10. Januars 1814, als sich durch die geräuschvolle Menge, welche in den Straßen unweit des Drury-Lanetheaters auf- und abwogte, ein junger, blasser, hagerer Mann von mittlerer Größe, ein großes Paquet unter dem Arme tragend, drängte. Seine Kleidung zeigte nicht eben von Wohlhabenheit; der lange nußbraune Gehrock war an den Aermeln ziemlich fadenscheinig, der Hut abgegriffen, und die vielleicht einst glänzend schwarze Atlascravatte schillerte bedeutend in’s Röthliche, nur die Manschetten und der Busenstreif waren von tadelloser, schneeiger Weiße. Allerdings konnte auch die Garderobe eines armen Teufels von Schauspieler aus der Provinz, der bis jetzt nur in kleinen Land- und Garnisonsstädten oder höchstens auf einigen obscuren, meistens von Kapitainen und Steuermännern der Kauffahrteifahrer besuchten Vorstadttheatern von London gespielt hatte, nicht von jener malerischen Eleganz sein, in der sich gewöhnlich die großen Gagenbezieher der Hauptstadtbühnen den Blicken des Publikums zeigen, denn mit einem Pfund Sterling wöchentlichen Gehalts konnte sich der arme Kunstjünger weder täglich frische Glacehandschuhe kaufen, noch, um mit der Mode fortzugehen, in der Saison zwei bis drei Mal den Schnitt seines Paletots wechseln. Und Mr. Carey, wie sich der junge Mann bis jetzt auf den Theaterzetteln der Provinzialbühnen genannt, gehörte zu jenen armen, wandernden Komödianten, die auf dem Thespiskarren durch’s Land zogen, und heute bald in einer Scheuer, morgen wieder, im günstigen Fall, in einem Gasthof zweiten oder dritten Ranges ihre Bühne aufschlugen, um dem Publikum eines irischen Landstädtchens, eines schottischen Burgfleckens oder englischen Hafenplätzchens die dramatischen Gebilde William Shakespeare’s, Sheridan’s, Knowles oder Addison’s vorzuführen. An diesem Abend aber, an welchem er mit dem Paquet unter dem Arm nach Drury-Lane eilte, war der große Augenblick gekommen, wo er, der kleine Schauspieler aus der Provinz, der sonst an einem Theaterabend den Helden einer Tragödie und den Hanswurst einer plumpen Narrenposse in Matrosengeschmack spielen mußte – nur um das liebe Leben zu fristen und um Brot für sich und seine Frau und Kinder zu erwerben – zum ersten Mal auf einem großen Theater Londons, in einer der berühmtesten Dichtungen Meister Williams, als Shylock in dem „Kaufmann von Venedig“ auftreten sollte.

Es schlug halb sieben, als der junge Schauspieler mit seinem Paquet am Drury-Lanetheater anlangte. Er blieb einen Augenblick vor dem Schauspielhaus stehen und warf einen forschenden Blick in die Vorhalle des Theatergebäudes und in den schlecht erleuchteten Corridor, der zur Kasse führte. Aber weder Shakespeare’s berühmtes Schauspiel, noch der unbekannte Name des Debütanten schienen eine große Anziehungskraft auf das Publikum von Drury-Lane ausüben zu wollen, denn sowohl in der Vorhalle als im Corridor waren nur wenige Menschen zu sehen, und ein leiser Seufzer getäuschter Erwartung rang sich bei dieser Wahrnehmung aus der Brust des jungen Schauspielers los. Eine bekannte Stimme störte ihn in seiner trüben Betrachtung.

„Schlechtes Geschäft, heute Abend, Sir,“ sprach, ihn auf die Schulter klopfend, ein aus der Thür heraustretender Mann an, der kein anderer als Mr. Smith, der Regisseur vom Drury-Lanetheater

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