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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Ein flüchtig hingeworfenes Wort, das man halb aus Höflichkeit, halb aus Uebereilung äußert, ist noch keine Bestätigung,“ rief der Professor Barth ärgerlich. „Man sagt Manches im Salon, was man in seiner Studirstube nicht zu rechtfertigen unternähme.“

„Auch bedarf ein solcher Fall der reiflichen Erwägung,“ sprach Doctor Ingenhaus bedächtig. „Es ist unmöglich, in einem Tage über ein Factum von so ernster Bedeutung zu entscheiden.“

„Aber, meine Herren,“ rief der Graf lachend, „das Factum steht mindestens fest, daß das Fräulein von Paradies nicht mehr blind ist, und daß Mesmer sie ohne Instrumente und Arzneien, blos durch das Auflegen seiner Hand curirt hat! Ich eile, der Kaiserin diese Nachricht zu bringen!“

Er grüßte die Herren mit einer flüchtigen Verbeugung und eilte von dannen.

„Da geht er hin,“ murrte Professor Barth, „thut, als ob er eine wunderbare Freudennachricht in der Burg als Herold zu verkünden habe. Im Hofcirkel wird man heute natürlich nur von dem Wunderdoctor Mesmer zu sprechen wissen.“

„Und wir? Was werden wir thun?“ fragte Pater Hell, mit seinen kleinen listigen Augen die beiden Freunde anblinzelnd.

„Ja, sagen Sie, Herr Kollege, was werden wir thun?“ fragte Doctor Ingenhaus.

Professor Barth antwortete nicht. Er schritt mit gravitätischer Ruhe die Treppe hinab und über den Flur der Hausthür zu. Erst als sie auf der Straße angelangt waren und sich einige Schritte von dem Hause der Wunder entfernt hatten, blieb Professor Barth stehen und legte seine Hände schwer und gewichtig auf die Schultern seiner beiden Freunde.

„Was wir thun werden, meine Herren und Freunde?“ fragte er langsam.

„Ja, sagen Sie uns,“ sprach Doctor Ingenhaus, „ist es möglich, daß dieser Mann über uns den Sieg davon getragen hat? Daß er, den wir so lange als einen Charlatan verhöhnt und verspottet haben, jetzt zu Stande gebracht, blos mit seiner Hand, was unser berühmter Augenoperateur mit der Lanzette in seiner Hand nicht zu Stande zu bringen vermochte?“

„Dürfen wir es dulden,“ fragte Pater Hell düster, „daß dieser Mensch mit einem kühnen Handgriff alle Gesetze der Wissenschaft und der Erfahrung umstößt, und uns eine ganz neue, lächerliche Lehre an Stelle Dessen setzen will, was seit Jahrhunderten und Jahrtausenden her in der Wissenschaft erkannt und erforscht war? Wagte er es nicht, zu behaupten, daß er sich seinen thierischen Magnetismus von den Sternen herunter geholt habe? Hat er nicht die Keckheit, zu sagen, was noch kein Astronom der ganzen Welt entdeckt hat, daß nämlich die Planeten einen direkten Einfluß haben auf die Welt und die Menschen?“

„Und endlich,“ sagte Doktor Ingenhaus ingrimmig, „endlich ist er nicht mir, der ich es zur Aufgabe meines ganzen Lebens gemacht habe, Nervenkranke zu behandeln und zu kuriren, mit der frechen Behauptung entgegengetreten, daß nur der thierische Magnetismus die Nervenkrankheiten zu heilen vermöge? Und laufen nicht seitdem alle meine Kranken wie wahnsinnig und toll mir aus der Kur fort, und rennen zu diesem Charlatan hin, der ihnen Heilung verspricht durch das Auflegen seiner Hand? Er ist auf diese Weise Arzt und Apotheker in einer Person, und die wahnsinnigen Menschen zahlen ihm für seine eigene Person das Honorar, was sie sonst zwischen uns und dem Apotheker theilten.“

„Er ruinirt die Astronomie, die Medicin und die Pharmacie, wenn er den Sieg über uns erlangt,“ sagte Professor Barth feierlich. „Ueber uns, das heißt über die Wissenschaft, denn wir vertreten die Wissenschaft, an welche dieser freche Mensch Hand anzulegen wagt. Die Wissenschaft würde in Trümmern zusammensinken, wenn wir diesem Mesmer gewähren ließen. Wir selbst würden durch ihn bei Seite gedrängt und in den Staub getreten, während er triumphirend an uns vorübereilte den höchsten Ehren zu. Schon verkündet der Kammerherr der Kaiserin bei Hofe das Wunder, was er erschaut, und in wenigen Stunden wird ganz Wien entzückt sein über die wunderbare Mähr, die es empfängt. Wenn wir nicht unsere Maßregeln nehmen, ist die Wissenschaft zu Grunde gerichtet, sind unsere Lehrstühle umgeworfen, ist unsere Praxis vernichtet.“

„Wir müssen also unsere Vorkehrungen treffen!“ riefen die beiden Herren schnell. „Sagen Sie also, was sollen wir thun?“

„Einfach die Scene, die wir erlebt haben, für das ausgeben, was sie ist, für ein Theaterstückchen,“ sagte Professor Barth gelassen. „Therese von Paradies ist blind und bleibt blind, und was wir da heute gesehen, war eine einstudirte Farce, weiter nichts!“

„Aber unglücklicher Weise, verehrter Freund, haben Sie uns dies Auskunftsmittel durch den liebenswürdigen Enthusiasmus unmöglich gemacht, mit dem Sie die Blinde laut und öffentlich für geheilt und für sehend erklärten.“

„Sie haben also nicht den Ton der Ironie bemerkt, mit dem ich diese unglücklichen Worte sprach? Ich wollte den Charlatan verhöhnen, weiter nichts! Der Mensch nahm für Wahrheit, was nur Spott war!“

„Und alle Anwesenden haben es unglücklicher Weise auch so gemacht,“ seufzte Pater Hell. „Man wird Ihren Versicherungen leider hinterher schwerlich glauben!“

„Man wird es nicht heute und nicht morgen, aber vielleicht übermorgen,“ erwiederte der Professor stolz. „Wenn wir Aerzte und Männer der Wissenschaft in einer festen Phalanx auftreten gegen diesen Mann, wird es uns schon gelingen, ihn zu besiegen. Wenn wir es nicht thun, ruinirt er uns Alle. Es ist also Pflicht der Selbsterhaltung, ihn zu bekämpfen und als einen Charlatan zu brandmarken. Das sei unsere Aufgabe, und sie zu lösen, muß unser heiliges Bestreben sein! Therese von Paradies ist eine Blinde, und es ist im Interesse der Wissenschaft nothwendig, daß sie es bleibt. Man wird schon Mittel finden, es zu beweisen, daß sie es auch ist, und daß die guten, leichtgläubigen Wiener sich wieder einmal einen Bären haben aufbinden lassen. Kommen Sie, wir wollen daheim in meinem Studirzimmer das Nähere verabreden!“

Während die drei Widersacher Mesmer’s solche unheilvolle Pläne brüteten, waren die Freunde und Bekannten, die in dem Salon des Herrn von Paradies versammelt waren, noch immer damit beschäftigt, sich Theresen vorzustellen, und die Genesene mit herzlichen Glückwünschen zu begrüßen.

Therese saß bleich und unbeweglich auf dem Divan und starrte die fremden Gesichter mit einem traurigen Lächeln an, und schauderte, wenn man ihr sagte: das da ist die Freundin, welche Du so sehr liebst; das ist der Freund, der Dir sonst durch seine lustigen Geschichten die Zeit verkürzte!

Sie schloß dann die Augen und sagte flehend: „Sprecht zu mir, damit ich Euch wiedererkenne, und mich so ganz allmälig an Euer fremdes Angesicht gewöhne. Sprecht jetzt zu mir, damit meine Augen durch mein Herz lernen, Euch lieb zu gewinnen!“

Auf einmal aber, als eben wieder eine ihrer Freundinnen ihr vorgestellt ward, brach Therese in ein lautes Lachen aus.

„Was trägt denn die für ein lächerliches Ding da über ihrem Haupt?“ fragte sie.

„Nun,“ antwortete ihre Mutter, „das ist ja die Frisur, die Du so sehr liebst. Das ist ein Kopfputz à la Magtignon!“

Therese fuhr entsetzt mit beiden Händen zu ihrem eigenen Haupt empor. „Ja,“ sagte sie traurig, „so unnatürlich, steif und häßlich steigt da auch bei mir das lächerliche Ding in die Höhe. Ich will niemals wieder so frisirt werden, Mutter!“

„Aber mein Kind, diese Frisur ist jetzt die neueste Mode, und Du wirst Dich wohl darein fügen, sie zu tragen, denn was Mode ist, ist schön!“

„Ich werde mich nicht darein fügen,“ sagte Therese, langsam ihr Haupt schüttelnd. „Jetzt, da ich sehen kann, werde ich nicht so sehr fragen, was Mode, sondern was kleidsam, hübsch und natürlich ist. Aber jetzt, da ich Menschen und Thiere kennen gelernt habe, jetzt laßt mich auch die Natur und den Himmel kennen lernen. Mein Arzt, der mir das Licht gegeben, soll mir jetzt auch den Himmel geben. O, Mesmer, führen Sie mich zu Gott, zur Natur und zum Himmel!“

„Kommen Sie, Therese, wir wollen es versuchen, ob Sie den Anblick des Lichtes schon zu ertragen vermögen,“ sprach Mesmer, indem er sanft ihren Arm in den seinen schob, und sie von der Estrade herunter hob.

Aber seltsam, Therese, welche sonst in ihrer Blindheit frei und leicht durch alle Zimmer des elterlichen Hauses ihren Weg fand, ohne nur einmal anzustoßen oder sich zu verirren, bewegte sich jetzt nur schwankend, und mit kleinen, furchtsamen Schritten vorwärts.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_316.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)