Seite:Die Gartenlaube (1856) 320.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Einfluß dieser nächtlichen Gelage mit ihrem wilden Lärm, ihrem wüsten Treiben und ihrer Trunkenheit zuzuschreiben. So spielte er eines Abends im Drury-Lanetheater – also dem Schauplatz seines ersten großen Triumphes – die Rolle des Macbeth und das Publikum, begeistert durch sein meisterhaftes Spiel, brach in einen donnernden Beifall aus, als er in der Schlußscene des fünften Akts zu Macduff sprach:

„Ich geb’ mich nicht,
Den Staub zu küssen von dem Knaben Malcolm,
Gehetzt zu werden von des Pöbels Fluch.
Käm’ auch nach Dunsinan der Birnamwald,
Dräust Du mir auch, ein nicht vom Weib Geborner,
Doch wag’ ich noch das Letzte. Vor die Brust
Werf ich den Hünenschild. Triff, daß es schallt!
Und fahr’ zur Hölle, wer zuerst ruft: Halt!“

Aber kaum hatte er geendet, so warf er, übermannt von einem jener wunderlichen, barocken Einfälle, Schwert und Schild weg und schlug zum Erstaunen und Entsetzen des sämmtlichen vornehmen Publikums drei wilde Purzelbäume, die ihn in einem Nu bis dicht vor den Souffleurkasten brachten. Hier sprang er auf und sprach, sich mit einer merkwürdigen Geberde gegen das Parterre wendend: „Das war mein erstes Handwerk, Gentlemens, und ich glaube, wenn es so fort geht, muß ich wohl wieder zu ihm meine Zuflucht nehmen.“

Die Verblüfftheit des Publikums über diese Excentricität des berühmten Schauspielers, die selbst über alle englischen Begriffe hinausging, wird man sich leicht vorstellen können.

Ein anderes Mal spielte er die Rolle eines Husarenoffiziers und hatte als solcher eine Reitpeitsche in der Hand, mit welcher er allerlei Evolutionen ausführte. Nun kam aber eine tragische Rührscene, wo er seine Geliebte umarmen und die Reitpeitsche wegwerfen sollte. Kean aber erblickte in dem Augenblicke in einer Prosceniumsloge einen Journalisten, der, wie bekannt, Mitredakteur des ministeriellen „Couriers“, eines Organs des Lords Castlereagh, dieses unpopulärsten aller englischen Minister, war. Plötzlich geht Kean auf die Prosceniumsloge zu und spricht, mit der Reitgerte auf den Journalisten zeigend: „Dieses kleine Ruthchen hier sollte ich eigentlich wegwerfen, aber ich behalte es, um damit gelegentlich den Herrn Redakteur da zu züchtigen.“

Das Publikum war über dieses unverschämte Impromptu so erstaunt, daß Niemand sich regte und Kean ruhig abtreten konnte.

Indessen würde es den in diesen Blättern uns gestatteten Raum übersteigen, wenn wir alle die barocken Einfälle dieses excentrischen Kopfes erzählen wollten, von seinen seltsamen Liebhabereien und Vergnügungen, von den Hahnenkämpfen, Wettrennen, Boxereien und ähnlichen Dingen, die er alle leidenschaftlich liebte, von seiner Reise nach Amerika, welches ihn, wie ungefähr fünfundzwanzig Jahre später die Jenny Lind, mit ungeheurem Jubel empfing, und von seinem romantischen Zug in die kanadischen Wälder, wo er sich einem Haufen Indianer anschloß, zu deren Anführer er sich später aufwarf. – Durch eine Art Dämon zu immer neuen Excentricitäten getrieben, stürzte er sich immer tiefer in den Strudel der wildesten Vergnügungen, und er, dessen robuster Körper und eiserne Gesundheit ihm, bei sonstiger normaler Lebensweise das höchste Ziel des menschlichen Lebensalters versprachen, starb auf der Höhe des Mannesalters, dreiundvierzig Jahre alt, am 15. Mai 1833 zu Richmond. Er starb fast unter demselben socialen Interdikt, mit welchem man seinen berühmten Zeitgenossen und Gefährten der nächtlichen Gelage im „Kohlenloch“ belegt hatte, Lord Byron, der neun Jahre früher, fern von britischer Erde, zu Missolunghi, seinen Geist ausgehaucht hatte. –




Die Strafen der Vorzeit und Gegenwart.
II.

Ehrenstrafen. – Injurianten, Adelige, Offiziere, Flüchtige, Todte, Wucherer u. s. w. – Pranger, Narrenhäuschen. – Insbesondere Strafen für zänkische Frauen. – Verbannung. – Acht. – Gefängnißstrafen. – Charakteristik der frühern Strafen. – Schluß.
(Schluß.)

Derselbe Reichthum der Erfindung wie bei den Lebens- und Leibesstrafen nöthigt uns auch, bei einer dritten Klasse von Strafen, den Ehrenstrafen Bewunderung ab, und können wir uns derselben mit um so vollerem Herzen hingeben, als uns hier die schöpferische Phantasie der Alten mehr Stoff zum Lachen als zum Weinen bietet.

Die Infamie der Römer und die Athymie der Griechen zeigt uns weniger Interessantes als die Ehrenstrafen der deutschen Vorfahren. Hatte Einer den Andern beleidigt, so wurde er zum Widerruf genöthigt, mußte sich auf das „Lügenmaul“ schlagen und sprechen: „Mund, da du solches sprachest, logest du,“ und nach Befinden rückwärts aus dem Saale gehen. Eine Strafe war es, nur ein zerbrochenes Messer statt eines Degens führen zu dürfen, Stiefel ohne Sporen zu tragen, auf einem Pferde mit keinem, oder nur ein, zwei oder drei Hufeisen, ohne Sattel, mit bastnem Zaume zu reiten; Adeligen wurde das Wappen durch den Henker, Offizieren der Degen durch den Profoß zerbrochen. Der Verlust der Nationalkokarde ist noch jetzt in Preußen eine Ehrenstrafe. Flüchtige wurden in effigie gehängt oder verbrannt oder der Name an den Galgen angeschlagen, selbst die Todten traf noch die Schande des unchristlichen Begräbnisses an einem ungeweihten Ort oder gar des Eselbegräbnisses auf dem Schindanger unter dem Galgen. Barfuß und den Strick um den Hals, wurden Uebelthäter in Prozession herumgeführt. Barfuß und in härenem Gewände mußte Heinrich IV. zur Winterzeit in Canossa Buße thun, barfuß und im Hemd mußte Lothar von Sachsen vor Heinrich V. treten. Herzog Johann Friedrich von Sachsen, der sich des geächteten Grumbach angenommen, wurde in einem offnen schwarzbehangenen Wagen, einen Strohkranz auf dem Haupte, im Regenwetter in Wien herumgefahren. Eine Ehrenstrafe war es ferner namentlich für Adelige, einen Hund bis an ein Haus, eine Kirche oder die Grenze zu tragen[1]. Wucherer mußten barfuß, einen Judenhut auf dem Kopfe, einen Besen in der Hand, das Weihwasser drei Sonntage um die Kirche tragen, sich dann vor die Kirchenthür legen und die Leute über sich weggehen lassen. Die gewöhnlichste Strafe dieser Art war aber der Pranger oder Schandpfahl oder das minder schimpfliche Halseisen, in Deutschland auch die Fiedel, in Schwaben die Geige genannt, wobei oft den Delinquenten ein rother Hut oder wie Banquerouteurs eine gelbe oder grüne Mütze aufgesetzt wurde. Oefters auch wurden dieselben in das rothe Gitter und in das Narrenhäuschen gesteckt. Auch findet sich, daß man Räuber mit Pech bestrichen, in Federn gewälzt und also in Prozession herumgeführt hat. Besonders glücklich aber waren unsere Vorfahren in der Wahl der Strafen für zänkische Frauen. Oft mußten sie öffentlich die Gasse oder den Markt kehren, oft wurden sie in einem Schandkorb ausgestellt oder in’s Wasser getaucht. Oder sie wurden verdammt, große Steine, die oft einen Centner wogen, sogenannte Schand-Klapper oder Krötensteine, welche bald die Form einer Schüssel oder Flasche hatten, bald in einem steinernen Weiberkopfe mit einem Schlosse an der Zunge bestanden, um den Hals zu tragen. Hatten sich zwei Weiber auf dem Kirchhofe oder in der Kirche gezankt, so mußten sie barfuß, die Eine voran mit einem Besen in der Hand, die Andere hinterher, um die Kirche gehen. Lachte die Letztere, so mußte sie den Besen nehmen und voran marschiren. Hatte aber gar eine Frau ihren Eheherrn geschlagen, so mußte sie rückwärts, auf einem Esel sitzend und den Schwanz in der Hand haltend, durch den ganzen Ort ziehen, und hatte sich der Mann von seinem Eheweibe im Handgemenge besiegen lassen, so traf ihn die Schande mit, und er mußte selbst den Esel führen. Wurde man eines zänkischen Ehepaares ruchbar, so sparte sich auch wohl die ganze Nachbarschaft einen rechten Fastnachtsspaß auf. Den letzten Fastnachtstag oder Aschermittwoch versammelten sich alle angrenzenden Gemärker, Jung und Alt, so Lust dazu hatten, und zogen mit Trommeln, Pfeifen und fliegenden Fahnen zu Pferd und zu Fuß vor den Ort, wo sich das anstößige Paar befand,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_320.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
  1. Daher das Sprüchwort: Hunde nach Bautzen (d. i. die Grenze) tragen.