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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

auch künstlich aus manchen anderen Stoffen abgeschieden oder dargestellt werden, namentlich aus gewöhnlichem Zucker, Stärkemehl, Stärkegummi und Holzsubstanz (Cellulose), weshalb man ihn auch zuweilen Stärkezucker oder Holzzucker nennt. Kocht man z. B. Stärkemehl oder Stärkemehl-haltige Substanzen (Kartoffeln, Eicheln, Kastanien, Mais, Reis etc.) mit verdünnter Schwefelsäure, so entsteht nach einiger Zeit ein immer dünner werdender Brei. Das Stärkemehl, welches erst einen Kleister bildete, verschwindet, verwandelt sich erst in sogenannten Stärkegummi (der klebrige Stoff des Bieres, auch Dextrin genannt), und zuletzt in Stärke- oder Traubenzucker. Man entfernt aus der Flüssigkeit durch Kreide die Schwefelsäure, durch Kohle die Farbstoffe und anderen Unreinigkeiten, und erhält dann beim Einkochen der Flüssigkeit den festen Traubenzucker. Eine ganz gleiche Veränderung erleidet das Stärkemehl, wenn man dasselbe mit gekeimter Gerste (Malz) bis beinahe zum Sieden erwärmt, ein Verfahren, dessen man sich in der Bierbrauerei und Branntweinbrennerei bedient, um die Stärke theils nur in Stärkegummi (beim Biere), theils ganz in Traubenzucker (beim Branntwein) umzuwandeln. Der Trauben- oder Stärkezucker zeichnet sich besonders dadurch aus, daß er, wenn man etwas Hefe zu seiner verdünnten wässerigen Lösung setzt, sehr rasch in die sogenannte Gährung übergeht und hierbei unmittelbar zu Weingeist (Alkohol) und Kohlensäure zerfällt; daher muß man, z. B. bei der Branntweinbrennerei, das Stärkemehl des Getreides oder der zu brennenden Kartoffeln erst durch den sogenannten Maischproceß vollständig in Traubenzucker überführen, bevor man durch Zusatz von Hefe die Gährung hervorrufen kann. Auch der gewöhnliche Zucker ist wie die Stärke keiner directen Gährung fähig, sondern verwandelt sich, wenn man seine Lösung mit Hefe versetzt, erst in Traubenzucker, bevor er gährt. Aus je zwei Pfund Traubenzucker bildet sich bei der Gährung ungefähr ein Pfund Weingeist. Hieraus ergiebt sich die große Wichtigkeit des Zuckergehaltes im Moste, denn von diesem hängt die Stärke des sich bildenden Weines ab. Bei der Weinbildung verschwindet entweder fast aller oder ein großer Theil des Zuckers und zersetzt sich zu Kohlensäure, welche entweicht und das Schäumen des gährenden Saftes bedingt, und zu Weingeist, welcher in der Flüssigkeit bleibt und derselben die berauschenden Wirkungen, die sogenannte Kraft, das Feuer und die Haltbarkeit giebt. Der intelligente Weinbauer bestimmt daher auch den Zuckergehalt seines Mostes, und vermag daraus sogleich die Stärke des zu gewinnenden Weines zu berechnen und darnach die Behandlung des Mostes einzurichten. Das Instrument zur Zuckerbestimmung soll ebenfalls im Nachtrage erläutert werden. Der Saft reifer Weintrauben enthält je nach der Traubenart 13–30 Procent Zucker, der Saft unreifer dagegen nur 6 –12 Procente. Ueberhaupt haben alle Untersuchungen einstimmig gezeigt, daß sich der Zucker hauptsächlich nur während der letzten Periode des Reifens der Weintraube erzeugt, und in dieser dann in dem Verhältnisse zunimmt, als die Säure abnimmt, also ein neuer Beweis, wie nothwendig es ist, die Trauben möglichst reif werden zu lassen. Wird bei der Weinbildung fast aller Zucker des Mostes in Weingeist verwandelt, so erhält man einen sogenannten sauren oder trockenen Wein, wird dagegen nur ein Theil des vorhandenen Zuckers zersetzt, so entsteht ein süßer oder Liqueurwein. – Ebenfalls wichtige Bestandtheile des Mostes sind die Eiweißkörper. Diese finden sich zwar nur in sehr geringer Menge wirklich aufgelöst in dem Safte der Trauben. Mulder konnte nur 1/51/3Theil davon in 100 Theilen des klaren Saftes auffinden; dagegen sind sie in größerer Menge in dem zarten Marke enthalten, welches nebst dem Safte die Traubenbeere erfüllt. Mulder fand in 100 Theilen dieses Markes 14 Theile derselben. Wahrscheinlich kommen mehrere verschiedene Eiweißkörperchen vor und nach den bisherigen zuverlässigen Untersuchungen hat es sich gezeigt, daß das Mark hauptsächlich Eiweiß, der Saft eine ähnliche Substanz, den sogenannten Pflanzenleim enthält, der sich durch seine Löslichkeit in kochendem Weingeist von dem Eiweiß unterscheidet. Die Eiweißkörper gehören zu der merkwürdigen Klasse von Stoffen, die in allen lebenden (d. h. Nahrung zu ihrem Fortbestehen brauchenden) Wesen aufgefunden werden. Sie besitzen von allen chemischen Verbindungen die complicirteste Zusammensetzung und finden sich als die am höchsten entwickelten Materiegruppen überall da, wo wir die Keime zu neuem Leben erblicken. Wir können beobachten, wie sie die Veranlassung zur Entstehung lebender Gebilde werden, indem sie sich mit andern complicirt zusammengesetzten Körpern, mit Fett, Gummi etc. in Beziehung setzen. Wir nennen sie daher mit Recht die „Träger des Lebens und Wachsthums.“ Allein obgleich die Eiweißkörper den Anstoß dazu geben, daß sich todte Gruppen von Materie zu etwas Lebendem ordnen, so sind sie doch selbst wieder die unbeständigsten Verbindungen und zersetzen sich sogar im lebenden Organismus fortwährend, so daß derselbe, wenn er sich lebend erhalten will, gezwungen ist, in demselben Verhältnisse Stoffe als Nahrung aufzunehmen, um sie zur Neubildung der sich zersetzenden zu verwenden. Vermag dies ein lebendes Wesen nicht zu thun, oder erhält es keine genügende Menge von Nahrungsstoffen, so ist sein Verfall unvermeidlich und die Eiweißkörper sind alsdann die ersten Bestandtheile desselben, welche in einfachere Stoffe zerfallen und diese rückgängige Bewegung auch auf die beständigeren Bestandtheile übertragen, diese ebenfalls zur raschen Zersetzung hinreißen. Viele chemische Verbindungen sind für sich sehr beständig; sowie man sie aber mit kleinen Mengen von Eiweißkörpern in Berührung bringt, so werden sie durch dieselben sehr bald in Bewegung, in eine sogenannte Gährung versetzt, wobei sie in neue einfachere Verbindungen zerfallen. Da die in Zersetzung begriffenen Eiweißstoffe, wie hieraus hervorgeht, andere Körper zur Zersetzung (Gährung) anzuregen vermögen, so hat man sie Gährungserreger oder Fermente genannt. Eine solche revolutionäre Rolle spielen nun auch die mit den andern Stoffen aus den Weintrauben und dem Marke derselben gepreßten Eiweißstoffe in dem frischen Traubensafte. Sie fangen an, sie zu zersetzen, treten mit dem Zucker und den andern Bestandtheilen des Saftes in Beziehung und geben unter Mitwirkung von Luft und genügender Wärme zunächst zur Bildung der kleinen Hefepflänzchen und später zur Zersetzung (Gährung) des Zuckers Veranlassung, bringen mit einem Worte den Traubensaft in die Bewegung, durch welche er in Wein übergeht, und müssen dann, wenn der entstandene Wein Bestand haben soll, möglichst entfernt werden, da sie sonst eine vollständige Zerstörung selbst des Weins zu veranlassen im Stande sind. In jedem Traubensafte findet man so viel Eiweißstoffe, daß diese mehr als hinreichend sind, um den Zucker des Saftes zur Gährung zu bringen. Der Saft unreifer Trauben ist reicher daran, als der Saft von völlig reifen. Daher sind auch die aus schlechten sauren Trauben gewonnenen Weine weniger haltbar, als die aus gut gereiften Trauben dargestellten. – Weniger wichtig als die bis dahin betrachteten Theile des Traubensaftes sind die sogenannten Gallertsubstanzen, welchen man eher einen nachtheiligen als einen günstigen Einfluß auf die Weinbildung zuschreiben muß, welche aber während der Gährung des Traubensaftes fast vollständig aus der Flüssigkeit verschwinden, ohne daß man sich genügende Rechenschaft über die aus ihnen entstehenden Produkte zu geben vermag. Zu den Gallertstoffen rechnen wir hier das sogenannte Pektin, ein Stoff, der besonders im Marke der Trauben enthalten ist, ferner das Gummi oder den Pflanzenschleim, welches in ziemlicher Menge im Traubensafte vorkömmt und zur Bildung der Hefe während der Gährung mit verwendet und somit aus der Flüssigkeit entfernt wird. – Ein nicht bestimmt nachgewiesener Bestandtheil des Traubensaftes ist etwas Fett, doch kann dieses auch in den Wein gelangen, wenn man den Saft mit den Weinbeerkernen gähren läßt, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Bestandtheile des Fettes sich während der Gährung trennen und sich bei der Bildung der riechenden Stoffe des Weines mit betheiligen. Uebrigens scheinen einige Traubensorten entweder in ihrem Safte oder in ihren Beerenhüllen, bei völliger Reife, eine kleine Menge eines fertig gebildeten Riechstoffes zu enthalten. – Endlich finden sich im Traubensafte verschiedene Salze und mineralische Bestandtheile, von welchen aber ein großer Theil während der Gährung niedergeschlagen wird. Der Traubensaft enthält vorzüglich saures weinsteinsaures Kali, sogenannten Weinstein oder Cremor tartari, ferner weinsteinsaure Kalkerde und von rein mineralischen Stoffen: schwefelsaures Kali, schwefelsauren Kalk, phosphorsaure Verbindungen, Chlornatrium, Chlorcalcium, Spuren von salpetersauren Salzen; von Magnesia, Eisen, Mangan und Kieselsäure. Wichtig für die Weinbildung sind nur die vorhandenen weinsteinsauren oder traubensauren Salze, während die anderen kaum von Bedeutung sein können.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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