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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Die Leber und die Leberleiden.

Der Leber schreibt Arzt wie Laie ungerechter Weise so viele Schlechtigkeiten zu und ihre Krankheiten sollen fälschlicher Weise so häufig und beschwerlich sein, daß man sich endlich einmal dieses von allen Seiten angegriffenen und verleumdeten Organes annehmen muß. Hat Jemand sehr brünetten Teint, braune oder gelbliche Flecke auf der Haut, bräunliche Ringe um die Augen oder gar Gelbsucht, so ist, nach der Ansicht der großen Menge, sicherlich allemal die Leber Schuld daran. Ist in Folge schlechter Gewöhnung und geringer Selbstbeherrschung, also aus Ungezogenheit, der Mann mürrisch, jähzornig, hypochondrisch oder melancholisch, die Frau ärgerlich, unzufrieden, zänkisch, mißmüthig, weinerlich u.s.f., dann muß dies nur von einer Leberaffection herrühren. Kopfschmerzen, Schwindel und alle andern Beschwerden in und am Kopfe sollen, gerade so wie die verschiedensten Störungen im Bauche (Verdauungsbeschwerden, unangenehme Empfindungen im Leibe, Hämorrhoiden) von der Leber herstammen. Cholera, Typhus, gelbes Fieber und eine Menge anderer Krankheiten haben Aerzte in der Leber gesucht. Ich leide schrecklich an der Leber, klagt ein Patient, und greift dazu an eine Stelle seines Körpers, wo alles Andere, nur nicht die Leber liegt. Marsch nach Karlsbad, sagt der allopathische Heilkünstler, wenn er seine Aloëpillen und sein Schwefelpulver vergebens gegen die verdächtige Leber eines Staatshämorrhoidarius verschossen hat, während der Vollblut-Homöopath (zuweilen aber auch der Bastard-Homöopath) seine Taschen-, Haus- oder Reiseapotheke mit den netten kleinen Gläschen hervorholt, und sinnend zwischen Quecksilber, Kupfer, Blei, Arsenik, Schwefel, Jod, Magnesia, Kochsalz, Sepia, Bärlapp, Lachesis, Aconit, Nux, Arnica, Belladonna, Pulsatilla, Carduus, Kreosot, Chamomille, China, Digitalis u. s. w. wählt. Nur wenn Gelbsucht in Folge von Aerger auftrat, da greift er sofort nach Bryonia.

Werden nun vermeintliche Leberkranke genau (durch Besichtigen, Befühlen, Beklopfen und Behorchen, d. i. die physikalische Untersuchungsmethode) untersucht oder kommt es nach deren Tode zur Section, dann ergibt sich gewöhnlich, daß bei den Meisten die Leber gar nicht erkrankt ist oder daß sie erst in Folge eines andern Leidens (besonders der Lunge und des Herzens) eine krankhafte Veränderung erlitten hat, die aber in Anbetracht des andern die Leberveränderung erzeugenden Leidens so unbedeutend ist, daß der Arzt einen solchen Patienten gar nicht als Leberkranken bezeichnen sollte. Für sich allein bestehende Leberkrankheiten, welche den Besitzer zum „Der leidet an der Leber“ machen können, sind im Allgemeinen äußerst selten, so selten, daß dem Verf., wenn er einem Arzt dem andern blos das Wort „leberkrank“ zuflüstern hört, stets der Verdacht beschleicht, hier liege von Seiten des Arztes eine ungenaue Untersuchung oder eine Unwissenheit vor. Denn die wenigen der der Leber eigenen Krankheiten lassen sich zwischen Aerzten fast stets mit ihren wahren Namen (wie Leberkrebs, Schuhzweckenleber u. s. f.) benennen oder doch, wenn noch ein Zweifel zwischen dieser oder jener speciellen Leberkrankheit vorhanden sein sollte, annäherungsweise bezeichnen. Uebrigens scheint es mir von den Aerzten sehr inhuman, daß sie den über Unterleibsbeschwerden Klagenden so oft durch Octroyirung eines Leberleidens, was sie selbst nicht kennen und nur argwöhnen, Angst und das Gemüth gallig machen. Wie schwer es hält, dem Laien sein eingebildetes Leberleiden wieder aus dem Sinne zu treiben, davon ließe sich ein Liedchen singen. – Besprechen wir zuerst den Bau und die Funktion der Leber.

Was die Architektonik der Leber, die ihre Lage oben, auf der rechten Seite im Bauche, unter den unteren Rippen und Zwerchfelle hat, betrifft, so denke man sich dieselbe aus zwei auf das Innigste in einander verwebten Netzwerken zusammengesetzt, deren Maschen die die Galle bereitenden Leberzellen ausfüllen. Das eine dieser Netzwerke besteht aus feinen Blutgefäßchen und führt das Blut, waches den Leberzellen das Material zur Gallenbereitung (nicht aber die schon fertige Galle) liefert; es stammt dieses Blut aus der Pfortader (s. Gartenl. 1854. Nr. 18.) und der Leberpulsader. Das andere Netzwerk wird theils von reihenweise verbundenen Leberzellen, theils von Röhrchen (Gallenkanälchen) gebildet, welche, von den Leberzellen begrenzt, die Galle aus diesen Zellen aufnehmen und in größere Gänge, durch diese aber zur Leber heraus leiten. In den Zellenreihen wird die Galle aus dem Material, welches die Blutgefäßchen abgaben, bereitet, filtrirt und wie der Saft der Pflanze von Zelle zu Zelle fortgeschafft, bis sie in die Gallenkanälchen gelangt. – Bei Erkrankung der Lebersubstanz muß entweder die Bildung der Galle durch die Leberzellen gestört werden, und dann bleibt das Gallenmaterial (nicht Galle oder fertige Gallenbestandtheile) im Blute zurück, oder die in den Zellen fertig gebildete Galle wird an ihrer Ausfuhr gehemmt und kehrt dann als solche in das Blut zurück. So entstehen ganz verschiedene, hauptsächlich die Blutmischung betreffende Krankheitszustände, von denen später die Rede sein soll.

Die Form der Leber ist die eines länglichen Vierecks mit abgerundeten Ecken; sie ist gegen 4–6 Pfund schwer, mehr lang (10–12" im Querdurchmesser) als breit (4–7"), platt, von oben nach unten sehr zusammengedrückt und schalenförmig gekrümmt; ihrer Consistenz nach ist sie härtlich und brüchig; im gesunden Zustande hat sie eine braunrothe Farbe; äußerlich wird sie von einem dünnen, glatten und stets feuchten Bauchfellüberzuge überkleidet. An ihrer obern, gewölbten und dem Zwerchfelle zugekehrten Fläche, bemerkt man eine (durch das Aufhänge-Band der Leber bewirkte) Trennung in einen rechten und einen linken Lappen, während die untere ausgehöhlte Fläche, welche die rechte Niere, den Quergrimmdarm, Zwölffingerdarm und Magen berührt, in 4 Lappen getheilt ist und in ihrer Mitte eine quere Vertiefung (die Pforte) zum Ein- und Austritt von Gefäßen, Nerven und Gallengängen besitzt. An dieser untern Fläche ist auch die birnförmige Gallenblase angewachsen und steht theils mit dem aus der Leberpforte hervortretenden Hauptgallengange (Lebergange), theils mit dem zum Zwölffingerdarme führenden gemeinschaftlichen Gallengange in Verbindung, so daß die aus der Leber durch den Lebergang ausfließende Galle ebensowohl in die Gallenblase (ein Reservoir für die Galle), wie auch durch den gemeinschaftlichen Gallengang, mit Umgehung der Gallenblase, sofort in den Zwölffingerdarm fließen kann.

Die Funktion der Leber ist erst in der neuern Zeit genauer bekannt worden, früher begnügte man sich blos damit, zu behaupten, daß das Blut die Leber durchströme, um die für den Verdauungsproceß wichtige Galle zu bereiten. Allerdings fand man bald, daß hierdurch, nämlich durch Absetzung des zur Gallenbildung nöthigen Materials aus dem Blute, dieses von einem Theile seiner schlechten Bestandtheile befreit und so gereinigt werde. Aber daß sich auch neue Blutkörperchen und Zucker im Blute bilden, während es die Leber durchströmt, das ist erst eine Entdeckung der Neuzeit und die Veranlassung, daß man die Leber als ein Organ, welches zur Bildung neuer Blutkörperchen bestimmt ist, ansieht und die Umwandlung der während jener Neubildung und vielleicht nur wegen derselben aus dem Blute ausgeschiedenen Stoffe zu Galle in den Leberzellen blos als eine Nebenfunktion betrachtet. Zu dieser Erkenntniß gelangte man übrigens dadurch, daß man das in die Leber ein- und ausströmende Blut mit einander verglich. Hierbei fand sich nämlich, daß die farbigen Blutkörperchen des aus der Leber (durch die Leberblutadern) kommenden Blutes beträchtlich von denen des (durch die Pfortader) in die Leber hineinströmenden Blutes abwichen, und daß das erstere Blut viel ärmer an Faserstoff, Eisen und Fett, dagegen bedeutend reicher an farblosen Blutkörperchen und Zucker als das letztere Blut ist. Ohne Zweifel geht ein Theil der in die Leber eintretenden farbigen Blutkörperchen zu Grunde und wird zur Gallenbildung (besonders zur Bildung des Gallenfarbstoffes) verwendet. – Die Galle läßt sich hiernach als ein Nebenprodukt, ein Residuum des Blutkörperchen-Zerstörungs- und Neubildungsprocesses in der Leber betrachten, welche im Darme bei der Verarbeitung (Zerkleinerung und Aufsaugung) des genossenen, in den Nahrungsmitteln befindlichen Fettes mithilft und theils vom Darme aus in das Blut zurückkehrt, theils mit dem Stuhle aus dem Körper weggeschafft wird.

Mit der Leber im engsten Zusammenhange steht die Pfortader; sie ist es, welche das Blut (durch die Pforte) in die Leber hineinschafft, damit es daselbst gereinigt und verjüngt werde; sie ist es auch, die in den meisten Fällen das Ueble thut, was man

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_356.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)