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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

gewöhnlich der Leber schuldgibt, hauptsächlich die sogenannten Unterleibs- und Hämorrhoidalbeschwerden erzeugt (s. Gartenlaube Jahrgang 1854 Nr. 18). Denn der Blutlauf in dieser Ader, sowie in deren Zweigen, die von Milz, Magen und Darmkanale her das Blut in die Pfortader schaffen, unterliegt bei unserer jetzigen Lebensweise sehr leicht und oft einer Störung. Wie man dieselben heben und vermeiden kann, wurde früher schon angegeben.

(Ueber die Leberleiden nächstens.)

Bock. 




Pariser Gefängnisse in den Decembertagen.

Es war die Nacht vom vierten zum fünften December 1851, als plötzlich schwere Schritte und rauhe Stimmen mich im besten Schlafe störten. Erst vor einigen Stunden hatte die Revolte an den Barrikaden unter dem Peloton- und Kanonenfeuer der Truppen ihr Grab gefunden und das war ein Grund, der mich ahnen ließ; während die mitternächtliche Stunde andererseits diese Ahnung bestärkte, daß der Besuch unter solchen Umständen nur der von Polizisten sein konnte. Man klopfte heftig an meiner Thür und gastfrei öffnete ich; wie ich geahnt hatte, empfing ich etwa zwölf schwarze Stadtsergeanten mit der grausamsten Zuvorkommenheit und in demselben bedenklichen und poetischen Gewande, in welchem Wallenstein von den Partisanen seiner Mörder angetroffen wurde.

Beim Schein einiger Blendlaternen lud man mich nun höflich ein, in meine eigene Wohnung näher zu treten, ein Anerbieten, welches ich mit unendlichem Dank annahm. Einer der Sergeanten nahm darauf eine große Liste und versicherte sich durch seine Fragen und meine Antworten, daß meine im Hemde vor ihm stehende Person identisch mit der auf seinem Papier beschriebenen sei. Andererseits waren die übrigen Stadtsergeanten so galant sich in meinem Zimmer zu vertheilen und ihre Theilnahme für mich so weit auszudehnen, daß sie alle Briefe, selbst parfümirte, und alle Manuskripte, worunter selbst die heiligen Ergüsse einer schwärmerischen Gymnasialpoesie sich befanden, zusammenbanden, und mehrere sonstige Gegenstände ihrer schmeichelhaften Aufmerksamkeit huldigten.

Da die Reflexion von jeher eine meiner Untugenden war, so wird es Niemandem auffallen, daß ich auch in der damaligen entblösten Lage nachdachte. Mit Hilfe des Polizisten, der sich so zuvorkommend nach meinen näheren Verhältnissen erkundigt hatte, kam meine Reflexion endlich zu dem Endpunkt, daß sie mich belehrte, wie ich von nun an diese eleganten Räume nicht mehr bewohnen, sondern sie mit jenen großen Palästen vertauschen werde, die man Gefängnisse nennt. Genug, trotz meiner Protestation und der Versicherung, daß hier eine Verwechselung in der Person stattfinde, wurde ich in Begleitung, wie es die Höflichkeit erheischte, hinunter geleitet, und wie eine große Staatsperson bestieg ich einen schon meiner wartenden Fiacre, in welchem zu meinen beiden Seiten die mir in diesem Augenblicke etwas lästigen Adjutanten Platz nahmen.

Der Weg führte uns von der Rue de Provence bis zur Polizeipräfectur und bot eines der pikantesten Schauspiele dar, die man sich unter solchen Umständen nur wünschen kann. Auf den Boulevards und den Quais, sowie in den Hauptstraßen hatte sich das Militair gelagert und große Wachtfeuer erhellten die dunkle Decembernacht. Zwei Kanonen bewachten die Eingänge jeder nur etwas bedeutenden Straße und die Kanoniere gingen, die Lunte in der Hand, auf und ab. Große Kavalleriepatrouillen und Infanteriekolonnen durchstreiften die Straßen, während an jeder Straßenecke uns die Wachtposten anriefen und respektvoll meinen Wagen passiren ließen, nachdem meine Begleiter ihnen gesagt, welche theure Person sich darin befand.

Endlich rollte der Wagen die Straße Jerusalem hinunter, was mich heute hinsichtlich der orientalischen Frage wiederum zum Nachdenken veranlaßt. Die heilige Straße ist aber in Paris für diejenigen, welche sie unfreiwillig passiren, schrecklich kurz und bald umfingen mich die ehrwürdigen Mauern der Polizeipräfektur, die, früher ein Residenzschloß der französischen Könige, schon lange ein anderes Schloß geworden ist. Nachdem man mich dem Bureau der Präfektur vorgestellt, welches ebenfalls sich theilnehmend nach meinen Verhältnissen erkundigte, ließ man mich eine steinerne Treppe hinaufgehen, an deren Ende ein lustiger Wächter mich willkommen hieß, einen großen Riegel zurückschob und mich in einen Saal eintreten ließ, dessen Salpeteratmosphäre mir zuerst den Athem benahm.

Eine große Menschenmenge befand sich in diesem oblongen und mit Fliesen gepflasterten Saal; die Inwohner hatten sich theils auf die zu beiden Seiten des Saales herabgelassenen und mit Strohsäcken und wollenen Decken belegten Pritschen niedergelegt, theils drängten sie sich in dem mittleren schmalen Gange. Eine große Laterne erleuchtete den Saal, bei deren Schein ich bemerken konnte, wie die sonst hier gewöhnlich sich aufhaltende Klasse von allerhand Verbrechern kaum vertreten war, sondern sich dem Anscheine nach nur gebildete und von der Politik gepackte Personen befanden, deren oftmals fashionable Toilette sonderbar mit dem Gestank und Schmutz dieses Gefängnißsaales in Kontrast stand. Von Zeit zu Zeit öffnete sich die Thür von Neuem und ein neuer Kamerad trat herein. Die Unterhaltung bestand meistentheils in Pfeifenrauchen oder in der Mittheilung der verschiedenartigsten Variationen, unter denen diese Gesellschaft sich hier Rendezvous gegeben hatte.

Endlich wurde es Tag; die Pritschen mit ihren mülligen Strohsäcken und den von allerliebsten kleinen, für den Menschen nach Buffon sehr dienlichen Thierchen wimmelnden Decken wurden in die Höhe gehoben und die verschiedenartigsten Physiognomien sahen sich beim Tageslichte höchst drollig an. Nach der Brotvertheilung, welches an Qualität und Quantität für Gefangene vorzüglich ist, kam der Marketender, der mit Papier und Tinte, Federn, Taback, Pfeifen, Butter, Käse, Fleisch und Wein handelte. Die Mehrzahl suchte sich nach seiner Entfernung irgend ein Plätzchen aus, um Briefe zu schreiben, die alsdann dem Wärter offen gegeben wurden. Um acht Uhr wurden irdene Näpfe vertheilt, in denen sich Liebhaber ihre Portion Kohlsuppe hineinfüllen lassen konnten.

Wie gesagt, war der Saal von Menschen fast überfüllt und im Laufe des Tages kamen noch immer neue Vermehrungen hinzu. Die Salontoiletten zogen natürlich sehr krause Nasen und einige, worunter hauptsächlich ein Volksrepräsentant, hielten gewaltige Reden über die Schmach, sie in ein solches Loch zu sperren, wo sich Niemand um sie kümmere. Die Leute hatten Unrecht so zu sprechen, denn daß man sich um uns kümmerte, wurde gegen Abend klar, wo Viele, wahrscheinlich um das übervolle Lokal zu leeren, herausgerufen wurden, unter denen auch ich mich befand. Die Hoffnung, die sich nun regte, schon in Freiheit gesetzt zu werden, kroch bald wieder zusammen; denn man führte uns durch Korridore und eisenvergitterte Gänge jenem Theile des Präfekturgebäudes zu, welches die Conciergerie heißt. Eine große eiserne Thür öffnete sich, um uns hineinzulassen. Ein allgemeiner Schrei der Empörung empfing uns, um dagegen zu protestiren, weil die Unglücklichen hier wie eingerammte Pfähle standen und ich mit Resignation meinen Trost in dem Sprüchworte fand, daß ich „aus dem Regen in die Traufe gekommen sei,“ denn mitleidslos schlug der Wärter die Thür hinter mir zu und nun erst konnte ich mir einen wahren Begriff von der kläglichen Situation jenes Engländers machen, der lediglich um die Kaiserkrönung zu sehen, nach Frankfurt kommt und dort im Gedränge seinen Hut über die Augen geschlagen erhält, ohne im Stande zu sein sich vor Ablauf der Kaiserkrönung denselben durch seine bisher durch das Gedränge festgehaltenen Hände abzureißen.

Der große Saal bildete augenscheinlich das Schiff einer vor Zeiten hier gestandenen Kirche und war in diesem Augenblick von mehreren Laternen erleuchtet. Die zusammengepreßten Menschen tobten und lärmten auf eine ohrbetäubende Weise, um Errettung aus ihrer grausamen Lage zu erhalten; aber eine plötzliche Stille trat ein, als der Officier in einer der im obern Raum dieses mächtigen Gefängnisses angebrachten Loge erschien und nach einer Fluth von Flüchen versicherte, daß seine Leute dazwischen schießen würden, wenn man sich nicht ruhig verhielte. Nur leise hörte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_357.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)