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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

dieser Gerüchte ist ein ehrloser Verleumder, ein Elender, der verdient, daß man ihn zur Rechenschaft zieht.“

„O, diese glühende Vertheidigung!“ rief Bernhard bitter. „Mir scheint, der schmachtende Herr von Beck hat ein günstiges Terrain für seine Manipulationen gefunden.“

Elise erhob sich.

„Bernhard,“ sagte sie mit bebenden Lippen, „diese letzte Kränkung kann ich Dir nicht verzeihen, denn sie greift das einzige Gut an, das ich Dir mitgebracht habe. Ich war arm, als Du mich kennen und lieben lerntest, und darum hielt ich Deine Liebe für wahr und aufrichtig. Du botest mir Deine Hand an – ich zögerte nicht, sie zu empfangen, weil ich Dich liebte und weil ich meine Ehre eben so hoch anschlug, als Dein Vermögen. Die Gattin eines reichen, geachteten Mannes zu werden, hielt ich mich für würdig, und daß ich fähig sei, Dein Glück vollständig zu machen, hast Du mir mehr als tausendmal gesagt –“

„O gewiß, Elise,“ unterbrach sie der junge Mann, „von Dir hängt mein ganzes Glück, aber auch mein Unglück ab. Du bist mein Stolz, und ich sehe mich gern von Andern beneidet; aber sobald ich aufhören muß, stolz auf Dich zu sein, sobald man mich mitleidig belächelt, bin ich unglücklich. Und dieser Zeitpunkt, Elise, droht jetzt einzutreten, wenn er nicht schon eingetreten ist. Mein Gott, was fordere ich denn von Dir? Fällt es Dir denn so schwer, der Ruhe Deines Mannes, der Dich anbetet, ein Opfer zu bringen? Steht Dir Frau von Beck höher, als Dein Mann? Findest Du keine Befriedigung mehr in seiner Liebe? Was hast Du mir auf alle diese Fragen zu antworten?“

Die junge Frau ergriff liebreich die Hand ihres Mannes.

„Bernhard,“ sagte sie in einem milden Tone, „als Antwort richte ich eine Frage an Dich: was würdest Du sagen, wenn ich von Dir forderte, daß Du Deinen Umgang mit den Männern einstellen solltest, die im Besitze schöner Frauen sind? Wenn ich Dir z. B. jetzt sagte: meine Ehre erfordert es, daß Du Herrn W. nicht mehr empfängst, der mit einer schönen, aber koketten Frau verheirathet ist? Läge in dieser Forderung nicht ein Mißtrauen, das Dich verletzen muß? Ich achte Dich zu hoch, mein lieber Freund, um auch nur den Gedanken zu fassen, daß Du mich je hintergehen könntest. Und diese Achtung fordere ich auch von Dir. Es giebt keine wahre und beglückende Liebe, die sich nicht auf Achtung und gegenseitiges Vertrauen gründet. Wilhelmine liebt ihren Gatten eben so zärtlich, als ich Dich liebe, und er betet sie an, wie eine Heilige, die sich herabläßt, ihn glücklich zu machen – was für eine traurige Figur würde ich spielen, wollte ich zwischen diese Liebe treten! Bernhard, lerne besser von mir denken und erniedrige mich nicht durch ein verletzendes Mißtrauen.“

Bernhard fühlte sich fast besiegt durch diese, mit einer unbeschreiblichen Innigkeit gesprochenen Worte; aber das Mißtrauen hatte einmal Wurzel gefaßt, und er konnte es nicht verbannen. Ihm schien selbst, als ob Elise alle ihre Reize zu Hülfe nahm, um seinen Verdacht einzuschläfern.

„Den Mittheilungen gegenüber, die man mir über Herrn von Beck gemacht hat, kann ich Deine Gründe nicht gelten lassen!“ murmelte er, die Blicke von der reizenden Frau abwendend. „Ein Mann in meiner Stellung muß auch der öffentlichen Meinung Rechnung tragen. Elise, zeige durch Deine Willfährigkeit, daß man Dich unschuldig verleumdet hat!“

„Verleumdet!“ flüsterte sie, bestürzt über die kalte Ruhe ihres Mannes. „Wohlan, ich werde es beweisen,“ fügte sie würdevoll hinzu; „aber nur durch Mittel, die nach meiner Ansicht dazu geeignet sind!“

Sie verließ den Saal, ohne ihren Mann zu grüßen.

Bernhard sah einige Augenblicke unverwandt auf die Thür, durch die sie verschwunden war. Einen solchen Widerstand hatte er nicht erwartet. Seine Pulse klopften fieberhaft, seine Augen glüheten, seine Lippen zitterten.

„So wäre denn der Kampf eröffnet!“ murmelte er. „Meine Frau ist eine Schönheit, aber eine stolze, herzlose, kokette Schönheit, die vernichtet, statt zu entzücken. Sie kennt die Macht ihrer Reize, sie weiß, wie sie mich gefesselt hält; aber auch ich setze ihr Stolz entgegen, und werde die Fesseln zu brechen suchen. Wer mir das vor drei Jahren gesagt hätte, selbst vor einem Jahre noch, als diese Syrene weinend an meinem Krankenbette saß! Die Frauen lügen alle, alle; ihre Empfindungen sind erheuchelt, und ihre Thränen, ihr Lächeln, ihr Schmerz und ihre Freude Maske! Die Lüge ist das Fundament ihrer Sprache, und die Wahrheit bildet nur eine Ausnahme. Die Tugend üben sie nur aus Laune oder Berechnung. Und einer solchen Syrene habe ich meine Ehre anvertraut! Ah, wir werden ja sehen, wer Sieger bleibt!“

Zitternd verließ er den Saal. Kaum hatte er sein Zimmer betreten, als man ihm Herrn von Beck anmeldete. Ueberrascht sah er den Diener an.

„Herr von Beck?“ fragte er.

„Herr von Beck!“ wiederholte der Diener.

„Man weise ihn ab!“

Der Diener wollte sich entfernen.

„Josef!“ rief der Herr.

Josef kam gehorsam zurück.

„Unter welchem Vorwande willst Du den Besuch abweisen?“ fragte Bernhard.

„Ich werde angeben, daß Sie nicht zu Hause seien.“

„Nein, nein!“

„Oder daß Sie unpäßlich sind –“

Bernhard ging unschlüssig im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er stehen und sagte:

„Laß Herrn von Beck eintreten!“

Josef entfernte sich.

„Es ist besser, daß ich ihn empfange,“ flüsterte Bernhard vor sich hin. „Ohne Zweifel hat ihm seine Frau meine Aeußerungen mitgetheilt – es wäre feig, wollte ich mich verleugnen lassen. Wollen sehen, wie der gute Mann sich benimmt. Was hält mich ab, ihm die Wahrheit in das Gesicht zu sagen? Doch nein, ich muß vorsichtig sein, da mir noch Beweise fehlen. Ein solcher Roué verwickelt mich in einen Criminalproceß, und die Processe sind mir in tiefster Seele verhaßt.“

In diesem Augenblicke öffnete Josef die Thür, und ein junger, höchst elegant gekleideter Mann trat ein.

„Störe ich?“ fragte er lächelnd, indem er dem Herrn vom Hause die Hand reichte.

Bernhard war überrascht, ein so ruhiges, freundliches Gesicht zu sehen. Statt zu antworten, gab er dem Diener Befehl, sich zu entfernen.




III.

Der Herr von Beck, der Zankapfel der beiden Gatten, war ein junger Mann von vielleicht achtundzwanzig Jahren. Seine Manieren waren gewandt und aristokratisch wie sein Aeußeres. Bleicher Teint, blaue Augen, dunkeles Haar und ein schwarzer Schnurrbart machten seinen Kopf modern, interessant. Seine Toilette war untadelhaft, reich und nach dem neuesten Geschmacke. Bernhard erfaßte alle diese Eigenschaften, die den Besitzer bei den Frauen gefährlich machten, mit dem scharfen Blicke der Eifersucht. Und dieser Mann war Wilhelminens Gatte, von dem man sich Mancherlei in’s Ohr flüsterte.

„Was giebt mir die Ehre Ihres Besuchs?“ fragte Bernhard.

Der junge Elegant war erstaunt über den kalten, höflichen Ton, er schien ihn selbst in Verlegenheit zu setzen. Doch nur wie ein Blitz zuckte dieser Ausdruck über sein Gesicht, das im nächsten Momente zwar die Freundlichkeit verloren, aber dafür einen ruhigen Ernst gewonnen hatte.

„Mein Besuch, mein Herr, hat einen seltsamen, aber dabei sehr wichtigen Grund. Die Absicht, eine delikate Angelegenheit delikat zu behandeln, gebe ich jetzt auf, da Ihr Empfang nicht der Stimmung entspricht, in der ich Sie anzutreffen voraussetzte. Ich wende mich jetzt an den Mann von Stande, von Charakter, von – Ehre!“

„Er weiß bereits Alles; ich werde bei dem Manne fortfahren, wie ich bei der Frau begonnen habe!“ dachte Bernhard. „Sie sehen mich bereit,“ antwortete er laut, „Ihnen als Mann von Charakter und von Ehre – dieses Wort betonte er – entgegenzutreten.“

Beide Männer setzten sich.

„Mein Herr,“ begann der Gast, „wir lernten uns vor einem Jahre in Karlsbad kennen. Für uns Männer blieb diese Bekanntschaft eine jener flüchtigen Anknüpfungen, wie man sie häufig in den Bädern macht.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_366.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)