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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

und an Allem was die Welt von heute bewegt, drängt, stößt und weiter schiebt, wenig an die Vergangenheit und an gestorbne Dichter denken kann. Er läßt das Alles gelten, sieht es auch gern, wenn Andre sich damit beschäftigen; er selbst hört aber höchstens eine halbe Stunde nach Tische zu, wenn man ihm mit solchen Dingen kommt, und auch dann mag er stets lieber von lebenden Dichtern hören, als von todten. Er ist eben ein Lebemann. Ich schwieg deshalb in Hof, wo wir uns aufhielten, von meinem Dichter und hörte Theobald’s Bericht von Hofs modern-industrieller Wichtigkeit mit größerm Interesse an, als er gethan haben würde, wenn ich ihm von Richter’s (ich nenne den großen deutschen Dichter lieber mit seinem deutschen Namen, als mit dem französirenden „Jean Paul“, den er noch dazu dem guten Jean Jacques nachgeahmt hat) in Hof verlebten Jugendjahren erzählt hätte. Und doch kam mir die komische ächt deutsche Geschichte nicht aus dem Kopfe, wie der junge Dichter als etwas anrüchiger Candidat Richter von der ganzen hofer Welt wie ein Paria, oder besser, wie ein Schinderknecht behandelt wird, weil er – keinen Zopf und keine Halsbinde trägt, und sich endlich genöthigt sieht, um nur zu menschlicher Gesellschaft zugelassen zu werden, wonach sein Herz so gewaltig dürstete, einen steifen Zopf an- und eine Halsbinde umzubinden, welchen heroischen Entschluß er in einem allerliebsten Bulletin bekannt machte. Auf der Weiterfahrt nach Bayreuth warf ich meine Augen noch oft in der Gegend umher, bald links nach den Fichtelbergen, aus welchen die dunkle Saale herausströmt, bald rechts an der Saale hinab; denn diese Gegend ist ein durch Richter heilig gewordenes Land. In Schwarzenbach an der Saale und in dem Dorfe Jodiz verlebte er seine arme Jugend, die er mit den brennendsten Farben der Poesie ausgeschmückt, und diese und die andern kleinen Orte, in welchen er als Kind, Jüngling und junger Mann lebte und verkehrte, wie Zedwiz, Töpen, das Bad Steben etc. bilden die Staffage und Lokalitäten seiner meisten Romane. Nie hat ein Dichter sich selbst, seine Freunde und Bekannte, wie seine Wohnorte inniger in seine Schöpfungen verwebt und getreuer geschildert, als er. Vor allen aber war ihm Bayreuth die heilige Sonnenstadt seiner Sehnsucht, und ich werde später zeigen, mit welchen glühenden nur ihm eigenthümlichen Tinten er die reizende Fürstenstadt mit ihren benachbarten herrlichen Lustschlössern Fantaisie und Eremitage gemalt hat. Und nach Bayreuth eilten wir, wo hinab er als Jüngling von seinen Bergen so oft gepilgert, in dessen sonniger Thalmulde er sich stets ein kleines Landgut als höchstes Lebensziel gewünscht, und in welchem er die letzten zweiundzwanzig Jahre seines Lebens gewohnt, wo er seine Laufbahn beschlossen, auf dessen Friedhof sein irdisch Theil gebettet ist, auf dessen schönstem Platze sich seine meisterhafte Erzstatue, eine Pietätsstiftung des Königs Ludwig von Bayern, erhebt, seine milden genialen Züge in die ferne Nachwelt hinüberzutragen. Haben doch Dichter schon die Stadt nach ihm „die sonnige Jean Paulsstadt“ benannt.

Als der Zug auf dem Bahnhof in Bayreuth hielt, glaubten wir in dem ganz nahen großartigen, im modernsten Style erbauten prächtigen Massivgebäude das Bahnhofsgebäude bewundern zu dürfen; Freund Edmund, der uns jubelnd empfing, belehrte uns aber, daß dieses imposante, die ganze Umgegend weithin beherrschende Haus die neue Aktien-Baumwollenspinnerei sei, von welchem tüchtigen industriellen Unternehmen mir Theobald schon unterwegs gesprochen. Dieser begrüßte denn auch das Haus mit einem wahren Freudenschrei. „Heil den deutschen Städten“, rief er begeistert, „die an ihre Bahnhöfe solche prächtige Stätten des deutschen Kunstfleißes bauen! sie werden ein Wort in der Zukunft mit zu reden haben. Ich lasse Dir gern Deine liebenswürdige Markgräfin von Bayreuth, die als Lieblingsschwester Friedrich’s des Großen auch einen großen Theil seines Geistes besessen haben mag, ich lasse Dir Deinen bewunderten und geliebten Jean Paul, den unsterblichen Stern Bayreuths; sie haben ihre Berechtigung gehabt, sie haben ihre Lebensaufgabe gelöst. Was mich betrifft, so kann ich mich nicht viel mit den Dingen einlassen, die hinter uns liegen. Dieses herrliche Haus vor mir ist ein Tempel meines Kultus.“

Wir besuchten denn auf seinen Betrieb das ausgezeichnete noch ganz junge Etablissement, welches schon so gute Früchte trägt, zuerst, und Theobald wird Ihnen ein Bild der Spinnerei und einen Bericht über ihre Entstehung, und ihre junge Wirksamkeit für die Gartenlaube schicken. – „Ich wünsche nichts mehr“, bemerkte Edmund fein zu Theobald gewandt, „als daß unsre gute Stadt Bayreuth durch noch viele solcher Unternehmungen berühmt und reich werde. Einstweilen müssen wir uns indeß an das halten, was wir wirklich haben. Und da ist denn Bayreuth wirklich eine berühmte Stadt, eine Stadt des deutschen Geistes, der deutschen Poesie, wenn auch nicht ganz wie Weimar, aber wahrlich nicht viel weniger. Denn unser Richter wog in der Wagschale des Geistes wahrlich nicht geringer als Goethe und Schiller. Was wir aber voraus haben, ist eben die holde geistreiche Markgräfin, die Schöpferin dieses neuen Bayreuth, das allen Besuchern so wohlthuend imponirt, der Fee, welche sich das wunderliebliche Zauberschloß Eremitage geschaffen, der schalkhaften, geistvollen, natürlichen und süßberedten Verfasserin der unvergleichlichen Memoiren, einer der wichtigsten Erkenntnißquellen der Geschichte und der Sitten des vorigen Jahrhunderts. Bayreuth ist durch Geist berühmt geworden; feiern wir den Geist und die Geister, die es berühmt gemacht! Insofern wir Bayreuth mit Recht eine Stadt und Statt des Geistes nennen dürfen,“ fuhr Edmund weiter fort, „wird es merkwürdiger Weise gewissermaßen von drei hier existirenden Frauenbildern und was damit in Verbindung steht, repräsentirt, das erste ist das der geistreichen Markgräfin Friederike Sophie Wilhelmine von Bayreuth, ältesten Tochter des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen und Gemahlin des Markgrafen Friedrich; das zweite ist ein Geist an sich, das Bild der berühmten „weißen Frau“, des deutsch-fürstlichen, vorzüglich brandenburgischen (königl. preußischen Familiengespenstes); das dritte endlich das Portrait der witzigen und geistbegabten Freundin des großen Dichtergeistes, dessen Namen mit dem der Stadt Bayreuth auf ewig verwebt ist, der Frau Rollwenzel, der Wirthin in dem kleinen Wirthshause, eine halbe Stunde östlich von der Stadt. Jean Paul hatte in diesem Hause bekanntlich ein Zimmer, in welchem er oft zu arbeiten pflegte, und welches wir besuchen werden. Dort unterhielt er sich oft und gern mit der aufgeweckten Wirthsfrau; ihr natürliches Urtheil über Menschenwelt und Natur blieb nicht ohne Einfluß auf die Darstellungen des Dichters in seinen spätern Werken, und er selbst hat ihr den Kranz der Unsterblichkeit um die Schläfe gewunden. Da habt Ihr denn den berühmt machenden Geist Bayreuths nach drei Richtungen hin.“

„Allerliebst!“ rief ich aus. „Das ist ja eine köstliche Galanterie an die ganze Frauenwelt Bayreuths, die hoffentlich noch heute einen großen Schatz an Geist besitzt, und eine achtungswerthe Concession an das Frauenthum überhaupt.“

„Die ich mir auch gefallen lasse!“ sagte Theobald lächelnd. –


Die Markgräfin.

In der Vorstadt „St. Georgen-Stadt“, sonst „St. Georgenstadt am See“ genannt, eine Viertelstunde nordöstlich über Bayreuth am Brandenberg, jetzt Hohe Warte, gelegen und von 1701 bis 1708 erbaut, steht das allerliebste markgräfliche Lustschloß, das brandenburger Schloß genannt, dessen Hauptlogis massiv, dessen beide Flügel von Holz erbaut sind, beides, Schloß und Stadt, eine Schöpfung des Markgrafen Georg Wilhelm und seiner Gemahlin Sophie. Das Hauptgebäude ist jetzt Militärhospital, der südliche Flügel seit 1836 ein Waisenhaus (Leers’sche Stift). Im Saale dieses Flügels hängen vier vortreffliche lebensgroße Oelbilder, der Markgraf Friedrich von Brandenburg-Bayreuth, ohnehin letzter Fürst dieses Stammes, gest. 1763, seine beiden Gemahlinnen und seine Tochter, sein einziges Kind. Die erste Gemahlin war das älteste Kind des Königs; Friedrich Wilhelm I. von Preußen, und sie ist die berühmte Markgräfin von Bayreuth, die Lieblingsschwester Friedrich’s des Großen; die zweite Gemahlin war eine Nichte der ersten, Tochter ihrer jüngeren Schwester Charlotte und des Herzogs Karl von Braunschweig-Bevern; die Tochter endlich (von der ersten Gemahlin) war Elisabeth Friederike Sophie, die erste und unglückliche Gemahlin des bekannten Zöglings Friedrich’s des Großen, des Herzogs Karl Eugen von Würtemberg, des prachtliebenden Verschwenders, genialen Fürsten und Feindes der Dichter Schubert und Schiller. Wir haben es hier nur mit dem Bilde der ersten Gemahlin des Markgrafen Friedrich zu thun, von welchem wir eine treue und schöne Abbildung in der Gartenlaube geben. Ich habe stundenlang vor diesem herrlichen Bilde gestanden und mich in die feinen Züge,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_370.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)