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Garçon, so lange ich athme. Die Sache machte mir Sorgen, denn Cäsar ist mein einziger Verwandter und ein guter Junge, ich möchte nicht, daß er durch ein Vorurtheil unglücklich würde. Er glaubt, ich sei ihm böse – und doch hat er keine Beweise davon. Dies läßt allerdings auf Hypochondrie schließen, eine Krankheit, an der auch sein Vater gelitten hat, und die ihm das Leben bis zur Unleidlichkeit verbitterte. Ich hielt es für Pflicht, dem Fortschreiten des Uebels, zu dem ich Anlaß gegeben haben soll, vorzubeugen, und entschloß mich zu einer Reise nach Leipzig, um meinen hypochondrischen Neffen zu beobachten, ohne daß er es weiß, denn es soll nicht scheinen, als ob ich ihm nachliefe. Nun bin ich seit einigen Tagen in Leipzig, und zog unter der Hand Erkundigungen ein. Niemand konnte mir nähere Auskunft geben, weil Cäsar sich nur kurze Zeit hier aufhält und wenig bekannt ist. Gestern erfuhr ich, daß Herr Bernhard Rudolphi mit Cäsar, und Madame Rudolphi mit Frau von Beck in sehr freundschaftlichen Verhältnissen stehen; da der glückliche Zufall es außerdem auch wollte, daß ich an Sie empfohlen war, so zögerte ich nicht einen Augenblick, mich Ihnen vorzustellen, um Sie zu bitten, mir in der Erreichung meines Zwecks behülflich zu sein.“

Bernhard hatte mit Erstaunen zugehört. Das Leben des Mannes, auf den er einen glühenden Haß geworfen, lag jetzt klar vor ihm. Daß Wilhelmine früher dramatische Künstlerin gewesen, hatte er nicht gewußt – er glaubte sich jetzt die besondere Freundschaft zwischen ihr und Elisen erklären zu können. Aber auch sein Verdacht erhielt dadurch neue Nahrung, und Elise erschien ihm doppelt strafbar.

„Mein Herr,“ fragte er nach einer Pause, „auf welche Weise, kann ich Ihnen nützlich sein?“

„Zunächst dadurch, daß Sie mich den Zustand meines Neffen kennen lehren, den wohl Niemand besser wissen kann, als Sie, da Sie mit ihm befreundet sind. Aus Offenheit glaube ich um so mehr rechnen zu können, da Sie Ihrem Freunde einen Dienst erzeigen, den er Ihnen von Herzen danken wird.“

„O gewiß, Sie können auf meine Offenheit rechnen!“ rief Bernhard mit einem Anfluge von Bitterkeit, denn er fühlte das Bedürfniß, dem Senator, der ihm ein würdiger Mann zu sein schien, sein Herz auszuschütten. „Aber ich sende die Bemerkung voraus, daß ich durch meine Offenheit nicht dem Neffen, sondern nur dem Onkel einen Dienst leiste.“

„Wie?“ fragte erstaunt der Senator. „Demnach werde ich nichts Gutes hören.“

Bernhard war so aufgeregt, daß sich sein Gesicht röthete. Der Zorn darüber, daß ihm Elise den frühern Stand Wilhelminens verschwiegen, also ein Geheimniß vor ihm hatte, trieb ihm die Galle in das Blut.

„Urtheilen Sie selbst, mein Herr!“ fuhr er fort. „Wir lernten Herrn von Beck und Gattin in Karlsbad kennen, oder richtiger gesagt, unsere beiden Frauen lernten sich kennen, denn ich verhehle es nicht, daß Herr von Beck nie meine Sympathie gehabt hat. Nach beendeter Kur entschloß sich Ihr Neffe, aus Rücksicht für seine Frau, wie er sagte, den Winter in Leipzig zu verleben. Hier ward die Freundschaft der beiden Frauen so innig, daß sie einen Reflex auf die beiden Männer warf. Kurz, mein Herr, das Gerücht amalgamirte Elisen, Cäsar, Wilhelmine und Bernhard Rudolphi. Die Welt weiß, daß auch meine Frau einst der Bühne angehörte, und Sie, Herr Senator, wissen ohne Zweifel, daß eine Schauspielerin, wenn sie in das Privatleben übergetreten ist, immer noch mit Vorurtheilen zu kämpfen hat. Aus diesem Grunde veranlaßte ich meine Frau, den intimen Umgang mit Frau von Beck aufzugeben.“

„So!“ murmelte der Senator. „Und Cäsar?“

„Cäsar ist derselbe geblieben.“

„Hypochonder?“

„Wenn Sie zugeben, daß man aus Hypochondrie ein Spieler ist – ja!“

„Wie, Cäsar spielt? Natürlich Whist, L’hombre –“

„Nein, mein Herr, er spielt an der Spielbank in Köthen, wo man ihn noch vor kurzer Zeit die ganze Nacht gesehen hat. Abends fährt er still und heimlich hinüber, und Morgens kommt er zurück. Ich überlasse es Ihrem Ermessen, ob dies ein Zug von Hypochondrie ist. Und dazu kommt noch, daß er bedeutende Schulden gemacht hat. Ein Mann, der mit reichen Leuten verkehrt, hat Kredit.“

„Was ist das?“ dachte der Senator. „Sollte man auch mit meiner Gutmüthigkeit spielen wollen? Will die Schauspielerin mich zu einem Komödien-Onkel machen?“

„Dies ist Alles, mein Herr, was ich Ihnen über Cäsar von Beck sagen kann.“

„Es genügt, um meine Ansicht festzustellen,“ antwortete der Senator, indem er aufstand. „Nehmen Sie meinen Dank und die Versicherung, daß ich zu Gegendiensten bereit bin.“

„Diskretion empfehle ich nicht, da Sie es begreiflich finden werden, daß sie nur unter den obwaltenden Umständen angenehm ist.“

Der Senator reichte dem jungen Mann die Hand, nahm seinen Hut, und verließ das Zimmer. Gleich nach dem Senator verließ auch Rudolphi das Haus.




V.

Es war gegen drei Uhr Nachmittags, als Lorenz zu seinem Herrn in das Zimmer des Hotels trat, das er seit acht Tagen bewohnte. Der Senator befleißigte sich der Verdauung eines reichlich genossenen Mittagsmahls; er befand sich in einer gewissen behaglichen Ruhe, in dem glücklichen Zustande, der genau die Mitte hält zwischen dem Tiefsinne des philosophischen Denkers und der Zufriedenheit wiederkäuender Thiere. Ein Psycholog, – ich erinnere mich seines Namens nicht mehr – nennt diesen Zustand die materielle Melancholie der Gastronomie. Wie man sieht, hatten die übeln Nachrichten von dem Neffen dem Onkel den Appetit nicht verdorben.

„Was willst Du, Lorenz?“

„Herr Senator, ich habe eine Wohnung gefunden, die für uns paßt.“

„Hast Du sie gemiethet?“

„Nein; die Besitzerin des Hauses verlangt, daß Sie selbst den Kontract mit ihr abschließen.

„Die Besitzerin?“ murmelte der Senator in einem Tone, der sein Mißfallen über dieses Wort verrieth.

„Mir wäre freilich ein Besitzer lieber gewesen; aber da die Zimmer elegant und bequem sind, und das Haus in der Nähe der Wohnung Ihres Neffen liegt, so halte ich dafür, daß wir ein Auge zudrücken.“

„Laß einen Fiaker kommen!“

„Herr Senator.“

„Lorenz?“

„Ich glaube nicht daran, daß Herr Cäsar ein Spieler geworden ist. Man hat ihn verleumdet.“

„Mir wäre es lieb, wenn Du Recht hättest. Um die Wahrheit zu erfahren, werden wir einige Zeit hier bleiben.“

„Das beruhigt mich; ich hole den Fiaker.“

Nach einer Viertelstunde bestiegen Herr und Diener den Wagen, der bald darauf vor einem großen, unfreundlichen Hause hielt. Lorenz ging durch die offene Hausflur in den Hof, und zog dort an einer Glocke, die sich neben der Thür des Hintern Hauses befand. An dieser Thür war ein Schild mit der Aufschrift befestigt: „Dr. Nataß, praktischer Arzt und Geburtshelfer.“ Eine Magd öffnete.

„Wir wünschen Madame zu sprechen!“ sagte Lorenz.

„Treten Sie gefälligst in dieses Zimmer; ich werde Madame rufen.“

Die Magd ließ den Senator in ein kleines Vorzimmer treten. Lorenz, der seine Pflicht kannte, blieb auf der schmalen Hausflur zurück. Der Senator ließ sich auf einem Stuhle nieder, und wartete. Da hörte er in dem angrenzenden Zimmer, dessen Thür geschlossen war, Stimmen. Bei der tiefen Stille, die in dem Hause herrschte, konnte er jedes Wort verstehen. Ohne es zu wollen, ward er Zeuge folgenden Gesprächs: „Herr Doctor,“ sagte eine Frauenstimme, „es liegt mir viel, sehr viel daran, Gewißheit über den Gesundheitszustand der jungen Dame zu erhalten. Man sagte mir, sie habe die Schwindsucht.“

„Und Sie glauben nicht daran, Madame?“ fragte die sanfte Stimme des Arztes.

„Ja, ich habe Gründe dazu. Von Ihrem Ausspruche hängt mein Entschluß ab, der für die betreffende Dame von Wichtigkeit ist.“

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