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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Gewohnheit und durchaus nicht aus seelischem Bedürfniß. Nichts war in der Ruhl weniger zu finden als religiöser Sinn, und wie es überhaupt wenig Bücher in den Häusern gab, so gehörte gerade die Bibel auch nicht zu den dort viel gesehenen und gelesenen. Um die widerwärtigen kirchlichen Zänkereien der Zeit bekümmerten sich diese an Geist und Leib gesunden Menschen ganz und gar nicht; sie wußten überhaupt vom Heidenthum viel mehr als vom Christenthum. Mit ihren Pfarrern lebten sie stets auf einem gespannten Fuße; sie thaten diesen würdigen Herren gern allerlei kleinen Schabernack an und machten sie zur Zielscheibe ihres derben Witzes.

Wir können nur noch Weniges über die rühler Mundart hinzufügen, und das führt uns erst auf die eigenthümliche Art des Grußes, sodann auf die noch seltsamere Benennung der Personen in der Ruhl. Man grüßt da keineswegs wie in der übrigen Welt mit einem frommen Wunsch, sondern mit einer Frage. Steht Jemand am Fenster, so grüßt der Vorübergehnde mit der Frage: „settchüch an öm?“ (seht ihr euch denn um?) Ist es spät: „wollt an ball schlaof geh?“ Früh: „haat an uisgeschlaoffen?“ Vormittags: „haot an d’u Brandwin getrounken?“ Der Sitzende wird mit der Frage gegrüßt: „Is an de Rouh gut?“ Ein Besuch im fremden Hause: „Seid an spill gangen?“ Die Antwort ist natürlich entsprechend.

Die eigentlichen gesetzlichen Namen der Leute standen nur in den Kirchen- und Gemeinderegistern. Dort standen sie gut; Niemand bekümmerte sich darum, Niemand konnte; nach einem solchen war kein Mensch im Ort zu erfragen. Da hatten die Leute ganz andre Namen, Namen von der eigenthümlichsten und seltsamsten Bildung. Und diese pflanzten sich nicht nur vom Vater, sondern auch von der Mutter auf die Nachkommenschaft fort, immer mit Anhängung der besondern namentlichen Bezeichnung des Individuums. Waren z. B. drei Söhne in einem Hause, so wurde der Aelteste „der Groß“, der Mittlere „der Deck“ (Dicke, und wenn er ganz dürr war), der Jüngste „der Klenn“ (der Kleine, und wenn er der Längste war), genannt, jedoch mit Vorsetzung des Spitznamens des Vaters oder der Mutter. Diese Spitznamen selbst waren durch die mannigfachsten Zufälligkeiten entstanden, so daß sie zum größten Theil gar nicht mehr zu erklären sind.

Solcher Namen sind: Hopphansen-Balten, Schicken Hannes, Kepp-Kap, Gelen-Dorten-Barlies, Buide-Krischen-Gehennes, Bol-Niklaosen-Hangobes, Kraers-Gretchen-Wölfsdeck, Schloos-Hirzen-Jane, Juiditen-Aller, der Giller, das Buttermesser, der Kuvatsch, Bären-Hantines, Hülers-Hanmerten, Sidonen-Gehennes, der Hähstoffel etc.

Die eigenthümlichen Vokaltöne der Sprache können mit unsern Schriftzeichen nicht ausgedrückt werden. Das a wird meist dumpf, als Mischlaut von a und o ausgesprochen, z. B. Vaoter; e bekommt dagegen oft den a-Laut, wie in laben d. i. leben. ä und nicht selten e haben den hellsten schärfsten a-Laut, z. B. Májen (Mädchen), práchtig (prächtig), der Bást (Beste). Die Infinitivendung en fällt immer weg, dafür erhält das Wort die Participialvorschlagsylbe ge, z. B. gegeh = gehen, gehür = hören. Uebrigens ist die Sprache außerordentlich arm an abstrakten Ausdrücken, so daß viele Begriffe entweder gar nicht, oder nur durch weitschweifige Umschreibung auszudrücken sind. Man sieht sogleich es ist die Sprache von Menschen, die der Geistesbildung ermangeln, aber sie hat primitive frische und kindliche Naivetät. Man erzählt sich, daß Friedrich der Große, der 1747 und in den folgenden Jahren, als die Messerschmiede in Ruhla sehr in Noth gekommen waren, eine nicht unbedeutende Auswanderung nach Neustadt-Eberswalde zur Anlegung einer königlichen Messerfabrik veranlaßte, die Rühler gern sprechen hörte und sich bemühte, ihnen nachzusprechen. Das Unternehmen scheiterte, und die Nachkommen jener Auswanderer leben in einer Vorstadt dort in ärmliche Verhältnissen zusammen und haben Sprache und Sitte noch treuer bewahrt, als der Mutterort.




Drei Frauenbilder in Bayreuth.
1. Die Lieblingsschwester Friedrich den Großen.
(Schluß.)

Es kann nicht in unserer Absicht liegen, hier nochmals die bekannten Intriguen und Machinationen aufzuzählen, welche von der Hofpartei des Königs und der Königin wegen der Heirath der Prinzessin in Bewegung gesetzt wurden. Als trotz der verschiedenen Anfragen der Königin keine bestimmte Antwort aus England eintraf, wollte endlich der König die Prinzessin mit dem Könige von Polen verheirathen, und als dieser Plan mißlang, mit dem Herzog von Weißenfels.

Die Königin forderte die Prinzessin zum Widerstande auf, der Kronprinz, der viel von der Härte des Königs zu leiden hatte, zur Standhaftigkeit. Gewarnt vor der Gefahr, die ihm von Seiten einer erzürnten Mutter und zur Verzweiflung gebrachten Tochter drohte, war der Prinz von Weißenfels klug genug, zurückzutreten.

Nach einer harten Familienscene gab sich der König zufrieden, wenn der Prinz von Wales seine Tochter heirathe; von einer Vermählung des Kronprinzen, „des Thunichtgut“ wollte er nichts wissen; er wolle „der Rotznase von Herrn Fritz eher die Peitsche geben lassen, als ihn vermählen.“

Auf eine wiederholte Anfrage der Königin kam eine sehr ungenügende Antwort von England, welche jene fast zur Verzweiflung brachte. Ein Besuch des Prinzen von Wales, den er im folgenden Jahre 1729 beabsichtigte, um, im geheimen Einverständniß mit seinem Vater, ohne Erlaubniß des Parlaments, sich mit seiner Cousine zu vermählen, wurde durch eine Unvorsichtigkeit der Königin Sophie vereitelt. Auf ihren Gemahl machte diese neue Täuschung den übelsten Eindruck und Gattin und Kinder mußten für die Vereitelung seiner Hoffnungen und Wünsche hart büßen. Anfälle von Podagra verbitterten ihn noch mehr. In seiner harten und derben Weise nannte er die Prinzessin Wilhelmine nur die „englische Kanaille“ und mißhandelte sie, wie den Prinzen rücksichtslos. Unter solchen Umständen konnten die Kinder keine große Liebe zum Vater hegen, vor dessen leidenschaftlichen Ausbrüchen sie stets zittern mußten, und die verletzte und empörte Natur im Kronprinzen und der Prinzessin rächte sich durch Satyren über den König und seinen Anhang.

Die Vergeltung für diese Impietät trat denn auch sofort ein. Nach der Vermählung ihrer jüngern Schwester mit dem Markgrafen von Ansbach, gab es täglich Zank und Streit in der Familie; der König ließ, ausgenommen während der Mahlzeiten, seine beiden ältesten Kinder gar nicht in seine und der Königin Gegenwart; sie mußten tüchtig Hunger leiden und vor aller Welt die schönsten Ehrentitel anhören; der siebzehnjährige Kronprinz mußte sich fortwährend mit dem Stocke drohen lassen. Allerdings übte auf diesen der Umgang Keith’s und Katt’s schlimm ein, indem der Letztere ihn zu einer „zügellosen Liederlichkeit“ hinriß. Manches mochte durch Zwischenträger und Aufpasser vor den König gebracht werden, was den sittenstrengen Mann empörte. Dieser vergaß sich endlich so weit, Hand an den erwachsenen Prinzen zu legen und den Gedanken an Flucht in der Brust des unglücklichen Jünglings zu zeitigen. Die Verhältnisse und Beziehungen in der königlichen Familie liefen immer jäher einer Katastrophe zu. Kurz nach Neujahr 1730 ließ der König seine Gemahlin durch den Grafen Finkenstein und die beiden Staatsminister von Grumbkow und von Bork, denen er den Befehl zu diesem auffälligen Schritte von Potsdam aus hatte zukommen lassen, peremptorisch auffordern, nochmals nach England wegen der Vermählung ihrer Kinder zu schreiben, im Falle einer neuen Vereitelung aber sich einer Vermählung der Prinzessin Wilhelmine mit dem Markgrafen von Schwedt oder dem Herzoge von Weissenfels nicht ferner zu widersetzen. Die drei Herren hatten zugleich der Königin einen in den härtesten Ausdrücken abgefaßten Brief ihres Gemahls zu überreichen. Diese wies mit Festigkeit alle Insinuationen zurück, und begegnete einer zweiten Gesandtschaft vom König mit derselben Ruhe, wie der ersten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_388.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)