Seite:Die Gartenlaube (1856) 420.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

einem Dache zusammenfanden, mehr Andacht, mehr Begeisterung, mehr Beseligung gefühlt habe, als jemals in meinem Leben, mehr, wie ich wenigstens glaube, als je ein Grieche vor dem Zeus von Phidias oder der Muselmann vor dem verhangenen Grabe des Propheten, oder der Kreuzfahrer vor dem heiligen Grabe. Viele Beseligung verdankte ich freilich damals noch Illusionen und Hoffnungen, welche von den Direktoren des Krystallpalastes verkümmert, verschoben, verschachert, vermißverwaltet wurden. Der unverschämteste englische Nepotismus, der an Land und Leuten nagt, kann vielleicht mit palmerston’scher Geschicklichkeit und List endlich das Land ruiniren; aber der Krystallpalast ist zu gewaltig dazu in seiner Schönheit und in dem gesammelten Reichthume aller Heiligthümer der Menschheit. Den können sie mit aller Mißverwaltung, Verschleuderung und angestellter Dummheit von Vettern und Freunden nicht ruiniren, sie müßten ihn denn mit Pulver in die Luft sprengen. Selbst wenn er, wie es öfter hieß, untern Hammer käme (für einen Glaspalast allerdings etwas gefährlich), würde der Hammer eher brechen, als das Glück und Glas dieses kosmopolitischen Centraltempels aller menschheitlichen Heiligthümer. Ich war damals, als ich das Buch schrieb, für vieles Werdende begeistert, woraus nichts Gescheidtes geworden; aber manches damals Werdende hat auch alle Illusionen übertroffen. Niemals sind Illusionen auf eine so herrliche, das Sprüchwort Lügen strafende Weise „zu Wasser geworden,“ als die Fontainen- und Cascadenpoesie Paxton’s in und am Krystallpalaste.

Die Wassertempel und Cascaden des Krystallpalastes zu Sydenham.

Hier sprudelt noch eine 11,788strahlige Quelle von Begeisterung vor mir, die ich in dem Buche noch nicht ahnen konnte. Nur hat sie einen Fehler. Sie ist zu schön, zu reich, zu großartig. Auch wird man dabei fast immer naß und kann sich leicht erkälten. Und der Rheumatismus gehört in keiner Confession, in keiner Kulturperiode zu den Heiligthümern der Menschheit, wiewohl ein englischer Arzt nachweist, daß wenigstens die Gicht ein Privilegium geistreicher Menschen für das Alter sei.

Zu schön ist diese Wasserpoesie. Zu schön heißt weniger schön, als schön. Das Schöne hat bestimmte Maße der Symmetrie, Melodie und Formation in sich selber. Wenn diese überschritten werden, läuft der Ueberfluß feindlich und zerstörend gegen die Schönheitslinien und zieht davon ab, und träufelt hier außerdem auf die barbarischste Weise auf einen feinen Blumenflor von Damenhüten und deren Locken, die sich in diesem dichten Regenbogen-Staubregen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_420.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)