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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

hin, so ergab sich minderer Luftdruck, der geringer wurde, je weiter man sich entfernte.

Es war demnach zuerst bewiesen, daß am 12. Novbr. Mittags der atmosphärische Druck auf der erwähnten ganzen langen Linie ein Maximum erreicht hatte. Weil nun dieser Druck von den Luftschichten über dem Barometer herrührt, so mußte die Luft an den angegebenen Punkten in jener Zeit eine größere Dicke erreicht, sich da aufgehäuft haben und eine Luftwoge bilden, die von England nach Afrika, von Norden nach Süden, lief und deren höchste Spitze oder Kamm sich genau über den Punkten befand, welche jene Linie bezeichnete. Um sich eine genaue Vorstellung von der Erscheinung zu machen, denke man sich die bewegte Fläche des Meeres und folge in Gedanken der sich fortbewegenden Linie, welche der Kamm einer Welle bildet.

Von dem Augenblicke an, den wir als Anfang der Beobachtungen angenommen haben, sinkt der Barometer auf der ganzen Bogenlinie, während er östlich von derselben allmälig steigt. Die große Luftwelle ist also nicht unbeweglich, sondern läuft weiter wie eine Welle im Meere. Um Mitternacht des 12. ist sie über den Kanal gegangen und befindet sich über Holland, Paris, Lyon. Am 13. Mittags, vierundzwanzig Stunden nachdem man sie das erste mal beobachtet hat, verliert sie sich im Mittelmeere. Ihre beiden Endpunkte scheinen sich etwas rascher zu bewegen. Am 15. treffen wir sie an den Karpathen; am 16. ist sie über das schwarze Meer gezogen und weiter können wir sie nicht verfolgen, weil es weiterhin an Beobachtungen fehlt.

Es ist damit eine gewiß höchst merkwürdige Erscheinung nachgewiesen: das Luftmeer hat seine Wellen, die regelmäßig sich fortbewegen wie die des Meeres. Die Welle, welcher wir gefolgt sind, geht über ganz Europa und braucht vier Tage, um von London in das schwarze Meer zu gelangen. Wir erkennen aber auch örtliche Ursachen, die sie aufhalten. Während sie, nach den vorliegenden Beobachtungen, vom 12. Mittags bis zum 13. Mitternachts die ebene Fläche im Norden weithin durchläuft, hält sie sich lange an den Alpen auf, weil sie dieselben nicht sogleich übersteigen kann. Sie braucht vierundzwanzig Stunden dazu. Gleichen Kampf kosten ihr die Karpathen und der Balkan.

Vor allen Dingen darf man diese Luftwellen nicht mit den Wirkungen des Windes verwechseln, welcher die Luft von einem Orte zum andern treibt, nicht mit einem Sturm, der die Atmosphäre vom Norden nach Süden wirft. Die große Luftwoge, der wir nachgingen, zog über Europa hin, während der Wind nach den verschiedensten Seiten blies und ihrem Gange kein Hinderniß entgegenstellte. Ein Jeder hat sicherlich einmal einen Knaben mit einem langen Stricke spielen sehen, den er auf den Boden legt, während er das Ende in der Hand behält. Hebt er dies und senkt es dann rasch, so läuft die Bewegung wie Schlangenringel allmälig über den ganze Strick. Gerade so läuft eine Welle.

Aus den vorliegenden Documenten ergiebt sich ferner, daß die Luftwelle überall trotz allen klimatischen Verschiedenheiten heiteres ruhiges Wetter brachte, das dem hohen Barometerstände entsprach. Und doch steht diese Ruhe mit dem Sturme, der diese Untersuchungen veranlaßte, in genauem Zusammenhange. Gehen wir vor den 12. Novbr. zurück, so finden wir, daß vom 10. zum 12. an der bezeichneten Linie der Barometer sehr tief stand, also eine Verminderung der Höhe der Atmosphäre stattfand und ihre Oberfläche eine Einsenkung oder Vertiefung zeigen mußte. Diese Vertiefung oder Höhlung war anfangs nicht sehr bedeutend. Sie bewegte sich vorwärts, wie wir den Wogenkamm vorwärts gehen sahen. Am 12. erreichte sie Oesterreich, am 13. das schwarze Meer, am 14. die Krim; dabei vertiefte sie sich mehr und mehr bis sie in der Krim ungewöhnlich tief wurde. Der Luftaufthürmung ging also eine Lufteinsenkung voraus und so ließ sich voraussehen, daß ihr eine Einsenkung auch folgen würde, ganz wie bei Wasserwellen. Und so war es, wie die Beobachtungen dargethan haben. Während man aber auf dem Meere die Wellenberge mehr als die Wellenthäler fürchtet, ist es mit der Luft umgekehrt, denn die Luftwellenberge bringen klares Wetter und Windstille, während die Luftwellenthäler Regen verbreiten, Wind und selbst Sturm erzeugen. Das Luftwellenthal, das dem großen Luftwellenberge voranging, brachte am 14. Novbr. den Sturm in der Krim und das Wellenthal, das dem Wellenberge folgte, zog am 15. und 16. mit Sturm über Frankreich.

Erinnern wir uns nun, daß die Luftwelle vier Tage brauchte, um von England nach der Krim zu kommen, während durch den Telegraphen eine Nachricht in solche Entfernung in sehr kurzer Zeit befördert werden kann, so wird sich von selbst ergeben, von welchem Nutzen die Entdeckung der im Luftmeere fortlaufenden Wellen in Verbindung mit dem Gebrauch der Telegraphen werden kann und wird.

Angenommen, es zeigte sich in Petersburg ein Orkan. Augenblicklich kann man dort bei allen russischen Observatorien anfragen, und wenige Stunden darauf wird man wissen, in einer wie langen Strecke er erscheint. Es ergiebt sich, daß er sich nach Deutschland zu wendet und man wird die Astronomen von Berlin, Wien u. s. w. benachrichtigen. Diese sind vorbereitet und können den Orkan, wenn er kommt, beobachten. Sie melden sein Erscheinen weiter nach Frankreich und England. Alle sind auf eine gewaltige Erschütterung vorbereitet und die, welche dadurch bedroht werden, können Vorsichtsmaßregeln ergreifen. Die Gefahren, auf die man vorbereitet ist, verlieren von ihrer Bedeutung. Die Telegraphen erhalten demnach in der Zukunft eine noch weit größere Wichtigkeit. Jetzt melden sie auf den Eisenbahnen, es komme ein Zug; bald werden sie warnend ganzen Ländern anzeigen, es nahe ein Sturm, und man wird Zeit haben, seinen Verwüstungen wenigstens einigermaßen vorzubeugen.




Blätter und Blüthen.

Ein Giftmordproceß. Dem palmer’schen Giftmordproceß reiht sich neuerdings ein ähnlicher Fall in Frankreich an, welcher vor dem Assisenhofe des Seinedepartements verhandelt wurde und durch die persönliche Lage der beiden Angeklagten, sowie durch die nahe Verwandtschaft derselben mit ihren Opfern großes Interesse erweckte. Wir entnehmen zunächst der Anklageakte Folgendes:

Am 13. Jan. d. J. verspürten der Landmann Belin und dessen Sohn, Darmand Belin, Beide zu Courcelles-sous-Thoix wohnhaft, nach ihrer Mahlzeit alle Spuren einer Vergiftung; doch wurde durch schnelle Hülfe dem Fortschreiten des Uebels gewehrt. Joseph Belin täuschte sich indessen über die Ursachen desselben nicht. Das Stück Schweinefleisch, womit die Suppe, die ihn wie seinen Sohn krank gemacht hatte, gekocht war, hatte ihm einige Tage zuvor seine Schwägerin, Clementine Geoffroy, gegeben. Gegen diese machte er die Anklage anhängig, daß sie ihn und seinen Sohn zu vergiften versucht habe, um ihr Vermögen durch Erbschaft an sich zu bringen und sich so zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse die Mittel zu verschaffen, die ihr bisher gefehlt hatten. Die öffentliche Meinung sprach sich gegen die Angeklagte aus, und die durch die gerichtliche Untersuchung erhobenen Thatsachen gaben bald jenen beschuldigenden Gerüchten den Charakter der Wahrscheinlichkeit. Die Geoffroy räumte ein, ihrem Schwager ein Stück Schweinefleisch gegeben zu haben, und die Experimente, welche man an der mit diesem Fleische gekochten Bouillon vornahm, führten zu dem Resultate, daß dieselbe eine ziemliche Menge Arseniksäure enthielt. Da nichts zu der Annahme berechtigte, daß dieses Gift durch irgend einen Zufall, oder durch eine freiwillige Handlung in das Fleisch gekommrn sei, so ward man in der Ansicht bestärkt, daß es von der Geoffroy hineingethan worden sei. Die Haltung dieser Frau mußte sie vollends compromittiren.

Sie suchte den Verdacht auf Darmand Belin, der doch, wie sein Vater, von der Suppe gegessen und krank davon geworden war, zu lenken, indem sie behauptete, Beide hätten in übelm Einvernehmen mit einander gelebt, weil der Vater in eine Verheirathung des Sohnes nicht habe willigen und demselben keinen Militärvertreter habe verschaffen wollen; eine Behauptung, die nicht blos durch die Proteste der beiden Belin, sondern auch durch die Aussagen von Zeugen, welche die Verhältnisse derselben genau kannten, widerlegt wurde. Auch war die Geoffroy auf die Kunde von dem Erkranken ihrer Verwandten sogleich in deren Haus geeilt, unter dem Vorwande, sie zu pflegen, und hier war eine Nachbarin, die ebenfalls herbeigeeilt war, erstaunt, die Geoffroy einen Schrank öffnen und darin etwas suchen zu sehen. Wie die Nachbarin glaubte, war es der Rest des vergifteten Fleisches, den die Geoffroy beseitigen wollte. Denn auf ihr Fragen schloß die Geoffroy den Schrank zu, ohne eine Antwort zu geben und später stieß sie gegen jene Frau die Drohung aus, daß sie dieselbe beim Gerichte als die Urheberin des Verbrechens anzeigen werde. Endlich sagte der Ehemann der Geoffroy, der als ihr Mitschuldiger angeklagt ist, am Abende vor der Verhaftung seiner Frau zu dieser: „Ich bin ein verlorener Mann; verrathe mich nicht.“

Während so die Voruntersuchung gegen die Eheleute Geoffroy schwere Indicien in Betreff des wider die beiden Belin’s unternommenen Giftmordversuchs

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_423.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)