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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Singmeister seines Bataillons gewesen und was noch mehr sagen will, meinem eignen seligen Vater rühmt man nach, daß er es gewesen, der vor dem brandenburger Thore jene berühmte jahn’sche Ohrfeige erhalten hat.“

„Jetzt ist keine Zeit zum Aussteigen mehr!“ herrschte uns der vorhin erwähnte Schaffner zu, als wir eben unser Coupé verließen.

„Wir fahren nicht weiter, liebster, gutster, bester Herr Oberconducteur,“ entgegnete fein lächelnd mein Reisegefährte, worauf der Herr Oberconducteur, indem er in den reichen blonden Bart brummte: „Larifari, der hiesige Champagner schmeckt auch nicht anders, als der in Berlin“ – die Thür des Waggons heftig zuschlug.

Mein Berliner gedachte jedoch nicht mehr des künstlichen Sectes; er wollte jetzt Jahn genießen. Da wir bis zum Eintreffen desselben jedoch noch eine Stunde Zeit hatten, so durchwanderten wir die Straßen der Stadt.

Es ist wahr, Weißenfels ist ein gar schmuckes Städtchen. Seine Physiognomie thut besonders wohl, wenn man auf der

Schönburg an der Saale.

Tour von Magdeburg nach Thüringen eben Halle und Merseburg passirt hat. Von der auf einem ansehnlichen Berge dicht bei der Stadt gelegenen Augustusburg, der im Jahre 1660 gegründeten herzoglichen Residenz der Nebenlinie Sachsen-Weissenfels-Querfurt, jetzt Friedrich-Wilhelms-Kaserne, vom Volke aber immer noch das „Schloß“ genannt, genießt man eine liebliche Aussicht auf das Saalthal, das hier bereits von Bergen mit Rebengewand eingefaßt ist. Auf dieser Höhe liegt auch das Schützenhaus, woselbst ein Müllner († 1829) oft und gern verkehrte. Daß derselbe ein eben so guter Büchsenschütz als Schlittschuhläufer gewesen, davon erzählten uns weißenfelser Bürger, der eine immer ausführlicher als der andere; von seiner „Schuld“ aber wußten sie nichts mehr, eben so wenig von den Romanen der Fanny Tarnow und den Poesien der unglücklichen Louise Brachmann († 1822), welche beiden Schriftstellerinnen bekanntlich eine Reihe von Jahren hindurch in diesem Städtchen gelebt. Aber von Novalis (Friedrich von Hardenberg) erzählten sie uns, daß er auf ihrem Gottesacker begraben sei.

„Geht da unten nicht der alte Jahn?“ frug plötzlich der blutjunge Infanterie-Lieutenant, der mit liebenswürdiger chevaleresker Zuvorkommenheit uns das Innere der Kaserne gezeigt hatte und uns jetzt den Schloßberg hinabbegleitete.

Und es war Jahn. Der schwarze altdeutsche Rock, geschmückt mit dem schwarz-weißen Bande des eisernen Kreuzes, der lange umgeklappte Halskragen, der bis zur Brust herabwallende Silberbart, Alles dies ließ ihn auf den ersten Blick erkennen.

Als wir unten mit ihm zusammentrafen, richtete er sein großes Falkenauge ein paar Secunden lang dermaßen auf den Berliner, daß dieser aus Verlegenheit nicht wußte, wo er mit den Händen und den Augen hin sollte.

„Aus Berlin also?“

„Ja, mein liebster, gutster, bester Herr Professor.“

Professor ist mein Spitzname; aber Doctor kann ich und jeder Andere mich mit gutem Gewissen nennen. Sie heißen?“

„Friedrich Wilhelm T–born, zu dienen, Herr Professor, wollte sagen: Herr Doctor.“

„Stammen Sie nicht aus der großen frankfurter Straße?“

„Aufzuwarten.“

„Nun dann habe ich Ihren Ohm, den langen Fritz, und Ihren Schwager, den braunen Lautenschläger, recht wohl gekannt. Beide waren schlichte, doch wackere Gesellen. Ihr Schwager ist todt, aber Ihr Ohm muß, wenn ich mich recht erinnere, noch leben und zwar im Waadtland als Sprachmeister.“

„Entschuldigen Sie, mein Onkel Fritz ist –“

„Ja, ja, ich weiß, was Sie sagen wollen; der lange Fritz wurde – ich entsinne mich jetzt – aus jener Schweizerei hinausgemaßregelt, irrwischte dann längere Zeit im Elsaß umher, bis er endlich mit einem stein- und launenreichen Lord, dem er bei Straßburg das Leben rettete, nach London zog, woselbst er wahrscheinlich noch heute sich abmüht, in die riesige Bücherei Sr. dick- und querköpfischen Herrlichkeit Plan und Ordnung zu bringen.“

„Herr Doctor, deuten Sie gütigst mein Erstaunen nicht übel; aber Alles, was Sie sagen, ist buchstäblich wahr! Bei einem solch’ ungeheuren Gedächtniß werden Sie sich gewiß denn auch noch meines seligen Vaters zu erinnern wissen, der –“

„Der, nachdem er den Candidatenfrack sammt der Gottesgelahrtheit an den Nagel gehängt, eine Tabakshandlung errichtete?“ „Richtig, sehr richtig; aber mein seliger Vater ist auch derselbe,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_437.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)