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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

der von dem Herrn Doctor Jahn einst als dessen Schüler einen Backenstreich erhalten, ich meine jene Maulschelle, die so lange im Munde des preußischen Volkes leben wird, als von unserer Victoria über dem brandenburger Thore die Rede ist.“[1]

„Da sind Sie im Irrthum. Ich erinnere mich Ihres Vaters noch wohl, wie er den Turnplatz besuchte. Er war ein leidlicher Kletterer, wetteiferte im Springen mit den Tüchtigsten und übertraf im Dauer-Lauf alle seine Altersgenossen. Aber der, dem ich jene Dachtel steckte, war er nicht. Das war vielmehr ein gewisser Dietrich, ein träumerischer, aber sonst ehrlicher Kauz, der nun auch schon längst heimgegangen ist. Wenn Sie aber künftig diese Geschichte nacherzählen, wie sie sich wirklich zugetragen, so reden Sie dabei weder von einem Backenstreich, noch von einer Maulschelle oder Ohrfeige, sondern von einer echt deutschen Dachtel; denn Dachtel kommt her von „denken“ und ist also keine gewöhnliche, sondern eine Denk-Ohrfeige.

Friedrich Wilhelm T–born, erstaunt über das Gehörte, schwieg eine Weile und zog dann erregt ein elegantes Notizbuch hervor. Als er jedoch den Bleistift in Bewegung setzen wollte, sagte Jahn, indem plötzlich seine Stirnader mächtig anschwoll: „Mit Leuten, die solch’ Geräth bei sich führen, in der Absicht, meinen geflügelten Worten Sprenkel zu stellen, wand’re ich nicht gern. Ich halte Sie für einen guten Märker, und ich liebe die Märker; stecken Sie darum Ihr Merkbuch ein, damit ich Ihnen nicht in Gedanken wehe thue und in Ihnen einen Merker argwöhne. Ich habe gar trübe Erfahrungen gemacht.“

Nach einer kleinen Pause fuhr er dann aber wieder heiter fort: „Vorwärts! sagt Blücher.“ Und hierbei faßte er uns Beide an der Hand und zog uns so über die Saalbrücke auf den Weg nach Goseck. Dieses nächste Ziel unserer Wanderung würden wir unter Anführung Jahn’s, dieser zweibeinigen Lokomotive, wie ihn der nun bereits auch verstorbene Minister Eichhorn kurz vorher genannt hatte, unfehlbar in 5/4 Stunden erreicht haben, wenn derselbe nicht – außerdem daß er uns seinen überaus reichen Sagen- und Liederschatz immer von Neuem wieder erschloß – bald bei einer schön geformten Feldblume, bald bei einem verwitterten Denksteine Halt gemacht, oder mit diesem und jenem Hirten ein Gespräch über „das Wetter“ angeknüpft hätte. So legten wir den übrigens wahrhaft romantischen Weg erst in zwei Stunden zurück.

Goseck, zu Anfange des 11. Jahrhunderts die Residenz des Burggrafen von Zörbig, Friedrich I., dann von dessen Söhnen – unter diesen der bekannte Adelbert von Bremen, Erzieher des Kaisers Heinrich IV., – in ein Kloster umgewandelt, endlich (1539) secularisirt, gehört gegenwärtig dem Grafen Zech-Burckersrode. Das stattliche Schloß, zum Theil Ueberreste der ehemaligen Abtei, hat man in den letzten Jahren restaurirt. Es liegt an dem oberen Theile eines der nördlichen Saalberge malerisch angelehnt. Daß es auf den Grundmauern einer in uralter Zeit hier gestandenen Slavenburg, Namens Panzig, erbaut worden sein soll, gehört in das Gebiet der Sage. Die Schloßkirche – das Dorf Goseck auf der Hochebene hinter dem Schlosse hat seine besondere Kirche – ist die ehemalige Klosterkirche. In ihr befindet sich unter Anderem ein Gemälde, die Opferung der Tochter Jephta’s darstellend, das dem Lehrer Albrecht Dürer’s, dem berühmten Meister Wohlgemuth († 1519) zugeschrieben wird. Auch hat sie eine Krypta, die jedoch im Laufe der Zeit sehr gelitten hat. In ihr soll zu Ausgang des 11. Jahrhunderts die vom Teufel besessene Gräfin Gepa von Kamburg, eine der Mitgründerinnen des naumburger Domes, durch die Gebete eines Benediktinerabtes geheilt worden sein.

Die Aussicht bei Goseck, namentlich vom „Igelsberge“ aus, ist sehr belohnend; man überblickt den ganzen östlichen Theil des naumburger Thales. Außerdem wußte Jahn gar bald dieser „Umschau“ noch ein anderes Interesse zu verleihen.

„Seht Ihr dort gegen Mitternacht, ungefähr eine Meile entfernt, die Erhöhung?“ frug er, uns nach dem nördlichen Vorsprung des Bergrückens führend. „Das ist der Janushügel.“

„Jahn’s Hügel?“ gab mein Berliner die Frage unter komischem Erstaunen zurück.

„Ich bin nicht ein solcher Hansnarr, daß ich Sie mit einer gewissen Feierlichkeit auf den Hügel aufmerksam machen würde, Falls mein Vatersname bei ihm Gevatter gestanden hätte. Jene Höhe erinnert aber an Einen, dem wir Deutschen durch die Bank nicht werth sind, die Schuhriemen zu lösen; denn dort war es, von wo aus der alte Fritz die Schlacht bei Roßbach leitete!

A la bonheur – also Friedrich der Große!“

„Ach was, der Große! Groß werden in der geschriebenen Weltgeschichte gar manche Großhänse nur genannt, weil sie viel Turkel, oder wie es im Wörterbuche der Studentensprache heißt, weil sie famoses Schwein gehabt. Wenn Sie aber den alten Fritz nun einmal Friedrich nennen wollen, so nennen Sie ihn Friedrich den Einzigen! Derselbe soll – wie geistreiche Witzbolde der Neuzeit sagen, die preußische Großmacht erfunden haben; wohl! aber er hat sich zugleich auf diese Erfindung ein solches, wie man es nennt, Patent ausgewirkt oder vielmehr selber ausgestellt, daß sowohl welsche als deutschvergessene Neidharte sich fort und fort daran die Zähne ausbrechen sollen und werden. Es lebe der alte Fritz!

Und hierbei entblößte er ehrerbietig sein Haupt und machte nach der Gegend des Janushügel zu eine tiefe Verbeugung. –

„Ich habe Dir geschrieben,“ wandte er sich dann zu mir, „daß wir heute im Zickzack gen Freiburg wandern werden. Wir wollen deshalb Eulau rechts liegen lassen und uns nach der Schönburg wenden.“

Schönburg, eine Stunde von Goseck entfernt, liegt aber jenseit der Saale und da diese hier weder Brücke noch Fähre hat, so sah ich den Alten mit Recht verwundert an.

„Nun,“ fuhr er, dies bemerkend, lächelnd fort, „ich will Euch nicht zumuthen, den Strom zu durchschwimmen; wir wollen schon anderswie hinüber kommen. Seht Ihr dort die schmächtige Zille mit dem blauen Stern über der preußischen Flagge? Sie gehört einem mir befreundeten Unstrutschiffer, der hoffentlich von meinem Hiersein bereits unterrichtet sein wird.“

Und nun sprang er behend den ziemlich steilen Schloßberg hinab und nachdem er unten einen dreifachen gellenden Pfiff hatte ertönen lassen, steuerte der Beikahn jenes Frachtschiffes sofort auf uns zu und brachte uns an das rechte Saalufer.

Ein überaus lieblicher Weg über breite schmaragdne Wiesen führte uns sodann nach dem ansehnlichen Dorfe Schönburg.

Die imposante Ruine gleichen Namens liegt auf einem isolirten grünen Hügel. Durch das Portal des verfallenen Hauptgebäudes tritt man in den innern Burghof, aus welchem sich der noch wohlerhaltene Wartthurm stolz erhebt. Die Gebäude an der Südseite, im Jahre 1460 errichtet, dienen gegenwärtig einem königlichen Förster zur Wohnung. Bei demselben kann sich der Wanderer auch restauriren.

Von der Schönburg, namentlich von dem auf der Nordseite liegenden Altan bietet sich dem Auge eine vortreffliche Aussicht dar, denn man überschaut Naumburg, die weite zschellsitzer Aue und weiter stromab drei stattliche Eisenbahnbrücken, darunter eine von 8 Bogen zu 35 Fuß Spannung.

Die Entstehung der Schönburg wird von der Sage Ludwig dem Springer zugeschrieben, der sie im Jahre 1080 erbaut und von ihren Zinnen aus es beobachtet haben soll, wenn der Gemahl seiner geliebten Adelheid, Pfalzgraf Friedrich III., sich von Weißenburg[2] aus in das Kloster Goseck verfügt. In der Mitte des 12. Jahrhunderts kam sie an die Bischöfe von Naumburg, denen sie auch bis in’s 16. Jahrhundert verblieb, zu welcher Zeit sie bei Secularisation des Bisthums in Staatseigentum umgewandelt wurde. Ruine ist sie seit 1446, in welchem Jahre sie böhmische Kriegshorden, die der sächsische Herzog Wilhelm wider seinen Bruder, den Kurfürsten Friedrich, in’s Feld schickte, verbrannten.

Williges, Erzbischof von Mainz – um’s Jahr 990 – soll der Sohn eines schönburger Wagners gewesen sein. Als

  1. Nach der unglücklichen Schlacht bei Jena war bekanntlich auch der über dem brandenburger Thore zu Berlin angebrachte Siegeswagen von dem übermüthigen Feinde mit nach Paris genommen worden. Im Jahr 1811 betrachtet nun Jahn eines Tages dieses seines Schmuckes beraubte Thor mit ärgerem Ingrimm, denn je. Ein junger Turner seines Gefolges scheint mit ihm dies Gefühl zu theilen. „Was dachtest Du, als Du eben da hinauf schautest?“ fragt er den Knaben, und als dieser verlegen antwortet: „Nichts!“ gibt Jahn ihm eine derbe Maulschelle, indem er losdonnert: „Du sollst Dir aber etwas denken und zwar das: die Franzosen haben unsere Victoria geraubt, aber wir wollen sie uns schon einmal wieder holen!“ –
    Anmerk. des Verf.
  2. Gegenwärtig der Rittersitz Zscheiplitz.
    Anmerk. des Verf.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_438.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)