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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 34. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Eine unenthüllte Begebenheit.
Erzählung’ von Heinrich Smidt.
(Aus einer gefundenen Mappe.)
(Schluß.)

Als am andern Morgen der Kommandeur das Halbdeck betrat, erschien der deutsche Kavalier und sagte: „Seit drei Tagen harre ich des versprochenen Bescheides. Ich will nicht länger warten.“

Der Offizier vom Dienst wollte Hand an den Rebellen legen, aber der Kapitän winkte demselben zurückzutreten und sprach:

„Herr Oberst –“

„So weiß man hier, wer ich bin?“

„Ich bitte Sie, Herr Oberst, mich gelassen anzuhören. Gewisses weiß ich von Ihrer Herkunft nicht, denn der einzige Beweis, Ihre Papiere, sind Ihnen nach Ihrer Aussage entwendet. Hören Sie mich also ruhig an; ich meine es gut mit Ihnen. Geben Sie mir Ihr Ehrenwort zu schweigen, so sollen Sie die Kajüte neben der meinigen bewohnen und gehalten werden, wie mein erster Offizier. Für sieben Jahre sind Sie der ostindischen Kompagnie zum Dienst verfallen. Auf Sie wird es ankommen, ob Sie diese Zeit unter angenehmen Verhältnissen auf Java verbringen, oder am Bord eines Schiffes einrangirt werden wollen, wo ein schweres Loos Ihrer wartet.“

Der Oberst war sehr aufgeregt. Der Kommandeur bemerkte es und sagte:

„Es sei fern von mir, sogleich eine Antwort zu fordern. Wir haben hier auf offener See Zeit genug. Beziehen sie einstweilen die Ihnen zugetheilte Kajüte. Wir wollen für jetzt nicht mehr davon reden. Es wird am Bord heißen, ich habe Sie zu meinen Privatsekretair gemacht und weiter hat Keiner darein zu reden. Guten Morgen, Herr van Steen.“

Die Reise ward vollendet. Während derselben fiel nichts vor. Die Holländer sind schweigsam. Als es unter den Offizieren hieß, der bei Abreise gepreßte Deutsche heiße eigentlich Herr van Steen und derselbe werde Sekretair des Kommandeurs, mit Offiziersrang, nahmen sie es als eine vollendete Thatsache; rauchten mit ihm, tranken ihren Genever in seiner Gesellschaft und nannten ihn Mynheer. Als aber das Schiff vor Batavia ankerte, war der Oberst einer der Ersten, der dem Klima seine Schuld bezahlte. Vielfach hatte der Kommandeur sich darüber den Kopf zerbrochen, wie er die Pflicht der Menschlichkeit gegen den Obersten erfüllen könne, ohne sich selbst verantwortlich zu machen. Nun war er plötzlich jeder Sorge überhoben. Das böse Fieber warf den Obersten auf das Siechbette und bald lag er bewußtlos unter vielen Andern im Hospital. Unter denjenigen, die sich am meisten um ihn bekümmerten, war der Deckoffizier, der ihn in Holland gepreßt hatte. Er kam täglich mehrere Male und erkundigte sich nach dem Befinden des Kranken. Zugleich hatte er vertrauliche Besprechungen mit dem ersten Beamten des Hauses und sagte zu diesem: „wenn Ihr meint, daß es mit ihm doch vorbei ist, kann es nicht schaden, wenn wir es mit dem nächsten Schiffe, das in diesen Tagen absegeln soll, nach Europa melden. Ich weiß, daß man sich dort sehr um das Schicksal des Herrn van Steen kümmert und Ihr würdet Euch durch Euere Willfährigkeit der Familie dankbar verpflichten, die, dafür habe ich Beweise, eine Gefälligkeit nicht unerwiedert läßt.“

Der Beamte wechselte einen Blick des Einverständnisses mit dem Deckoffizier und als nach einigen Tagen eines der Ostindienfahrer nach dem Mutterlande absegelte, fand sich unter den für Deutschland bestimmten Briefen einer vor, der die Adresse des Herrn Theodor Steinau trug.


VI.

Vor einem der Thore der Hauptstadt lag, weitab vom Gewühl ein stilles Haus. Vor demselben befand sich ein wüster Hof. Hinter demselben ein mit dichtbelaubten Bäumen besetzter Platz. Das Ganze war mit einer hohen Mauer umgeben, über welche der Gipfel des niedrigen Hauses kaum hinausragte. Es sollte vor langen Jahren von einem vornehmen Sonderling erbaut sein. Derselbe habe dort, wie man meinte, als ein zweiter Blaubart gehaust. Noch Andere sprachen von einem geheimnißvollen Laboratorium, worin ein anderer Albert Thurneiser oder Böttcher die Herstellung edler Metalle versuchte.

Lange Zeit hatte das Haus leer gestanden und Keiner wußte genau, wer eigentlich der Eigenthümer sei. In den Tagen des Aufruhrs wurde es von der Volkspartei als Staatseigenthum in Anspruch genommen, und sollte zu einem Gefängniß für Vaterlandsverräther benutzt werden. Anfangs bekümmerten sich die Neugierigen sehr darum, wie denn alles Geheimnißvolle reizt. Als sich aber nichts dergleichen zeigte, schwand die Theilnahme, wie sie gekommen. Niemand ahnte, daß die Schwiegertochter des einst mächtigen Grafen von Steinau hier ein trauriges Dasein fristete.

Die junge, lebensmuthige Frau sah sich kaum noch ähnlich. Das Lächeln, durch welches sie alle Welt bezauberte, war entflohen, das Roth ihrer Wangen erloschen. Ihr Gesicht war bleich und in ihren Zügen wohnte ein tiefer Seelenschmerz. Aber dieser

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_453.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)