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Schmerz umgab sie mit einem Schimmer der Verklärung und gewann ihr blindlings die Herzen ihrer Untergebenen.

Theodor, durch sein schlaues und energisches Handeln zu Macht und Ansehn gelangt, hatte sich einen großen Theil der von steinau’schen Güter als Seitenverwandter dieses Hauses zu erstreiten gewußt. In allen Dingen stand er über Allen. Nur in Einem war er unbedingter Sklave und hätte sich rücksichtslos beherrschen lassen, wenn man es gewollt. So oft er es vermochte, eilte er nach jenem einsamen Hause, um Rosa zu sehen. Anfangs waren diese Besuche für die Unglückliche schrecklich. Aber ihm lag Alles daran, sie für seine stürmische Leidenschaft zu gewinnen. Er gab ihr die herrlichsten Versprechungen für die leiseste Hoffnung und brachte ihr ihren Sohn zurück. Der kleine Alexis durfte seine Mutter täglich ein paar Stunden besuchen. Ein alter Diener brachte ihn und holte ihn zu bestimmten Zeiten wieder. Das Glück der Mutter besänftigte den Zorn der Frau. Sie ward freundlicher gegen Theodor und dieser begann Hoffnung zu schöpfen. Seine Neigung war tiefer, als er selbst vielleicht wußte, und wunderbar ergriffen von der Anhänglichkeit dieses Mannes vermochte es Rosa über sich, ihn nach und nach mit weniger Widerwillen zu betrachten. Es entspann sich im Laufe der Zeit zwischen Beiden ein gesellschaftliches Verhältniß, das erträglich genannt werden konnte; ja, Rosa ertappte sich sogar einmal mit leichtem Erröthen über einer Empfindung, die ihr bisher unbekannt war, als Theodor, von unerwarteten Geschäften behindert, mehrere Tage nach einander nicht erschien. Die Qual einer endlosen Einsamkeit hatte sie dahin gebracht, sich an den Umgang des Mannes zu gewöhnen, der ihr Unglück in weit größerem Maße verschuldete, als sie selbst wußte.

Nur über einen Punkt durfte er nicht hinaus. Er versuchte es oft, auf eine innigere Verbindung hinzudeuten, aber sie wies jede Bewerbung mit den strengen Worten zurück, daß sie die Gattin des Obersten sei und keine Macht der Erde sie bewegen werde, ihm die Treue zu brechen.

So sprach sie auch eines Abends, als Theodor zum Abschied ihr die Versicherung seiner ewigen Liebe wiederholte. Bei früheren Anlässen war er dann im halben Zorn davon geeilt, jetzt blieb er stehen, sah sie fest an und sagte mit Nachdruck: „Und wenn Sie nicht seine Frau, sondern seine Wittwe wären? “

Sie schrie laut auf. Theodor reichte ihr den Arm und führte sie zum Sopha.

„Das räthselhafte Verschwinden des Obersten ist bekannt. Sie haben jede vernünftige Muthmaßung, daß er nicht mehr am Leben sei, mit Verachtung von sich gewiesen. Seit Stunden habe ich mehr als Vermuthungen. Mir ist bekannt, daß er nach Indien gegangen ist; der Himmel weiß aus welchem Grunde. Dort ist er schwer erkrankt. Machen Sie sich auf Alles gefaßt. Ich bin genöthigt, eine Reise zu unternehmen. Bei meiner Rückkehr werde ich Sie hoffentlich beruhigter wiederfinden.“

Er rief ihre Dienerin und entfernte sich eilend.

Drei Tage brachte sie in großer Aufregung zu. Seit sie diesen Kerker betrat, hörte sie das erste Wort von ihrem Gemahl, und es war ein so trostloses. Mit fieberhafter Erregung klammerte sie sich an die schwächste Hoffnung. Ihre Liebe zu dem theuern Freund war mit aller Stärke erwacht. Am Abend des vierten Tages brachte ihr der treue Hausdiener einen Brief. Es war der erste, den sie empfing. Mit zitternder Hand erbrach sie das Siegel. Theodor schrieb, daß er mit diesen Zeilen die Bestätigung seiner neulichen Mittheilung sende. Es war der von dem großen Hospital zu Batavia ausgestellte Schein, daß der Oberst Eugen, Graf von Steinau daselbst am klimatischen Fieber verstorben sei.

Nun verging eine geraume Zeit. Rosa hatte mindestens die äußere Haltung wieder gewonnen. Theodor kam endlich zurück und setzte seine Besuche in der gewohnten Weise fort. Von dem eben erwähnten Ereigniß war keine Rede. Nur als Rosa eines Abends mit betrübtem Zagen fragte, was in dieser Einsamkeit aus Alexis werden solle, antwortete er fest: das liege in ihrer Hand. Sie dürfe sich nur entschließen, seine Gattin zu werden, um alsbald in die Welt zurückzukehren und ihrem Sohne die Stellung zu bereiten, welche sie selbst als die wünschenswertheste bezeichnete. Da siegte die Mutterliebe über die Treue für den verlornen Gatten, und kaum hörbar sagte sie zu ihm: „Um seinetwillen bin ich die Euere. Sündige ich, so wird mich Gott um dieser Ursache willen milder strafen. Gönnt mir noch einige Zeit, um mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, einem Andern zu gehören.“

In gewohnter Einförmigkeit verstrichen die Tage. Da wollte es Rosa eines Abends bedünken, als vernehme sie einzelne Klänge einer Guitarre.

„Es ist nicht möglich!“ sagte sie zu sich selbst. „Die hohe Mauer, die mich von allen Seiten umschließt, die Wächter, die Niemandem gestatten – Unmöglich. – Täuschung! – Und doch! – da klingt es wieder.“

Sie trat dicht an das Fenster, das von außen mit hölzernen Läden verschlossen war. Die einzelnen Klänge wurden zur Melodie, zur Melodie eines Liedes, welches sie vor allen andern liebte, mit welchem sie den Geliebten jedes Mal empfing, wenn er in das Haus ihres Vaters kam.

Rosa war in der höchsten Aufregung. Seit sie in diesem Kerker lebte, war es ihr nicht eingefallen, zu singen. Jetzt fiel sie mit hellem Klange ein, bis die Musik plötzlich verstummte.

„Es war der erwachende Frühling, der mein Schicksal entscheidet,“ sagte sie zu sich selbst, und wich überrascht zurück, als zu dieser ungewohnten Stunde der alte Diener eintrat.

„Ich bin stets ein treuer Knecht der Grafen von Steinau gewesen,“ flüsterte er ihr zu, „und als ich ihm treulos ward, geschah es nur, um bei Euch zu bleiben. Er wußte darum. Faßt Euch, Herrin! Die Musik! Ach Gott, der Herr Oberst –“

„Eugen!“ schrie sie laut auf.

„Um Gotteswillen, kein lautes Wort! Wenn die Dienerin uns hörte, Alles wäre verloren. Ihr sollt ihn sehen. Gleich!“

Leise Schritte wurden gehört. Rosa schwankte der Thür zu.

Ein keuscher Schleier bedecke diese heilige Scene. Sie hatten sich wieder.

Der Oberst schied, um am nächsten Abend wiederzukehren.

Die Flucht aus dem Kerker ward zwischen Beiden verabredet; in einer lauen Frühlingsnacht ging sie vor sich. Mit seinem Weibe und seinem Kinde fuhr der Oberst im sausenden Galopp davon. Der alte Diener folgte ihnen.

Drei Tage später erschien Theodor. Mit einem Blicke übersah er Alles. Gewohnt, entschlossen zu handeln, gab er sich keinem ohnmächtigen Zornausbruche hin. Es gelang ihm, die Flüchtlinge zu entdecken. Mit welchem Erfolge er gegen sie auftrat, ist bereits durch den „Pfarrer im Gebirge“ kund gethan. Nach einiger Zeit kehrte Theodor nach dem einsamen Hause zurück, nur von einer Dame begleitet, und bald herrschte hinter jenen Mauern dasselbe Schweigen wie vordem.

Aber jenseits der Mauer ward es desto lauter. Allgemeine Aufregung verursachte das Gerücht, daß der Oberst, welcher, gleich seinem Vater, des Landes verwiesen wurde, sich habe sehen lassen. Bald war es kein bloßes Gerücht mehr. Die Kunde trug sich von Mund zu Munde, daß der Oberst an der Spitze eines Komplottes stehe. Er sei das Haupt einer weitverzweigten Verschwörung, und von den Mitgliedern des geheimen Bundes zum Führer des neu zu gründenden Staates bestimmt.

Es gibt nichts so Unsinniges, das nicht bei der Menge Glauben findet; und diesmal sollte sich das Gerücht rechtfertigen. Der Oberst war, als er seine Pläne verrathen sah, entflohen, aber von der stets wachsamen Gerechtigkeit ereilt worden. Man brachte ihn gefanglich ein, und sofort wurde ihm der Prozeß gemacht. Die Verhandlungen fanden bei verschlossenen Thüren statt; das Urtheil der Richter schwankte. Der größte Theil derselben erkannte auf Todesstrafe; der Fürst milderte sie in lebenslängliches Gefängniß.

Rosa wußte nichts davon. Sie war schwer erkrankt. Im heißen Fieber rief sie nach Alexis, dem armen Knaben, der aus Schmerz über die Trennung von den Seinen die Sprache verlor, und in der einsamen Gebirgspfarre eine Freistatt fand.


VII.

Es war eine andere Zeit geworden. Die Eigenmächtigkeiten der neuen Gewalthaber riefen mehr Gegner in das Feld, als die früheren jemals besessen hatten. Nur weil Keiner an die Entschlossenheit der Freunde glaubte, gab er der eignen Zaghaftigkeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_454.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)