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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Aus den liefländischen Wäldern.


Geliebten machte einen Sprung von mehreren Fuß in die Höhe, und stürzte dann in den Bergstrom, eine blutende Leiche!

Ein Ton wie ein heftiges und schmerzliches Stöhnen rann durch die Reihen der Soldaten, und als darauf eine plötzliche Stille folgte, hörte man nichts, wie das dumpfe Fallen des Körpers, als der Bergstrom das Blutopfer gierig verschlang.

Im nächsten Augenblick hatten die Männer ihre Gewehre an der Schulter und sahen nach der Richtung hin, von welcher der Schuß gekommen war, in der Erwartung, die ganze Macht der Bauern gleich Erscheinungen auf den Höhen zu erblicken. Sie sahen auf dem Gipfel nur einen einzelnen Mann mit gesenkter Büchse, der wilden Blicks auf die rothen Zeichen starrte, welche der Fluß hinwegschwemmte. Ein Augenblick ward in Erstaunen und Verwirrung verloren, allein im nächsten wurden mehr als fünfzig Gewehre auf einmal abgedrückt. Die größte Anzahl versagte, da das Pulver auf der Pfanne durch den Regen verdorben war; aber einige Schüsse gingen los. Den Hut des Tyrolers sah man zuerst fallen, dann einen Fetzen des Aermels flattern.

Der Schmerz der Wunde schien den Trieb der Selbsterhaltung zu erwecken, der für einige Augenblicke in der Verzweiflung seines Herzens erstickt war; der Mörder wandte sich und floh.

Das Geheimniß des Engpasses war bewahrt. Nackt und schrecklich hing der Wachtfelsen über die Schlucht, welche er in einer Weise verschloß, die nicht die geringste Hoffnung auf einen Durchgang aufkommen ließ, und Hans floh in einer entgegengesetzten Richtung die Felswand hinauf, indem er die Soldaten nach einer Stelle zu locken gedachte, auf welcher sie von vielen Häusern und Dörfern seiner Landsleute gesehen werden konnten.

Er floh in Sicherheit. Ein Zauber schien sein Leben zu erhalten, denn die Kugeln der Baiern, die seiner Fährte schnaubend wie Bluthunde folgten, splitterten die Büsche und rissen die Erde rings um ihn auf, ohne ein Haar seines unbedeckten Hauptes zu verletzen.

Mit einem kräftigen Sprunge erreichte er den Wald und war gerettet; aber in demselben Augenblicke übertönte ein lautes und scharfes Geheul das Geschrei der Soldaten, und man sah

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_469.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)