Seite:Die Gartenlaube (1856) 471.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

auch nicht wissen, was die Frau gesehen, denn wir hatten bereits genug des Grauens. „Denken Sie sich,“ fuhr die Erzählerin fort, „den Jammer der Armen, als ihr Mann Abends nach Hause kam und nach dem Töchterchen fragte, nach dessen Liebkosungen er sich sehnte! Sie sagte mir, sie habe das Stückchen von dem Kleide, das sie in der Hand behalten und den kleinen Schuh vor ihn hingelegt, wie sie ihm aber das Entsetzliche berichtet, das sie betroffen, wisse Gott allein, sie habe keine Erinnerung daran.“

Die beiden Kinder des Herrn vom Hause hatten in athemloser Spannung zugehört, die Aermchen dabei fester und fester um die Mutter geschlungen und sich dichter und dichter an dieselbe geschmiegt. Die Mutter aber schloß, als die Erzählerin endigte, beide fest an ihr Herz, und die Thränen stürzten ihr stromweise über die Wangen, Thränen der Freude, daß sie ihre Kinder sicher bei sich habe, Thränen des Mitleids über eine Mutter, die so viel gelitten!

Die Rührung hatte uns Alle übermannt; es herrschte tiefe Stille und ich freute mich fast, als einer der Anwesenden begann:

„Ich kenne auch eine Wolfsgeschichte von einer Mutter und einem Kinde, aber sie ist ganz anderer Art, wahrscheinlich auch schon bekannt, und ich weiß nicht, ob ich sie erzählen, und damit einen schneidenden Mißton in die jetzige Stimmung bringen darf.“

„Erzählen Sie! Erzählen Sie!“ rief man von verschiedenen Seiten, vielleicht um aus der Rührung herauszukommen. Schämen sich doch Manche der Thränen, die verrathen, daß auch sie ein mitleidendes, ein sogenanntes weiches Herz haben, während sie dafür gelten wollen, als könne nichts ihre kalte Gleichgültigkeit erschüttern; denn es gibt gar wunderliche männliche Koketten.

„Die Gräfin von Z… im Gouvernement … hatte – es werden nun acht bis zehn Jahre her sein – mit zwei ihrer Kinder zu Schlitten einen Besuch bei ihrer Schwester in deren nahe gelegenem Schlosse gemacht. Nachmittags, als sie nach Hause zurückkehren wollte, änderte sich das Wetter und es begann zu schneien; trotz aller Bitten aber ließ sich die Gräfin nicht bewegen, zu bleiben, sondern fuhr ab. Der Kutscher trieb die Pferde zu rasender Eile an, aber das Schneegestöber wurde immer heftiger und – kurz man kam vom Wege ab und der Kutscher, den der Schnee blendete, wußte bald nicht mehr, wo er war. Um den Schrecken zu mehren, bemerkte die Gräfin dicht neben ihr an der Seite ein eigenthümliches Schnauben, und als sie sich scheu umsah, erkannte sie zwei mächtige Wölfe, die sie mit den gräßlichen Augen gierig anstierten und so nahe waren, daß sie jeden Augenblick fürchten mußte, von ihnen gepackt zu werden. Ihr jüngstes Kind hatte sie, um es zu beruhigen, auf ihren Schooß in ihren Pelzmantel genommen, und es war da eingeschlafen. Sie schrie dem Kutscher wiederholt den Befehl zu, rascher zu fahren, damit sie aus dem Walde hinauskämen, aber der Sturm heulte so stark, daß ihr Befehl nicht gehört wurde. Auch war es nicht nöthig, denn die Pferde konnten nicht schneller laufen. Trotzdem hielten die Wölfe Schritt, ja sie schienen näher zu kommen; die Gräfin glaubte den heißen Athem der gierigen Thiere an ihrer Schulter zu fühlen. Ja, jetzt berührte sie der eine bereits mit der Schnauze; sie schielte athemlos über die Achsel; sie sah den blutrothen Rachen; sie glaubte schon die scharfen weißen Zähne in ihrem Fleische zu fühlen. Da packte sie in der Verzweiflung mit beiden Händen ihr Kind, das ahnungslos in ihrem Schooße schlief und – warf es den Wölfen hin, um ihr eigenes Leben zu retten. Die Wölfe stürzten über die Beute her, sie blieben zurück, die unnatürliche Mutter hörte einen Schrei ihres Kindes und – in diesem Augenblicke erreichte der Schlitten das Ende des Waldes, in dessen Nähe das heimathliche Schloß lag. Die Frau Gräfin war gerettet, wie aber sie ihrem Gatten berichtet hat, wo sein Töchterchen geblieben, „nach dessen Liebkosungen er sich sehnte,“ weiß ich nicht und mag es auch nicht wissen.“

Diese Erzählung erregte allgemeinen Unwillen, namentlich unter den anwesenden Frauen und der Herr vom Hause äußerte: „da lobe ich meinen Hinko, der mir viel lieber ist als solch’ ein Weib. Er hat heute sich brav bewiesen, aber seine Hauptheldenthat ist wahrscheinlich den meisten meiner freundlichen Gäste unbekannt und da so viel schon von Wölfen die Rede gewesen ist, will ich noch die Geschichte von dem Kampfe erzählen, den mein Barthel – der heute den Wolf niederhieb – und Hinko vor mehren Jahren mit Wölfen zu bestehen hatten, dann mag es genug sein von den häßlichen Bestien. – Es war ein harter, schneereicher Winter und Barthel ritt eines Tages in meinem Aufträge wegen eines wichtigen Geschäftes nach –, das bekanntlich über zehn Werste von hier liegt. Die Geschäfte wurden besorgt, und Barthel machte sich auf den Heimweg, der eine lange, lange Strecke weit zwischen hohen Schneewänden hinführte und so schmal war, daß zwei Schlitten kaum einander ausweichen konnten. Mit einem Male bemerkte Barthel, daß das Pferd von selbst rascher zu laufen anfing; auch ließ es einen leisen ängstlich wiehernden Ton hören. Es sah vor sich hin; Alles war da wie gewöhnlich: eine weite Schneefläche mit einzelnen beschneiten Bäumen, darüber der Himmel hell und klar, aber kein lebendes Wesen weit und breit. Er sah hinter sich: eine weite Schneefläche, einzelne Bäume, aber auf dem schmalen Wege im Schnee ziemlich nahe hinter dem Pferde drei oder vier Wölfe. Hielt das Pferd aus, blieb es auf dem gebahnten Wege, so war allerdings nicht viel zu fürchten, zumal er die Heimath bald erreichen mußte; prallte aber das Pferd scheu bei Seite und gerieth in den Schnee, so war es verloren und er wahrscheinlich mit ihm. Barthel klopfte liebkosend das Pferd, das darauf die Ohren emporrichtete, die es in Angst zurückgelegt hatte und es suchte seinen Lauf zu beschleunigen. Er drehte sich dann in dem Sattel um und schrie die Wölfe gewaltig an, aber sie fürchteten sich nicht. Außer einem Beile, das er immer bei sich führt, hatte er keine Waffe. Das Beil nahm er zur Hand und er hatte besonders einen auffallend großen Wolf in den Augen, der den andern voraus war. Das Pferd war von Schweiß bedeckt, denn es jagte im angestrengtesten Galopp. Trotzdem kam der große Wolf näher und näher, bald so nahe, daß er Barthel am Beine fassen oder das Pferd packen konnte. Es wurde also die höchste Zeit, zu handeln. Barthel führte denn auch einen mächtigen Beilhieb von dem kleinen Pferde herunter nach dem Wolf, den er zwar nicht traf, der aber in den Schnee stolperte und also bald weit überholt war.

Noch lag eine Werst zwischen dem Hause Barthel’s und dem Walde, dessen Ende er eben erreicht hatte. Der Weg wurde hier breiter; die Wölfe konnten sich freier bewegen und sie schienen vor das Pferd kommen zu wollen, um dasselbe von vorn zu packen. Da prallte dies plötzlich bei Seite und Barthel, der die Augen von den Wölfen nicht abgewendet, flog hinunter in den Schnee. Im nächsten Augenblicke fühlte er die scharfen Klauen eines Wolfes auf der Brust, aber er schüttelte die wüthende Bestie ab, sprang auf und hieb den Wolf mit dem Beile nieder, das er zum Glück in der Hand behalten hatte.

Das Pferd war in Schnee gerathen und konnte da nicht schnell laufen. Es war von hungrigen heulenden Wölfen umringt, die es zu packen versuchten. Es schlug heftig nach hinten aus und schmetterte so allerdings einen der blutgierigen Verfolger nieder, aber während es sich in dieser Weise von einem seiner Feinde freimachte, wurde es von mehreren gleichzeitig von vorn und an der Seite gepackt und trotz aller Anstrengungen niedergerissen. Es schrie laut auf vor Schmerz unter den Zähnen der Wölfe und den Klauen, die lange, blutige Furchen in seine Haut zogen. Es schüttelte den Hals verzweifelnd, die an ihm fest verbissenen Bestien abzuwerfen. Es bot seine ganze Kraft auf, sich wieder empor zu arbeiten, aber kaum hatte es sich halb aufgerichtet, als es die Wölfe von Neuem niederzogen. Endlich brach es zusammen, denn Einer hatte ihm die Kehle zerbissen, und nun lag es zuckend da in einem See von Blut, während die Bestien Stücke des noch warmen Fleisches ihm abrissen und in gieriger Hast verschlangen. Barthel war zu weit entfernt, als daß er dem Pferde hätte beistehen können, wenn es auch räthlich gewesen wäre, den Kampf mit der Meute hungriger Wölfe aufzunehmen. Und während er eine Minute vielleicht dastand und von fern das Pferd zerreißen sah, stürzten zwei andere Wölfe aus dem Walde dicht hinter ihm heraus. Er bückte sich eben, das Beil aufzuheben, das ihm entfallen war, als ihn die Wölfe packten, niederrissen und am Boden festhielten. Von Wölfen zerrissen zu werden, ist ein gräßlicher Tod und Barthel erhielt durch die Verzweiflung so ungeheuere Kraft, daß er sich noch einmal, auf wenige Sekunden, von den Bestien frei machen konnte; aber sein Blut hatte den Schnee gefärbt und der Anblick desselben stachelte die Gier der Wölfe auf’s Aeußerste an.

Hier aber muß ich von dem braven Hinko sprechen. Er

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_471.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2022)