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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Offizierstande gewidmet hatten, sondern studiren ließen. Man versprach ihm eine bedeutende Carrière in der Beamtenhierarchie. Er entsprach indeß nach einer anderen Seite hin nicht den von ihm gehegten Erwartungen. Er offenbarte mehr und mehr einen leichtsinnigen Charakter und dies auch namentlich, als er nach wohlbestandenem dritten Examen als Assessor bei dem Kammergerichte zu B. angestellt wurde. Dadurch wurden seine Verwandten veranlaßt, beim Justizminister zu bewirken, daß er aus B., wo es der Verführung zu viele für ihn gab, nach der kleinen, stillen und kleinstädtischen Provinzialstadt versetzt wurde, wo er noch zudem einem sehr strengen Chef untergeordnet wurde.

Er kam hier an mit einer jungen Frau, mit der er, wie es hieß, kurz vor seiner Versetzung in die Provinz sich verheiratet habe.

Er war ein schöner, geist- und kenntnißreicher, liebenswürdiger junger Mann. Er brachte die feine Lebensart der ersten Zirkel der Residenz mit, in denen er gelebt hatte. Seine Frau war eine schöne Dame, groß und üppig. Wenn sie auch nicht den Geist und die Bildung ihren Mannes besaß, so war sie doch immer munter und anspruchslos, fast schüchtern, und dadurch wie um ihrer Schönheit willen nicht minder liebenswürdig als ihr Mann.

Er machte mit ihr Besuche bei dem Präsidenten und bei allen Räthen des Oberlandesgerichts, und in den anderen, zur Societät des Städtchens gehörigen Familien. Man machte ihnen die üblichen Gegenbesuche. Man ladete sie darauf ein. In kleinen Städten herrscht für das Alles eine tyrannische Sitte. Beide wurden bald die Lieblinge der Gesellschaften; Beide gefielen den Damen wie den Herren. Indeß Beide noch mehr den Damen, als den Herren. Das hatte einfach darin seinen Grund, daß er, obwohl verheirathet, allen Damen den Hof machte, und daß sie dabei nicht die geringste Eifersucht zeigte. Alle Damen hatten deshalb zu ihr besondere Neigung und nahmen sie unter ihren besonderen Schutz. Das hätte die Damen nun freilich naturgemäß andererseits in eine sittliche oder wenigstens weibliche Entrüstung gegen ihren Mann bringen müssen. Allein er machte ihnen, wie gesagt, Allen den Hof, und am meisten denen, die am meisten seine Frau in ihre Zuneigung nahmen.

Er machte auch der schönen Therese, der stolzen Präsidententochter, den Hof; aber es war das ein eigenes Hofmachen. Er suchte sie in der Gesellschaft angelegentlich auf; er ließ sich mit ihr in ein von seiner Seite lebhaft geführtes Gespräch ein, über einen möglich uninteressanten Gegenstand; er isolirte sich dadurch mit ihr von der übrigen Gesellschaft, und, sobald er dies erreicht hatte, sobald er Alles von ihr entfernt hatte, allein mit ihr war, entfernte auch er sich plötzlich unter irgend einem Vorwand von ihr und ließ sie allein. Er that es ohne allen Hohn in seinem Aeußeren. Aber war sein Thun nicht selbst Hohn?

Und die stolze Präsidententochter?

An einem schönen Sommernachmittage war von mehreren Familien ein gemeinsames Fest in einem benachbarten Wäldchen veranstaltet. Das geschah oft so, und solche kleine Waldfeste waren immer reizend. Alles was an jungen Damen und jungen Herren zu der Gesellschaft des Städtchens gehörte, wurde dazu eingeladen und erschien. Die jungen Leute gingen in bunten Gruppen zu Fuße, die älteren kamen zu Wagen nach. Eine oder zwei verheirathete Damen im gesetzten Alter mußten sich als Ehrendamen der jungen Welt anschließen. Das war jedesmal eine wundervoll schöne Zeit für alle jene Liebesleutchen mit dem unentbehrlichen kleinen Liebesunglück. Da konnte man verstohlen die Hand drücken, leise seufzen, leise Worte der Liebe flüstern; hinter einer dicken Eiche konnte gar ein flüchtiger Kuß gewechselt werden. Den Eifersüchtigen konnte man versöhnen; das Herz des Erkalteten konnte man durch Eifersucht in neue Flammen versetzen. Und wenn es durch Eifersucht nicht anging, gar durch tüchtige Schläge mit dem Plumpsack; denn dem ländlichen Waldvergnügen durften auch die ländlichen Waldspiele nicht fehlen.

An jenem Sommernachmittage war die Gesellschaft besonders munter gewesen. Scherz und Spiel hatten unaufhörlich mit einander gewechselt; alle Liebespaare hatten sich zusammengefunden und zusammengehalten. Keine Eifersucht, kein zankendes Mutterauge, keine grollende Vaterstirn war heute störend oder trennend zwischen sie getreten. Die allgemeine Freude ließ sie entweder nicht sehen, oder ließ sie nicht sehen wollen.

Was den Assessor von Grauburg und seine Frau betraf, so war von der Frau Assessorin unzertrennlich ein jüngerer Rath, dessen Frau ihn vor acht Tagen mit einem Knäbchen beschenkt hatte, die daher an der Gesellschaft nicht Theil nehmen konnte. Der Assessor machte auf das angelegentlichste der jungen Frau eines alten Geheimeraths die Cour, der sich gern leicht erkältete und daher mit den älteren Damen zum Thee in ein aufgeschlagenes Zelt sich zurückgezogen hatte.

Die schöne Therese kam erst gegen Abend mit ihrem Vater nachgefahren. Der Präsident war Wittwer.

In dem Augenblicke, als der Wagen hielt, war zufällig ein Spiel der jungen Welt beendigt. Die jungen Leute gingen den Ankommenden entgegen. In einer kleinen Provinzialstadt, in der meist nur Beamte wohnen, ist ein erster Präsident ein kleiner König, und seine Tochter eine Prinzessin.

Der Assessor von Grauburg ging ihnen nicht entgegen. Der alte Geheimerath, dessen Frau er führte, hatte einen Anfall von Husten bekommen, war in die Oeffnung des Zeltes getreten und hatte seine Frau gerufen; er wollte sie fragen, was sie von seinem Husten halte. Der Assessor begleitete die schöne Frau zu dem Zelte.

Die schöne Therese wurde von den jungen Leuten, Damen wie Herren, umringt. Warum sie so spät gekommen, wie es so schön heute hier sei, wie herrlich man sich schon amüsirt habe, wie viel Amüsement der schöne Abend noch verspreche, besonders da sie, die sehnlich Erwartete, jetzt hier sei, das und dergleichen bildete den Inhalt einer sehr lebhaften allgemeinen Unterhaltung.

Die eigenthümliche Art, wie der Herr von Grauburg die schöne Therese behandelte, hatte mich schon seit einiger Zeit auf Beide besonders aufmerksam gemacht. Ich beobachtete sie an jenem Nachmittage angelegentlicher. Ich bemerkte bald, daß die Gedanken des schönen Mädchens nicht bei der Unterhaltung waren. Sie antwortete vage, zerstreut. Ihre Augen flogen oft suchend über ihre nächste Umgebung hin. Sie suchte Zerstreuung und Suchen zu verbergen. Ich bemerkte dennoch, wie sie dann den Assessor von Grauburg aufsuchten, dann wie plötzlich träumend auf der Gestalt der Frau von Grauburg haften blieben. Gleich darauf gab sie ihnen, wie verwirrt und verlegen darüber, daß man sie beobachtet haben möge, eine andere Richtung.

Die Frau von Grauburg schien keine Notiz davon zu nehmen, daß sie der Gegenstand der Aufmerksamkeit der jungen Dame sei.

Der Herr von Grauburg war von dem alten Geheimerath aufgehalten worden. Der kränkliche Herr sprach mit ihm über die berühmtesten Aerzte der Residenz. Aber auch er war nur äußerlich bei dem Gespräche. Ich konnte sogar in der Entfernung seine Bewegungen der Ungeduld wahrnehmen. Sobald er konnte, riß er sich los.

Bei seiner Entfernung sah ich einen beinahe ängstlichen Blick in dem Auge der Tochter des Präsidenten. Sie suchte wieder damit, ich konnte nicht errathen, was. Auf einmal fiel ihr Auge auf mich. Ich stand allein.

„Wird denn kein Spiel wieder begonnen?“ fragte sie die ihr zunächst Stehenden.

„Gewiß, gewiß!“ antwortete man ihr zuvorkommend.

Sie trat auf mich zu.

„Sie haben keine Dame, wie ich sehe.“

Sie nahm meinen Arm.

In demselben Augenblicke ging der Assessor von Grauburg an uns vorüber, ruhig, kalt grüßend, zu seiner Frau.

Ich fühlte den schönen Arm der Dame in dem meinigen zittern. Man kehrte zu dem Spielplatze zurück.

„Weichen Sie nicht von mir,“ flüsterte meine Begleiterin mir zu.

Ich fühlte, wie sie heftiger zitterte; ihr Gesicht war blaß geworden.

„Sie sind nicht wohl?“ fragte ich sie, halb wirklich unbefangen, halb weil ich nicht recht wußte, was ich ihr erwidern sollte.

„Nicht ganz. Und doch! Nachher! Gehen Sie nur nicht von meiner Seite.“

Gleich darauf holte der Assessor uns ein. Er ging mit seiner Frau ebenfalls zu dem Spielplatze.

Der Arm meiner Begleiterin zitterte nicht mehr. In ihr Gesicht war die gewöhnliche zarte Röthe zurückgekehrt.

„Ach, mein Fräulein,“ sagte der Assessor zu der schönen Therese, „Sie kommen spät, aber –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_478.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)