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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Schmerze, meinem Unglücke, meinem Geheimnisse. Nur Spott, nur Hohn soll mein Vertrauen mir einbringen.“ Sie war jedenfalls eine Unglückliche, unglücklich entweder in einer großen, starken Leidenschaft, oder in einer überschwenglichen Einbildung. Mein leerer Spott konnte nur verletzen und reizen.

„Verkennen Sie mich nicht“, erwiederte ich ihr beruhigend. „Ich meinte es gut. Sie tragen eine Wunde in Ihrer Brust; ich wollte durch lauten Spott ihre Tiefe, ihre Beschaffenheit sondiren. Es bedarf dessen nicht mehr. Ihre Wunde ist wirklich tief und schmerzhaft.“

„Das ist sie.“

Sie warf sich an meine Brust, anfangs noch laut, dann stiller weinend. Ich hatte keinen Spott mehr für sie. Ich hatte aber auch keine Trostgründe. Jeder wäre trivial gewesen. Ich hatte sie aber auch aus einem andern Grunde nicht.

Habe Einer, achtzehn Jahre alt, noch so wenig Lust zur Liebe, und fahre er, an einem schönen, warmen Sommerabend, im klaren Mondenschein, durch duftenden Wald und duftige Wiesen, im leise schaukelnden Wagen, an seiner Seite ein weibliches Wesen, ein Bild der Jugend und der Schönheit, ihre Hände in den seinigen, ihren Kopf an seinen Busen gelehnt, das Wogen ihres Busens, das Klopfen ihres Herzens fühlend, ei zum Teufel, er wird in seinem Herzen ganz andere Dinge fühlen als Spott und Hohn.

Wir erreichten die Stadt.

„Kommen Sie morgen Abend zu mir“, sagte sie beim Abschiede.

War sie eine Unglückliche, oder eine Thörin? War er der sorglose Verführer ihrer Liebe oder ihrer Phantasie? War er wirklich nicht verheirathet? Und wie sollte dies anzunehmen sein?

Am andern Tage lief ein sonderbares Gerücht mit der rasenden Eile eines Lauffeuers durch die kleine Stadt. Dem sonderbaren Gerüchte folgten sonderbare Ereignisse. Es war ein sonderbarer Zufall, daß das Alles am nächsten Tage nach jener Waldscene sich zutragen mußte.

Des Morgens um neun Uhr war die Fahrpost – ich weiß nicht ob damals schon Schnellposten eingerichtet waren – von B. in der kleinen Stadt eingetroffen. Sie mußte sich eine Stunde aufhalten, um präcis zehn Uhr weiter zu fahren. Aus dem Postwagen war ein junger Offizier gestiegen. Er kam aus der Residenz und wollte weiter fahren. Er fragte nach einem Gasthofe, in welchem er bis zur Abfahrt des Postwagens frühstücken könne. Nicht weit von dem Posthofe lag der erste, oder einer der ersten Gasthöfe des Städtchens. Er wurde dorthin gewiesen. Während er sein Frühstück verzehrte, schien er sich auf einmal auf etwas zu besinnen.

„H. heißt das Städtchen?“ fragte er den Gastwirth.

„Aufzuwarten.“

„Und ein Oberlandesgericht ist hier?“

„Aufzuwarten.“

„Potztausend, ist dabei nicht ein Assessor von Grauburg angestellt?“

„Gewiß.“

„Was macht er denn?“

„Es geht ihm gut. Es scheint ihm und seiner jungen Frau hier sehr zu gefallen.“

Dem Offizier fielen vor Verwunderung Gabel und Messer aus den Händen.

„Seiner jungen Frau? Seit wann ist der Grauburg denn verheirathet?“

„Er hat seine Frau schon von B. mit hierher gebracht.“

Der Lieutenant konnte vor Verwunderung nicht weiter essen.

„Von B.?“

„Sie können sich darauf verlassen.“

„Er brachte sie schon mit, als er hierher versetzt wurde?“

„Gewiß.“

„Es ist nicht möglich.“

„Aber ich versichere Sie.“

„Das muß ich wissen. Wo wohnt der Herr von Grauburg?“

„Nicht weit von hier. Dort in der ersten Straße rechts, im ersten Hause links.“

Der Offizier ließ sein Frühstück stehen, verließ den Gasthof und eilte nach der bezeichneten Straße und nach dem bezeichneten Hause.

Der Gastwirth sah ihn in sprachlosem Erstaunen nach. Seiner Frau Neugierde wurde desto redseliger, als er ihr die Unterredung mitgetheilt hatte.

Nach einer starken Viertelstunde kehrte der Offizier zurück. Er kehrte mit einem halb listigen und halb verlegenen Gesichte zurück.

„Nun“, fragte der neugierige Gastwirth, „haben der Herr Lieutenant sich überzeugt?“

Der Offizier antwortete nicht.

„Meine Rechnung, wenn ich bitten darf.“

Er erhielt seine Rechnung; er bezahlte sie; er kehrte zu dem Posthofe zurück; er fuhr mit dem weiter fahrenden Postwagen weiter. Er war abgefahren, stumm wie das Grab.

Nicht stumm, sondern sehr gesprächig war die Dienstmagd im Hause des Assessors von Grauburg gewesen. Durch sie erfuhr die Stadt bald Folgendes: Der Offizier hatte an der Wohnung des Herrn von Grauburg geklingelt. Das Dienstmädchen hatte ihm geöffnet.

„Der Herr Assessor von Grauburg zu Hause?“

„Nein. Der Herr ist in der Sitzung.“

„Die – die Frau Assessorin?“

„Die gnädige Frau ist zu Hause.“

„Können Sie mich melden?“

In dem Augenblicke öffnete sich eine Thür. Die Frau Assessorin von Grauburg trat heraus in das Entrée. Sie sah den fremden Offizier. Sie wollte zurückfliehen, aber der Offizier hatte auch sie gesehen.

„Zum Teufel, Aurora!“ rief er. Er stürzte ihr nach. Bevor sie die Thür hinter sich hatte zuschlagen können, hatte er sie schon wieder aufgerissen. Er war mit ihr in ihrem Zimmer.

Das Dienstmädchen stellte sich horchend an die Thür und konnte jedes Wort hören, das in dem Zimmer gesprochen wurde.

„Zum Teufel, Aurora, wie kommst Du hierher? Was machst Du hier?“

„Ich bitte Sie um des Himmels willen, sprechen Sie leise. Das Dienstmädchen –“

„Die gnädige Frau spielst Du hier? Die Frechheit ist zu groß. Wo hatte der Grauburg seine Gedanken? Er ruinirt sich in dem kleinen Neste –“

„Ich beschwöre Sie, Herr von Münchhoff. Wir leben hier so glücklich. Stören Sie unser Glück nicht.“

(Fortsetzung folgt.)




O sprecht! warum zogt ihr von dannen?

In dem nebenstehenden Holzschnitt geben wir unsern Lesern heute die Nachbildung eines der effektvollsten Bilder der Neuzeit: der Abschied der Auswanderer von C. Hübner. Es ist eine großartig, mit vielem Gefühl aufgefaßte Scene, ein sehr ernster Moment aus dem Leben unserer Zeit. Unter den Gruppen von Landleuten, welche auf dem Kirchhofe Abschied von den Gräbern der Ihrigen nehmen, fesseln uns besonders drei Mädchen, die mit überströmendem Gefühl und tiefer Wehmuth einen Kranz auf ein Grab legen. Rechts erblicken wir einen Zug von Landleuten, die mit Kränzen tanzend und jubelnd ihre Heimath verlassen, als sollten sie einziehen in ein Paradies. Wer gibt Antwort auf die schönen Freiligrath’schen Worte:

O sprecht! warum zogt ihr von dannen?
Das Neckarthal hat Wein und Korn;
Der Schwarzwald steht voll finst’rer Tannen,
Im Spessart klingt den Aelplers Horn.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_480.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)