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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

mannigfaltigsten Zwecken verwendet werden können. Läßt man bedrucktes oder bemaltes Papier ansintern, z. B. Lithographien, Kupferstiche u. s. w., so bleiben Druckerschwärze und Farben an dem Sinter hängen, während das Papier sich ablösen läßt und man hat auf dem Sinter den vollkommenen Abklatsch des Bildes.

Die Werke, welche die Galvanoplastik in neuerer Zeit geschaffen hat, sind wohl geeignet unser Staunen zu erregen. Mehr als jene kolossalen künstlerischen Gebilde, die aus jenen Werkstätten in großer Zahl hervorgegangen sind, nehmen unsere Aufmerksamkeit die kleineren Nachbildungen in Anspruch. Als an der äußersten Grenze der Kleinheit stehend, führen wir hier nur zwei an. Der englische Physiker Grove copirte ein Lichtbild, das so genau in dem Kupferniederschlage wiedergegeben war, daß man auf einer Fläche von 1/10 Zoll Länge und 1/100 Zoll Breite 5 Linien Schrift auf das deutlichste mit dem Mikroskope ablesen konnte. Poulton bildete auf galvanoplastischem Wege das Auge einer Stechfliege nach und auch hier zeigte die Nachbildung unter dem Mikroskop alle die vielen Tausende der kleinen Facetten, aus denen das wirkliche Auge zusammengesetzt ist. Mit derselben bewundernswerthen Genauigkeit wird auch zu Karlsbad in der Werkstatt der Natur gearbeitet. Die feinsten Erhöhungen und Vertiefungen des Originals oder einer Form werden so vollkommen wiedergegeben, als es nur immer auf galvanoplastischem Wege möglich ist. Bis zu welchem Grade der Vollendung dies geschieht, dafür liefert das „Sinterbild“ eines Daguerreotyps auf überraschende Weise den Beleg.

Ohne daß das Original im geringsten Schaden gelitten hatte, zeigte die nach drei Wochen abgenommene Sinterplatte das Porträt Zug für Zug bis zur feinsten Spitzengarnitur. Die durch den Quecksilberniederschlag rauheren und daher dem Auge leichter erscheinenden Stellen des Daguerreotyps sind in derselben Weise auch auf der Sinterplatte rauher, so daß diese im reflectirten, spiegelnden Licht den Effect des Originals bis in das kleinste Detail wiedergibt. Aber selbst im zerstreuten Licht erscheinen die dunkleren Stellen des Daguerreotyps besonders auffallend; so tritt z. B. ein schwarzes Sammetband auf einem weißen Spitzengrund auch auf der Sinterplatte dunkler hervor, wie wenn sich der Sinter auf den dunkleren, quecksilberfreien Stellen der Silberplatte auch mit dunklerer Färbung niedergeschlagen hätte.

Manchem der Leser mag dieser neue Industriezweig mehr nur als Spielerei erscheinen. Wir erinnern hier aber an den alten Satz: „im kindlichen Spiel liegt oft ein tiefer Sinn,“ der sich auch hier zu bewahrheiten scheint. Ist auch die Vervielfältigung der Lichtbilder durch den Druck mit Hülfe von Kupferplatten, die auf galvanoplastischem Wege dargestellt worden sind, gerade nicht mehr als ein Räthsel zu betrachtenn so stellen sich diesem Vorhaben aber dennoch mancherlei ernste Schwierigkeiten hemmend in den Weg, die zu beseitigen nicht immer in unserer Macht steht. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, gewinnt die natürliche galvanoplastische Anstalt zu Karlsbad eine ungemeine Wichtigkeit. Alle Schwierigkeiten, die dort sich hindernd geltend machen, fallen hier fort und das Ganze wird dadurch noch sehr erleichtert, daß sich die Sinterplatte auf dieselbe Weise zubereiten und ätzen läßt, wie lithographischer Stein. Und daher glauben wir, diesem jungen Sprößling der Industrie ein erfreuliches Gedeihen prophezeihen zu dürfen.




Drei Frauenbilder in Bayreuth.
3. Jean Paul und die Rollwenzel.

Es ist eine eigenthümliche und frappante Erscheinung in der Entwickelung des deutschen Geisteslebens der Neuzeit, daß die beiden ehemaligen brandendurgischen Fürstenthümer in Franken, Anspach und Bayreuth, den formlosesten und den formvollendetsten deutschen Dichter erzeugt haben.

Johann Paul Friedrich Richter, nach seiner eigenen Wahl meist Jean Paul genannt, war ein Sohn des Landes Bayreuth, und August Graf von Platen-Hallermünde war ein Sohn der Stadt Anspach. Jeder von ihnen ist in seiner Art unübertroffen groß und der einzige Repräsentant derselben, Beide werden als scharfausgeprägte Originale ihren Platz in der deutschen Literatugeschichte für immer behaupten, ja man darf annehmen, Beide werden erst in der Zukunft ihre wahre und gerechte Würdigung erfahren; denn Beide haben während ihres Lebens die volle Anerkennung, die sie mit Recht von ihrem Vaterlande beanspruchen durften, nicht gefunden, von dem Vaterlande, das sie, der Eine wie der Andere so schwärmerisch liebten, und deren Versagung ihnen so bittere Schmerzen bereitete. Im schlichten Pfarrerssohne aus dem Fichtelgebirge war die Liebe größer als der Schmerz; nachdem er bis in sein 35stes Lebensjahr alle Schmach und Geringschätzung deutscher kleinstädtischer Engherzigkeit in dem durch ihn berühmt gewordenen Hof erfahren hatte, kehrte er nach kurzen sechs Jahren, die er in Leipzig, Weimar, Berlin, Meiningen und Koburg verlebt, dennoch wieder in die Hauptstadt seines kleinen Vaterlandes zurück und wohnte, wahrlich nicht in glänzenden Verhältnissen und von den Bürgern Bayreuths keineswegs nach Verdienst gewürdigt, in ihr bis an seinen Tod. Im Grafen waren Schmerz und Groll größer als die Liebe, und sie trieben ihn über die Alpen, wo er, Deutschland fast entfremdet, einsam starb.

An die Namen beider Dichter „aus Franken“ kettet sich auf überraschende Weise der eines dritten deutschen Dichters, unsterblich wie der ihrige, der des Königs Ludwig von Baiern, „Herzogs von Franken.“ Denn Er war’s, der mit königlich dichterischer Munificenz dem Dichter Platen, dem Meister der Form, den Lebensunterhalt in Italien gewährte, und Er war’s, der aus eignen Mitteln dem Dichter Richter die herrliche Erzstatue in Bayreuth errichtete, als das deutsche Volk dem Aufrufe eines Vereins zu Wunsiedel, der Geburtsstadt des Dichters, „zur Errichtung eines Nationaldenkmals Jean Paul’s“ keineswegs wie man hätte erwarten dürfen, entsprochen hatte. Eben so großmüthig hat sich König Ludwig an den Beiträgen zur Errichtung des Platen-Denkmals in Anspach betheiligt, und wir glauben nicht zu irren, wenn wir prophezeihen, daß auch diese Dichterstatue nur durch den König-Dichter werde zur Vollendung kommen können, so daß die beiden Schwesterstädte durch ihn mit den Erzbildsäulen der beiden großen, einander so merkwürdig entgegengesetzten Dichter geziert sein werden.

Sowohl aus dieser hohen und einzigen königlichen Freigebigkeit auf der einen Seite, als auf der andern aus Platen’s aristokratischer Geburt und Erziehung und aus Richter’s Leben, das nur von Personen aus der höchsten und hohen Aristokratie, die ihn nach Würden achteten und ehrten, zu erzählen weiß, sollte man schließen können, daß unsere beiden großen fränkischen Dichter im Sinne und Interesse der höhern Gesellschaft geschrieben und dieser ausschließlich mit ihrem Denken und Fühlen, mit ihren Sympathien und Bestrebungen angehört hätten, wie etwa Horaz oder Goethe. Aber kein Schluß würde trügerischer sein als dieser.

Der von Fürsten gesuchte und von ihnen fast wie ihres Gleichen behandelte, (man braucht nur an den Herzog Georg von Mecklenburg-Strelitz, den Herzog August von Gotha, den Herzog Friedrich von Hildburghausen, den Herzog Georg von Meiningen, den Fürsten Dahlberg zu erinnern) von edlen charakterhohen Fürstinnen schier gehätschelte (Anna Amalia, Herzogin von Weimar, Louise, Königin von Preußen und ihre drei Schwestern, die Herzogin von Hildburghausen, die Fürstin von Turn und Taxis und die Fürstin von Solms etc.), von genialen adligen Damen, die ihn meist heirathen wollten, geliebte (Frau von Kalb, Frau von Berlepsch, Frau von Krüdener, Fräulein Karoline von F., Hofdame in Hildburghausen, mit welcher er verlobt war) Jean Paul war eben so ein Mann der Freiheit, ja nach dem heutigen Sprachgebrauche ein „Demokrat,“ wie der aus alter Familie entsprossene Graf Platen. Richter’s entschiedene Freisinnigkeit spricht sich in allen seinen Schriften bald mehr bald minder stark und scharf aus, am kühnsten und freimüthigsten in seiner „Charlotte Corday“ und in seinem, dem Herzog August von Gotha dedicirten „Freiheitsbüchlein;“ Platen’s Demokratismus bricht in seinen politischen

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