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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

aber nicht schwierig ist; denn wir sprechen es noch einmal aus: „Der Saft unreifer Trauben kann ohne Zusatz gewisser Substanzen unmöglich in guten Wein verwandelt werden.“

Fragen wir aber, ob es möglich und zweckmäßig ist, die Ungunst der Witterung, die sich bei der Entwicklung der Trauben fühlbar macht, auf künstliche Weise auszugleichen und aus ungereiften, sauren Trauben einen guten Wein zu bereiten, so können wir diese Frage entschieden bejahen. Es ist nur unbegreiflich, daß es noch nothwendig ist, von einer entgegengesetzten Meinung sprechen zu müssen. Schon im vorigen Jahrhundert sind in mehreren Ländern hierauf bezügliche, allerdings nur unvollkommene Anleitungen gegeben worden. In Deutschland empfahl Döbereiner im Jahre 1822 den sauren Most durch Wasser zu verdünnen, mit Zucker zu versetzen und gähren zu lassen; nach ihm sprachen sich viele andere praktische und gelehrte, intelligente Männer theils für alleinigen Zuckerzusatz, theils für Zucker- und Wasserzusatz zugleich aus. In Frankreich hat man ähnliche Mittel benutzt; man hat nach Maupin’s Vorschlag den zu süßen Most durch Wasser verdünnt, nach Chaptal, dem berühmten Minister Napoleons I.[WS 1], den zu sauren Most mit Zucker versetzt, ein Verfahren, welches man jetzt das Chaptalisiren nennt. Auch die Engländer sind der Weinbereitungskunst nicht fremd geblieben. Ihre Johannisbeer und Stachelbeerweine waren längst berühmt, und halten den Vergleich mit den besten Traubenweinen aus. Auch hat dort z. B. Dr. Macculoch gelehrt, selbst aus ganz unreifen, noch harten Trauben, durch richtigen Zusatz von Zucker und Wasser den vortrefflichsten Wein zu bereiten. Alle die gegebenen Vorschriften waren deshalb ungenügend, weil sie nicht auf die vielen Verschiedenheiten des Mostes verschiedener Gegenden und verschiedener Jahrgänge Rücksicht nahmen. Sie waren noch zu roh und empirisch, um in allen Fällen ein günstiges Resultat zu sichern. Nur einzelne kenntnißreichere Leute vermochten sie daher mit Vortheil anzuwenden. Dieser Mangel ist aber jetzt durch die ausgezeichneten rastlosen Untersuchungen von Dr. L. Gall in Trier glücklich und gänzlich beseitigt worden. Gall hat daher das Verdienst, zuerst ein wirklich praktisches, allgemein anwendbares Verfahren zur Weinbereitung und Weinveredelung gelehrt zu haben. Er theilte seine wichtigen Erfahrungen in verschiedenen Schriften auf ganz uneigennützige Weise mit; denn ihn beseelte und leitete der aufrichtige Wunsch, dadurch zur Besserung der äußerst bedenklichen Existenz der Winzer beitragen zu können. Allein sein edles Bestreben stieß besonders anfangs, bevor die Wahrheit und Richtigkeit seiner praktischen Lehren allgemeiner bekannt und als beachtungswerth befunden worden, auf einen unglaublichen Widerstand. Viele große Weinhändler, die sich eines ähnlichen Verfahrens längs bedient hatten, um aus jeder sauren Brühe, die sie dem armen Winzer mit wenigem Gelde bezahlten, edlen Wein zu bereiten, sahen ihre geheimen Kellerkünste plötzlich öffentlich und klar mitgetheilt. Sie mußten befürchten, daß nun auch ohne ihr Zuthun guter Wein dargestellt werde, und dann im Preise sinke; sie befürchteten, daß ihr Mammonshaufen, an welchem die Seufzer und Thränen manches Armen hängen, nun nicht mehr so schnell wachsen könne. Gall hatte in ein böses Nest gestochen, und nichts blieb von den Gestochenen unversucht, um den kühnen Mann zu bestrafen und namentlich seine Lehren unschädlich zu machen.

Zunächst wurden die Winzer, deren Tyrannen und Gesetzgeber die Weinhändler in mehreren Gegenden sind, aufgewiegelt, Man stellte ihnen vor, daß die Gall’schen Lehren den deutschen Weinbau untergraben und vernichten würden; man drohte ihnen mit Verpfändung ihrer verschuldeten, den schönen Naturwein liefernden Grundstücke, sobald sie nur die geringste Lust zum „Gallisiren“ (so wird jetzt das Gall’sche Verfahren genannt) zeigen würden. Was kann aber ein armer, unglücklicher Schuldner gegen seine gestrengen mächtigen Gläubiger thun? Es entstand eine wahre Empörung, wie man sie in einem so aufgeklärten Jahrhundert nicht mehr für möglich halten würde; eine Empörung, hervorgerufen durch den niedrigsten, schmutzigsten Eigennutz einiger reicher und deshalb mächtiger, zum Theil sogar hochgestellter Leute. Dieselben Leute bestellten aber nichtsdestoweniger große Ladungen von Zucker, angeblich, um Früchte damit zu verzuckern. Diese Männer, an der Spitze landwirthschaftlicher Vereine stehend, verdammten die Gall’schen Lehren, aber ohne ihr Urtheil zu begründen. Sie schienen es nicht zu wagen, die Naturweine mit den nach der Gall’schen Methode veredelten Weinen zu vergleichen; denn sie wußten wohl, daß die gallisirten Weine überall, wo solche Vergleiche angestellt wurden, den Sieg über die Naturweine errungen hatten. In Rheinbaiern waren sie mächtig und schamlos genug, um die Fässer einiger armen Leute, die ihre Weine gallisirt hatten, zu versiegeln, zwanzig Monate mit Beschlag zu belegen und nachdem sich, trotzdem daß das nöthige Auffüllen derselben nicht gestattet wurde, nach der Eröffnung derselben ihr Inhalt als feuriger mundender Wein erwies, die Weinveredler hart zu bestrafen. Mit einem Worte, die Leute, welche besonders befürchteten, durch die Gall’schen Lehren in ihrem eigennützigen Wirken beschränkt und beeinträchtigt zu werden, ließen bis zum heutigen Tage kein Mittel unversucht, um die Verbreitung derselben zu verhindern. Allein wie ein unaufhaltsamer mächtiger Strom wälzten sich die Gall’schen Lehren von einem Weinberge zum andern, von einem Lande zum andern. Die rechtschaffenen Praktiker anerkannten einstimmig ihre Vortrefflichkeit, die Wissenschaft erklärte ihre Wahrheit und Nichtigkeit, und siegreich erglänzte überall der Erfolg des Wahren über dem Schmutze der Dummheit und Schlechtigkeit. Aus allen Weinbau treibenden Ländern kamen die günstigsten Berichte, erscholl der Jubel, daß man nun auch in schlechten Jahren vor Verlusten gesichert sei, daß man um sein Geld guten, genießbaren, gesunden Wein trinken könne. Gall hatte in der That viele Angriffe der verschiedensten Art auszuhalten; er wurde verhöhnt, verspottet und auf jede mögliche Weise gereizt; doch er ließ sich nicht abhalten, verfolgte sein begonnenes Werk mit großer Energie, an seinem Grundsatze festhaltend, daß man das Gute und Nützliche so oft sagen und wiederholen müsse, bis es nicht mehr nothwendig sei. Oft wurde er bitter, und man machte ihm seine Bitterkeit zum Vorwurfe; allein wer so verfolgt und angegriffen wird, kann wahrlich nicht anders werden, er müßte denn ein zweiter Hiob sein.

Das ist im Allgemeinen der Standpunkt dieses Gegenstandes, und ich habe denselben hier um so lieber etwas ausführlicher bezeichnet, als ich glaube, daß es zur Fällung eines unparteiischen Urtheils nothwendig ist, diese Verhältnisse zu kennen. Gewiß würde man sich sonst wundern, warum die Gall’schen Lehren, wenn sie so vortrefflich sind, nicht schon einen ganz allgemeinen Anklang gefunden haben. Die Ursache hiervon liegt also nicht in der Sache selbst, sondern in der Abneigung vieler Menschen gegen alles Neue und in dem mächtigen, gehässigen, oft perfiden Widerstande vieler großer einflußreicher Weinhändler. Die Gall’schen Lehren finden nichts desto weniger eine immer größere Anerkennung und steigende Anwendung. Keiner, der dieselben befolgte, hat bis jetzt Ursache gehabt, dies zu bereuen. Sicherlich werden auch die besonders gedrückten kleinen Winzer in Rheinbaiern und an der Mosel bald von ihren Vampyren befreit sein. Die Lehren Gall’s haben vollständig gesiegt. Neun große Traubenzuckerfabriken sind nur in Folge derselben entstanden; sie vermögen kaum alle Bestellungen auf Zucker zum Zwecke der Weinveredelung zu befriedigen, und sind die schlagendsten Beweise des glänzenden Sieges. In England und Frankreich hat man übrigens das Gallisiren sehr bald vollständig zu würdigen gewußt, und zog schon bedeutende Vortheile daraus, als man in Deutschland dasselbe noch kaum einer Beachtung werth hielt. Gall hat seine Verbesserungen auf folgende Ansichten begründet:

„Die Natur liefert keinen Wein, sondern nur Weintrauben. Der Wein entsteht erst durch den chemischen Proceß der Gährung aus dem Moste, ist daher ein Kunstprodukt, d. h. ein Produkt des angewandten Wissens und Könnens des Weinproducenten. Nur die vollkommen reife Traube enthält die Haupterfordernisse: Wasser, Zucker, freie Säuren und Eiweißstoffe in demjenigen Verhältnisse, in welchem sie im Moste vorhanden sein müssen, damit durch die bei der Gährung stattfindende Veränderung der möglichst beste Wein gebildet werde, der je nach der Traubensorte, dem Jahrgang, der Lage und Bodenmischung des Weinberges, sowie der Temperatur des Gährungslokales daraus entstehen kann. Zwischen vollkommen reifen und ungezeitigten Trauben besteht nur der Unterschied, daß letztere jene Haupterfordernisse zur Weinbildung nicht in richtigen Verhältnissen enthalten; denn an und für sich sind der Zucker, das Wasser, die Weinsäure, die Aepfelsäure etc. eben so vollkommen ausgebildet, als im Safte der reifsten und edelsten Beere. Die unreifen Trauben enthalten stets zu wenig Zucker und häufig auch zu wenig Wasser, im Verhältniß

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Napoleon I.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_524.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)