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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

durchstreifen sie die Grenzen von Afghanistan, und unternehmen Streifzüge bis in’s Innere von Persien. Sie unternehmen Exkursionen, um ein Taschentuch, eine Lumpe, irgend eine werthlose Kleinigkeit zu erwischen.“

Weil Jeder geschäftsmäßig stiehlt, brauchen selbst die besten Freunde auf der Reise, Brüder, selbst Vater und Sohn, die größten Vorsichtsmaßregeln gegen einander. Sie schwören Beide bei Piir Kisri, daß sie hundert Ellen von einander schlafen und sich nicht vor aufgehender Sonne erheben wollen. So schlafen Vater und Sohn auf der Reise in ehrerbietiger Entfernung. Aber mit scharfem Ohr hören sie mitten im Schlafe das leiseste Geräusch und sehen, ob Vater und Sohn gegenseitig den Schwur bei Piir Kisri doch brechen wollen. Auch machen sich die Beludschen in Konsequenz des Stehlens und der Habsucht gegenseitig gern todt. Einmal erschlug Einer den Andern wegen eines Kleides, das nicht mehr werth war, als etwa einen Thaler. Stehlen, Rauben, Morden, Verbrechen aller Art, um sich dadurch etwas anzueignen, ist ihre Religion. Ihr Dogma lautet: „Vor einigen tausend Jahren vertheilte Gott die Güter der Erde unter die Menschen, und ließ sich von bösen Geistern bereden, den Beludschen nichts zu geben, als einen trocknen, heißen, unfruchtbaren Boden. Wir müssen nun Gottes üble Vertheilung ausgleichen und selbst nehmen, was wir kriegen können.“ Wilde Nomaden können dies als ihre Naturreligion betrachten. Offenbart und Besseres mitgetheilt ward ihnen bis jetzt nicht. Dies fiele vielleicht auf einen guten Boden, denn sie sind nicht ohne gute Eigenschaften und Talente. Namentlich ist ihre Gastfreundschaft gegen Fremde etwas werth, obgleich man ihnen nicht so trauen kann, wie andern nomadischen Stämmen. Die Europäer sind nach ihrer Mythologie Abkömmlinge böser Geister und des Teufels, mit dessen Hülfe sie Gold machen, Schätze graben und das „böse Auge“ auf Andere werfen können.

Wir müßten das ganze Buch Ferrier’s übersetzen, wenn wir alles Interessante, Neue und Abenteuerliche daraus mittheilen wollten. Hier genüge, was wir gegeben, zur Bildung einer Vorstellung von jenen fernen, unbekannten Gegenden und Menschen, die ausgeschlossen von dem Blutumlauf der modernen Kultur, in bloßen Naturzuständen und Wildheit, in Aberglauben und muhamedanischem Despotismus verwahrlost sind und der Zeit warten, wenn Rußland und das indische England über sie hin zusammengestoßen sein und diese Völker und Staaten unter sich getheilt haben werden.




Rettung von hundertundzwanzig deutschen Auswanderern.

Hoch klingt das Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang!

Der letzte Winter und der letzte Frühling zeichneten sich in trauriger Weise durch eine große Anzahl von Schiffbrüchen und andern Unfällen auf dem Meere aus. Wir auf dem festen Lande, mitten in Bequemlichkeiten und unter Genüssen, die wir zum Theil der Seefahrt verdanken, können uns kaum eine genügende Vorstellung von den Gefahren machen, die auf dem Meere lauern, noch viel weniger von den muthigen und aufopfernden Thaten, die gar oft geschehen zur Rettung Verunglückter und meist nicht einmal zu allgemeiner Kenntniß gelangen. Eine solche Heldenthat wollen wir hier erzählen, und sie wird die Leser um so mehr ergreifen, da es viele deutsche Brüder waren, die durch einen entschlossenen Mann dem schrecklichsten Tode entrissen wurden.

Es war eine finstere Sturmnacht, als Richard Holmes, der Zolleinnehmer im Hafen von Cape May, einem sehr gefährlichen Punkte der Küste der Vereinigten Staaten, durch das mächtige Brausen des Windes aus dem Schlafe geweckt wurde. Während er sich aufrichtete und auf das Tosen des Sturmes und des Meeres horchte, glaubte er aus weiter Ferne her zu wiederholten Malen den dumpfen Donner von Kanonenschüssen zu hören, die er für Nothsignale hielt. Er stand sofort auf, kleidete sich an und eilte an die Küste. Die Nacht aber war so finster, daß er auf dem Meere draußen gar nichts erkennen konnte, aber mehrmals noch, nach kurzen Pausen, und deutlich vernahm er Schüsse. Rasch entschlossen, weckte er in den nächsten Häusern einige Männer. Mit ihnen bestieg er ein zu solchen Zwecken bestimmtes bereit liegendes Boot, nahm einen Kompaß mit sich und wagte sich hinaus in die Nacht, auf das stürmische Meer.

Die Männer ruderten tüchtig und nur durch den Kompaß und den dumpfen Kanonendonner geleitet, steuerten sie hinaus auf das offene Meer. In dem Tosen des Sturmes aber, in dem lauten Klatschen, mit dem die Wogen an das Boot und die Ruder schlugen, konnten sie die einzelnen Kanonenschüsse nur undeutlich vernehmen, und da sie gegen die hoch sich heranwagenden Fluten zu kämpfen hatten, also sehr langsam vorwärts kamen, wußten sie lange nicht, ob sie auf dem rechten Wege wären und das Schiff erreichten, das die Nothsignale gab. Nach zwei Stunden indeß klangen die Schüsse vernehmlicher, und endlich konnten sie sogar kurz vor dem Knalle das Aufblitzen des Pulvers durch den dichten Regen und den hochaufspritzenden


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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_529.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)