Seite:Die Gartenlaube (1856) 557.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Chadda und Benué zu untersuchen. Die Behauptung hat sich bestätigt: das Innere Afrika’s ist offen.

Die Herren Engländer hatten die Aufgabe, eine noch ganz unbekannte Landesstrecke von etwa 70 geographischen Meilen, nämlich von dem fernsten Punkte des Chaddaflusses, den Allen und Oldfield erreicht hatten, bis zu dem von Barth entdeckten Benué (etwa vom neunten bis zum fünfzehnten Längengrade unter dem achten nördlicher Breite) zu durchbrechen. Auf solchen Reisen erlebt man merkwürdige Abenteuer und sieht Land und Leute in noch nie entdeckten, ja für unmöglich gehaltenen Formen.

Da das ganze Buch von Dr. Baikie noch nicht durch Übersetzung zugänglich ist, geben wir einige dieser Merkwürdigkeiten zum Besten. Als die Reisenden auf ihrem kleinen aber starken Dampfschiffe den Punkt des Chadda, wo ihre Aufgabe eigentlich begann, erreicht hatten, war der Muth des von der Regierung nepotisch angestellten Kommandeurs Mr. Taylor schon zu Ende, so daß Dr. Baikie das Kommando übernahm und vorwärts in die unbekannte Welt, wo noch kein Schiff, geschweige ein Dampfer, noch kein Weißer gesehen worden war, dampfen ließ. Zwar sah man lange keine Städte und Dörfer an den Ufern, aber die Natur zeigte dafür ein desto üppigeres, lachenderes Gesicht. Der Fluß, im Durchschnitt von der Breite einer englischen Meile, glänzte nobel und spiegelblank zwischen üppigen Blumen und Bäumen, Hügeln und Thälern. Eine Heerde von mehr als hundert Elephanten machte eine Wasserparthie durch einen Nebenfluß und an seichten Ufern grunzten und walzten sich ungeheure Flußpferde und sperrten die Mäuler so weit auf, daß sich ein erwachsener Mann gerade zwischen Ober- und Unterlippe hätte stellen können. Endlich entdeckte man auch Wohnungen und Menschen dazu, sogar eine Stadt und zwar gleich eine ummauerte. Die Ufer bedeckten sich dicht mit schwarzen Menschen. Sie stierten mit starrem Schrecken auf das Dampfschiff und die weißen Leute darauf. Als diese landeten, stoben die Schwarzen alle auseinander bis auf einen einzigen Mann, den der Schreck und das Starren gefesselt zu haben schienen, so daß er kein Glied rühren konnte, nicht einmal seine weit aufgesperrten Augenlider. Als die Engländer zu ihm traten, ihm freundlich die Hand boten und Freundschaft bewiesen, thaute er plötzlich auf, ließ seinen Speer fallen und schrie tanzend und wahnsinnig springend vor Freude: „Weiße Menschen! Weiße Menschen! Die Nazarener sind da! Weiße Menschen gut, weiße Menschen reich, weiße Menschen Könige! Weiße Menschen! Weiße Menschen!“ Nun drängten sich auch die andern Leute aus der Stadt wieder heran, stimmten in das Jubelgeschrei ein und tanzten und wälzten sich auf der Erde vor unbändiger Freude. Endlich ward den Weißen beigebracht, daß der König sie erwarte. Dieser stand unter einer mächtigen, majestätischen Krone, nämlich der eines Baumes, und empfing sie mit gen Himmel erhobenem Blicke, dankend, daß weiße Menschen gekommen seien.[1]

Dr. Baikie besuchte die Residenz dieses Königs und andere Städte desselben Volks, größtentheils muhamedanischen Glaubens, und fand in ihnen hübsche Brennpunkte von Civilisation, mit anmuthigen Küchengärten in abgetheilten Beeten vor den Thoren, den ersten Spuren von Bebauung der Erde, die sie bis dahin entdeckt hatten. Die Wände und Dächer der Hütten waren anmuthig mit Kürbissen, Melonen und andern gurkenartigen Kletterpflanzen bezogen und in den Gärten reiften und blühten andere Pflanzen, „Ochro’s“ und graziöse „Papaws.“ Auf einem Marktplatze ward lebhafter Tauschhandel getrieben, Bier gegen Korn- und andere Getreidegarben. Einige Bewohner hatten Pferde von der feinsten arabischen Race und in der besten Pflege, blos Ritterpferde, wie sie von den Schildern und Waffen in den Ställen schlossen. Die Schilder, von Elephantenhaut gemacht und oval, waren so groß, daß sie Roß und Reiter zu decken im Stande waren. Die meisten Bewohner gingen in freier, willkürlicher, stets sehr spärlich bedeckender Nationaltracht aus selbstgefertigten Stoffen, einige in Ziegenfellen, andere blos mit grünen Blättern die ärgsten Blößen deckend.

Der Staat heißt Kororroha und die Hauptstadt, in welche sie zuerst kamen, Wukari. Er ist unabhängig, wie mehr oder weniger alle die kleinen Stammkönigreiche, die sich an dem großen Flusse hinziehen. Weiter im Norden und am Flusse aufwärts dehnen sich die Staaten eines der gebildetsten und verbreitetsten Völker, der Fellatahs mit dem Hauptstaate Fumbina oder Adamaua um den später südlich laufenden Benuéfluß herum. Die meisten Könige regieren von Kürbis- und Gurkenhütten aus und geben Audienz unter dem Schatten majestätischer Baumkronen, so daß sie selbst keine brauchen. Industrie und Kultur des Volkes geht bis jetzt nicht weiter, als um die einfachen, unerzogenen Bedürfnisse unter einer heißen Sonne und auf einem üppigen Boden zu befriedigen. Die Hauptbeschäftigung und die Haupternte der Leute dort besteht in jährlich mehreren Excursionen, um sich Sklaven und Sklavinnen einzufangen, sich einfangen zu lassen oder dagegen zu wehren. Die herrschenden Felletahs (auch Pulo’s oder Fulo’s genannt) vergessen manchmal von ihren Exkursionen zurückzukehren und die Gefangenen fortzuschleppen, so daß sie sich gleich in Feindesland niederlassen, Freundschaft schließen und in einander überheirathen.

Die Fellatahs sind Muhamedaner und von einer viel nobleren, schöneren (berberischen) Race, als die Neger in andem Staaten. Ihr Profil ist scharf, die Stirne hoch und breit, das Gesicht fein oval, die Nase von griechischer Geradheit oder gar adlerisch, und in den blauen Augen schwimmt und blitzt ungemeine Lebhaftigkeit. Nur die vollen Lippen erinnern an äthiopische Dicke. Sie zeigen viel Mutterwitz und Courage und sind im Handel und Wandel sehr pfiffig und thätig, im alltäglichen Leben mild und freundlich und im Ganzen wie artige und unartige Kinder. Dr. Baikie machte ganz allein Reisen unter ihnen. Eines Tages kehrte er von einer entlegenen Stadt allein, barfuß durch einen Sumpf knetend, zurück, um noch vor Nacht das Schiff zu erreichen. Als er aber acht englische Meilen zurückgeknetet hatte, verlor er trotz seines Taschenkompasses alle Orientirung, und durch Erklettern mehrerer Bäume, um sich von Oben her wieder zurechtzufinden, wurde er nur noch confuser und obendrein müde. Als er nun gar durch mannhohes Gras und dickes Gestrüpp arbeiten sollte, überraschte ihn die Nacht, so daß er sich entschließen mußte, diese in Confusion und Wildniß allein zuzubringen. Zu diesem Zwecke kletterte er auf einen Baum, um darin seine Schlafstelle aufzuschlagen, was gar nicht so übel sein würde, wenn man sich nur erst daran gewöhnt hätte. Auf Borneo gibt’s ja eine ganze Menschenart, die blos auf Bäumen lebt, in deren Kronen ihre Hütten flechtet und wie Eichhörnchen von Baum zu Baum springt.

Lassen wir Dr. Baikie seine Schlafstelle und Nachtherberge selbst schildern.

„Ich wählte einen Baum mit einem sich verdoppelnden Stamme oben, warf meine Schuhe über die Schultern und kletterte hinauf. Mit dem Rücken lehnte ich mich gegen den einen, mit denn Füßen gegen den andern Stamm. So dacht’ ich, etwa fünfzehn Fuß vom Boden, die Nacht in verhältnißmäßiger Sicherheit zu überleben. Die Nacht war glücklicher Weise nicht sehr dunkel, so daß ich wenigstens die Finsterniß und glänzende Sterne über mir sehen konnte. Später zog ein Gewitter auf, dessen Blitze mir oft die weite Umgegend in flammender Beleuchtung zeigten, freilich nur, um sie immer gleich in desto grausigere Nacht zu hüllen. Um den Insekten, die mich gierig umschwärmten, meine Füße nicht ganz preiszugeben, zog ich Schuhe und Strümpfe an, und nachdem ich meinem Körper durch Stricke an den Zweigen, durch welche ich meine Arme steckte, Haltung verschafft hatte, versuchte ich zu schlafen. Ungefähr um acht Uhr vernahm ich deutlich menschliche Stimmen in der Ferne; aber vergebenn sucht’ ich sie durch Schreien heranzulocken; doch merkt’ ich mir die Richtung, um etwa am Morgen deren Hütten zu entdecken. Nun wickelte ich mich, so gut es ging, ein, um den Insekten so wenig als möglich Haut zu bieten, und machte mir’s so bequem als möglich. Dies muß auch gelungen sein, denn ich schlief wenigstens vier Stunden. Ich wachte steif und noch mitten in der Finsterniß auf, und da ich nicht wieder einschlafen konnte, steckte ich mir die eine Hälfte meiner letzten Cigarre an, um die andere zum Frühstück zu verzehren. (Eine sehr luftige Kost: halbe Cigarre zum Abendbrot und die andere Hälfte statt Kaffee und „Eingebrocktem“.) Ich rauchte sparsam, aber desto luxuriöser war die Musik, welche Frösche, Heimchen und andere Eingeborne dazu machten. Die Mosquito’s brummten zu Tausenden um mich herum einen blutdürstigen Baß dazu. Auch einige Vögel, die über mir, eine Treppe höher, logirten, wurden manchmal laut. Wahrscheinlich waren sie nicht an das Rauchen gewöhnt. In der größten Ermüdung über meinen


  1. Es soll dort eine Sage herrschen, daß einst weiße Menschen als Erlöser erscheinen würden.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_557.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)