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Schlaf konnte ich nicht wieder einschlafen und studirte deshalb aus Langeweile Astronomie. Als ich die Venus entdeckte, den schönen Morgenstern, hoffte ich mit der peinlichsten Hoffnung auf die steigende Sonne.

„Inzwischen statteten verschiedene Bewohner dieser Gegend dem ungewöhnlichen Gaste ihren Besuch ab, schrecklich große, katzenäugige Eulen mit Hyänengeheul und sonstigen unfreundlichen Mißtönen, Leoparden und andere Thierchen von der Sorte, die’s nehmen, wo sie’s kriegen können. Sie zogen sich mit aufdämmerndem Morgenroth in ihre Privatgemächer zurück, ohne mich entdeckt zu haben, da ich jedenfalls über ihrem „Winde“ saß. Aber die geflügelten Räuber setzten ihre unermüdliche, summende Aufmerksamkeit gegen mein Blut auch im Morgenrothe fort, so daß ich endlich nach einer eilfstündigen Sitzung herabstieg und dankbar gegen meinen Wirth, nicht ohne neue Kraft im freundlichen Tageslichte mich wieder zurecht fand.“ – Freilich, so leicht ging das nicht. Er mußte sich nicht selten, nach dem Genusse seines erwähnten Frühstücks, der Cigarrenneige, durch ganze Tunnels des üppigsten Grases hindurcharbeiten oder sich gar erst solche Tunnels biegen, brechen und bahnen. Ein solcher Tunnel, durch welchen er kriechen mußte, war eine halbe englische Meile lang, und lediglich durch das häufigere Hin- und Herkriechen der Eingebornen unter den dichten Gras- und Schilfhäuptern hin entstanden. Mit Hilfe Eingeborner, die er richtig in der Gegend fand, von wo er in der Nacht menschliche Stimmen vernommen, erreichte er sein Schiff wieder, und die Expedition ging weiter stromaufwärts unter immer wilder und unfreundlicher werdende Stämme, manchmal an Hippopotamen vorbei, die sich am seichten Ufer im Schlamm und Sand wälzten und lustig, aber schrecklich schwerfällig umher planschend, die unerhörte Neuigkeit eines Dampfschiffes mit schrecklich komischem Kopfnicken und noch schrecklicherem Maulaufsperren anglotzten. Die Eingebornen essen das Fleisch derselben (eins ist so viel, wie 5–6 Ochsen) mit Appetit, und machen aus deren Zähnen alle möglichen Geräthe und Schmucksachen. Auch handeln sie damit, da sie feiner und fester sind, als Elfenbein. Wenn hier die Civilisation einbricht, werden manchem Flußpferde die kostbaren Zähne ausgezogen werden. Ein gewöhnlicher Backzahn ist ziemlich so groß, wie das Ende eines Ochsenhüftknochens.

Einmal landeten die Engländer am Ufer eines neuen kleinen Königreichs, bewohnt von einer Berber- und Negermischrace, die ihnen sehr verdächtige Aufmerksamkeit schenkte, und sie nicht wieder fortlassen wollte. Nur durch List und Festigkeit im Verein gelang es ihnen, der verdächtigen Zudringlichkeit zu entkommen.

„Ein andermal,“ erzählt Dr. Baikie selber, „liefen wir in eine Bucht des Flusses ein, und fuhren auf ein Dorf zu, das zu merkwürdig war, als daß ich es nicht schildern sollte. Wir rannten mit dem Schnabel unseres Bootes zu unserm größten Erstaunen plötzlich auf eine Hütte mitten im Wasser und sahen nun, daß das ganze Dorf mit der untern Hälfte unter Wasser stand. Das Merkwürdigste war aber, nun die Hütten im Wasser lebendig werden zu sehen. Die schwarze Bevölkerung stellte sich im Wasser vor die Thüren ihrer Hütten, Kinder bis über die Taille im Elemente der Fische, und starrten uns mit aller Macht an. Wie die Hütten dieser Amphibienmenschen gebaut gewesen sein mögen, weiß ich nicht; wie Menschen in diesen Biberbauten leben können, kann ich mir noch weniger erklären. Ich sah nur ganz deutlich, daß einige Leute untertauchten, um durch die wassererfüllten Eingangslöcher heraus zu kommen. Der Platz schien nicht etwa momentan überschwemmt, sondern von vorn herein in’s Wasser gebaut zu sein. Es waren Biber in Menschengestalt. Unser Staunen über diese amphibische Wohnungweise war gewiß eben so groß, als das der Leute über die Weißen und ihr Boot. Auf Ceylon leben bestialische Menschen in Felsenhöhlen, wie Bären und Löwen, auf Borneo gibt es Baumbewohner, in China leben ganze Dörfer und Städte auf schwimmenden Holzflößen; die Tuariks und Shanbahs leben obdachlos in der Wüste und decken sich mit dem blauen Himmel zu, und der Eskimo gräbt und kratzt sich seine Hütte in knirschenden Schnee hinein. Von allen diesen sonderbaren Logis hatten wir gehört, aber noch nie an die Möglichkeit geglaubt, daß Menschen wie Biber, Flußpferde und Krokodile sich auf überwässertem Schlamme absichtlich häuslich niederlassen. Und diese nie gefabelte Möglichkeit lag nun plötzlich in seltsamster Wirklichkeit vor uns!“

Die Engländer entdeckten hinter diesem menschlichen Biberdorfe etwas insulirtes trocknes Land um einen großen Baum herum, landeten und machten einige wissenschaftliche Beobachtungen. Währenddem sammelten sich die Bewohner, wurden immer dreister, schickten ihre Kinder und Weiber weg und zeigten Waffen. Offenbar war’s ihnm darum zu thun, unser Boot zu plündern. Ein alter, trockner Herr, ihr König, kauerte auf einem über das Wasser emporragenden Baumzweig, und sah zu, wie seine Unterthanen mit Gier auf ein rothes Hemde Jagd machten, das etwas aus einem Sacke auf dem Boote hervorlugte.

„Mein kleiner Hund aber wollte sich die Eingriffe auf unser Eigenthum nicht gefallen lassen. Er kläffte plötzlich tapfer aus seinem Verstecke im Boote auf, so daß die Dulti-Helden („Dulti“ nannte sich das Volk), die nie eine so bellende Kreatur gesehen hatten, sich plötzlich erschreckt zurückzogen, und großen Rath hielten. Sie fragten mich dabei durch Zeichen, ob das Wunderthier wohl beißen könnte, was ich sehr deutlich pantomimisch bejahte. Wir drückten und schleppten unser Boot in hohes Schilfgras hinein und hofften, trocknes Land zu finden; aber das Wasser erwies sich immer noch eine Klafter tief. Als es unmöglich schien, weiter in dieses Wassergewächsdickicht einzudringen, wollten wir zurückkehren, fanden aber, daß die Dulti mit ihren kleinen Kanoe’s Anstalten trafen, uns den Rückzug abzuschneiden. Doch wir drangen muthig auf sie zu, aber stießen, als wir wieder das offene Wasser erreichten, auf einen ganzen Ameisenhaufen kleiner Kanoe’s, wahrscheinlich die ganze Kriegsflotte des Dulti-Königreichs. Wir trafen einige Vorbereitungen zur Abwehr mit geladenen Revolvers, bewiesen aber den uns dicht folgenden Wassermenschen während unseres Rückzuges die größte Höflichkeit und winkten ihnen, uns zu folgen. Dies thaten sie auch, bis wir plötzlich den offenen Fluß erreichten. In diesen wagten sie sich mit ihren kleinen Nußschaalen und rechtwinkelig geschaufelten Rudern nicht, so daß wir uns plötzlich aus aller tragikomischen Gefahr befreit sahen.“

Dieses Abenteuer begegnete den Engländern ziemlich am äußersten Punkte ihrer Fahrt. Als sie sich überzeugt hatten, daß der von ihnen verfolgte Chaddafluß als Benué, den Barth entdeckt hatte, fortlaufe, kehrten sie zurück. Auf diesem Wege hatten sie Gelegenheit, einen Markt in der Hauptstadt eines Uferkönigreichs, die sie vorher ganz verödet gefunden (in Folge einer befürchteten Invasion der Fellatahs), in Augenschein zu nehmen. Es war schon gegen Abend, aber das Geschäft blühte noch im lebhaftesten Handel, Austausch von Bier, Salz, Palmöl, Korn, eingemachten und getrockneten Yamwurzeln, getrockneten Fischen, pulverisirten Blättern von Baobabgras, Kleidungsstücken, Brei einer orchideenartigen Pflanze als Nahrungsmittel, Kalk, Camholz, Farbestoffen, Sheabutter u. s. w. Auch bemerkte man Färbereien, einen tüchtig zuhauenden Schmied und andere Spuren von Industrie und Handwerk. Eine alte Dame, der sie einen Besuch machten, zeigte ihnen mit Stolz ein Stückchen Spiegelglas als kostbarste Seltenheit der Nation. Man sieht, was die Europäer mit ihren Ueberflüssen von Spiegeln und Luxussachen hier für brillante Geschäfte machen können unter Völkern, die schon so viel Kultur und Industrie in der Anlage besitzen und die größte Freude am Handeln und Tauschen haben, wie bei uns die Kinder. Die Engländer werden solche Winke auch am ersten verstehen, und bald Hunderte von Meilen lang an den Ufern des majestätischen Flusses bis in’s Innere Afrika’s hinein schachern, und die Schwarzen gehörig über den Löffel barbieren.

Das schadet auch nichts, und wenn diese kleinen Majestäten auch ihr halbes Königreich für ein paar Silbergroschenspiegel verkaufen. So mild, freundlich, lernbegierig und intelligenzfähig sich die Herren Schwarzen auch im Allgemeinen erwiesen, treiben sie doch eine skandalöse Wirthschaft. Sie beschäftigen sich wesentlich mit weiter nichts, als mit Wegfangen von Sklaven und Gefangenwerden, blos weil bisher der Anreiz zu lohnenderen und nützlicheren Beschäftigungen fehlte. Bringt man ihnen aber hübsche Tauschartikel gegen ihre Produkte, namentlich das friedliche Palmenöl, werden sie sofort wie bereits andere schwarze Könige und Unterthanen einsehen, daß man die Leute besser benutzen kann, als sie zu verkaufen und als Sklaven umherzutreiben. Mit Handel und Wandel, Austausch und weißem Verkehr kommt die Kultur, die friedliche Beschäftigung und die Humanität, mögen die Engländer ihren neuen Markt noch so sehr übervortheilen. Uebrigens sind, wie gesagt, die Schwarzen auch nicht auf den Kopf gefallen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_558.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)