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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Die Belehrung ist also in meiner Abwesenheit vollständig geworden!“

„Nennen Sie die Veränderung, die mit mir vorgegangen, wie Sie wollen – ich kann nicht länger eine Maske tragen, die ich mir hatte anlegen sollen.“

„Was ist das? Was ist das?“

„Es ist das Bekenntniß einer unglücklichen Frau!“ sagte Henriette mit demselben schmerzlichen Ernste, den sie seit dem Beginne der Scene gezeigt hatte.

Der Gatte bot der Gattin mit kalter Artigkeit die Hand, und führte sie zu der Ottomane zurück. Beide ließen sich zugleich nieder.

„Henriette,“ begann er im kalten Conversationstone, „ich habe die entgegengesetzte Wirkung von dem Briefe gehofft, in dem ich Ihnen den Tod Adolf Mölling’s anzeigte. Sie sind seit zwei Jahren meine Frau, ich zeigte Ihnen das Leben mit allen Freuden, die der Reichthum, dieser allmächtige Hebel, zu erschaffen vermag – Sie danken mir, der ich Sie aus uneigennütziger Liebe heirathete, meine Aufmerksamkeiten durch eine Empfindelei, die durch dieses Trauerkleid einen hohen Grad von Lächerlichkeit annimmt. Bei Gott, man möchte an eine Sinnesverwirrung glauben, wenn Ihre Worte weniger das Gepräge eines ruhigen Nachdenkens trügen.“

„Otto!“ rief Henriette mahnend.

„Unterbrechen Sie mich nicht, Madame, ich bin noch nicht zu Ende. Um Sie zu zerstreuen, führte ich Sie in die schönsten Gegenden Europa’s, erfüllte jeden Ihrer Wünsche, ehe Sie ihn aussprachen – Genf gefiel Ihnen, und ich kaufte dieses Landhaus; Sie waren des Reisens müde, und ich reiste allein nach Amsterdam, wohin mich ein dringendes Geschäft rief. Für alle diese Beweise von Liebe forderte ich nichts von Ihnen, als ein freundliches Gesicht und das Bestreben, eine Neigung zu vergessen, die ich zu den flüchtigen Gefühlen der Kinderjahre rechne.

Auf meiner Rückreise war ich gezwungen, vierzehn Tage in Rotterdam zu verweilen. Die ganze Stadt war in Aufregung, denn man bereitete die Hinrichtung eines Giftmischers vor. Man erzählte mir, daß Adolf Mölling, ein deutscher Musiker, aus niederer Habsucht einen Verwandten vergiftet habe, der ihm zu lange die reiche Erbschaft vorenthielt. Die Person des Mörders war für mich von großem Interesse – ich stand am Fenster, als der traurige Zug vorbei kam – ich sah den Delinquenten auf seinem Karren, und erkannte zu meinem Entsetzen denselben, dem meine verblendete Gattin einen Meineid geschworen zu haben wähnt. Denselben Tag noch zeigten die Zeitungen an, daß das Haupt des Missethäters gefallen sei; ich beeilte mich, Ihnen die Nachricht von diesem Ereignisse zu senden, und fügte den betreffenden Zeitungsartikel als Beleg bei. In dem Glauben, daß dieses Ereigniß Ihre Gewissensscrupel beseitigt habe, daß Sie nun die Vergangenheit mit andern Blicken betrachten und mir eine lebensfrohe Gattin sein würden, fliege ich, als meine Geschäfte beendet waren, nach Genf zurück, und finde meine Gattin in Trauer um – einen Verbrecher! Henriette, Sie kennen die Leidenschaft, die ich zu Ihnen hege, Sie wissen, daß ich stolz auf Ihren Besitz bin – aber treiben Sie mich nicht zum Aeußersten; ich bin es meiner Ehre und Ihrem Glücke schuldig, daß ich von diesem Augenblicke an jede zarte Rücksicht außer Acht lasse, daß ich einen Schmerz nicht ehre, den ich für Koketterie halte. Und deshalb bitte ich Sie, sofort andere Toilette zu machen – ja, ich befehle es Ihnen selbst!“

„Sie befehlen es mir!“ wiederholte Henriette, schmerzlich lächelnd.

„Ich werde Sie leiten wie ein Kind, das nicht weiß, was es thut.“

„Hören Sie mich an, Otto, und urtheilen Sie, ob ich mich in einer Verfassung befinde, die es nöthig erscheinen läßt, daß ich wie ein Kind geleitet werde. Hören Sie mich an, und fordern Sie dann noch, daß ich eine andere Toilette mache, so werden Sie mich gehorsam finden.“

„Ich höre!“ sagte Otto, indem er sich mit sichtlicher Ueberwindung zur Geduld zwang.

„Man sagte mir einst,“ begann Henriette, „daß mich die Natur mit einer besondern Schönheit beschenkt habe. Ich war eitel auf diesen Vorzug, den zu verdienen ich nichts gethan hatte, und nahm die Huldigungen der Männer als einen mir gebührenden Tribut an. Adolf Mölling liebte mich wahr und aufrichtig, und ich verhehle nicht, daß ich mich bewogen fühlte, ihm vor allen andern den Vorzug zu geben. Ich liebte ihn, und versprach ihm durch einen feierlichen Eid, dessen Ernst ich jetzt erst begreife, ihm treu zu bleiben, bis er mir die Hand reichen könne.

Da kamen Sie, Otto, und imponirten meinen Eltern durch Ihr Vermögen. Sie kennen ja die Mittel, die man anwendete, um mich Ihren Bewerbungen geneigt zu machen, Sie wissen, wie man meine Eitelkeit reizte, wie man von den Pflichten der Kindesliebe sprach, und welche Zukunft man mir in Aussicht stellte, wenn ich der thörichten Liebelei – so nannte man meine Neigung zu Adolf – nicht entsagte. Ich war schwach genug, mich verblenden zu lassen, und Ihnen ohne Liebe meine Hand zu reichen. Adolf verschwand, ich hörte nichts wieder von ihm. Anfangs hatte der Reichthum, mit dem Sie mich umgaben, einen Reiz für mich; später aber ward er zur Gewohnheit, und das Herz machte seine Rechte geltend; ich sehnte mich nach dem Gegenstande meiner ersten Liebe und empfand Gewissensbisse über den falschen Eid, den ich geschworen hatte. Die Strafe folgte dem Verbrechen auf dem Fuße. Der Reichthum ward mir gleichgültig, aber auch der Mann, der mich zur Treulosigkeit verleitet hatte.“

„Ah, Madame,“ rief Otto mit Bitterkeit, „Mangel an Offenherzigkeit kann man Ihnen nicht zum Vorwurfe machen! Also nicht nur das Gewissen, sondern auch die Liebe hat Ihnen Kummer bereitet?“

„Ich verhehle es nicht!“

„Und jetzt erst? Jetzt, nachdem Sie zwei Jahre meine Gattin sind?“

„Sie haben mich durch Ihre Sophismen, die Sie geläuterte Lebensansichten nannten, den bessern Regungen in meiner Brust taub machen wollen, und ich bemühete mich, Ihnen in der Erreichung dieser Absicht beizustehen; es war vergebens – die Nachricht von dem furchtbaren Tode Adolf’s hat mich zur völligen Selbsterkenntniß gebracht, und ich klage mich[WS 1] jetzt an, durch meine Treulosigkeit den ersten Grund zu seinem tragischen Geschicke gelegt zu haben. Glauben Sie mir, Otto, ich habe viel gekämpft und viel gelitten, meine Ehe, so glänzend sie von Außen erschien, war eine traurige. Was Sie Empfindelei nennen, war das strafende Gewissen, das sich in mir regte, und Ihr letzter Brief zeigte mir, wie strafbar ich bin.“

„Ja wahrlich, Madame, mir gegenüber sind Sie sehr strafbar!“ rief Otto.

„Klagen Sie mich nicht allein an!“ entgegnete Henriette.

„Und wen noch, wenn es Ihnen beliebt?“

„Klagen Sie sich selbst an, denn Sie verblendeten mich durch den Schimmer Ihres Reichthums und nahmen meine Hand ohne mein Herz, das einem Andern gehörte.“

Otto neigte lächelnd den Kopf.

„Und was denken Sie nun zu beginnen?“ fragte er.

„Ich werde in Geduld die Strafe büßen, die ich verdient habe. Das Herz fordert seine Rechte, und ich muß sie ihm gewähren. Gönnen Sie mir Zeit zur Trauer – hat der Schmerz ausgetobt, kann ich Ihnen vielleicht eine bessere Gattin sein, als ich bisher gewesen bin. Verzeihung, Adolf,“ rief sie, in Thränen ausbrechend, „ich kann nicht anders! Mein Verstand liegt mit dem Herzen im Kampfe – –“

Otto Winter verließ rasch seinen Platz.

„Madame,“ rief er, „Sie sind eine überspannte Närrin! Ich habe Nachsicht mit Ihnen gehabt, so lange es mir die Ehre des Mannes erlaubte, und weil ich hoffte, daß die Zeit Sie eines Bessern belehren werde. Jetzt vermag ich es nicht mehr. Wenn der Verstand und das Ehrgefühl Sie nicht veranlassen können, Ihre Pflicht zu erfüllen, so werde ich von den Rechten Gebrauch machen, die mir zustehen. Ich hoffe, Sie werden mich morgen und nie mehr daran erinnern, daß ein Verbrecher mein Rival gewesen ist.“

Er grüßte kalt, und verließ den Saal.

Henriette trug in einem goldnen Medaillon die längst verwelkte Rose, das letzte Geschenk Adolf’s; weinend küßte sie dieses Medaillon.

„Ich verkenne Dich nicht, armer Freund!“ flüsterte sie. „Du hast nach Reichthum gestrebt, weil ich Dich Deine Armuth schmerzlich empfinden ließ, weil sie Dein Unglück ward. O, ich begreife

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: micht
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_566.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2018)