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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Seine Gedanken beschäftigten sich nicht minder mit Melanie, als mit Henrietten und der bleichen Dame.

„Ich kann nicht in Genf bleiben!“ rief er aus. „Es ist selbst meine Pflicht, daß ich abreise!“

Er machte Toilette, und suchte das Hotel des Fürsten auf. Der Fürst hatte seine Abreise eingetretener Hindernisse wegen um acht Tage verschoben, er befand sich in diesem Augenblick mit einigen Freunden auf dem Lande. Adolf erreichte seinen Zweck nicht; er faßte den Entschluß, die Komposition einer Symphonie zu vollenden, und mit den Menschen so wenig als möglich in Berührung zu kommen, so lange er noch in Genf zu bleiben gezwungen war.



XI.

In dem Landhause am See herrschte eine unheimliche, peinliche Stimmung. Henriette erschien zwar stets in prachtvoller Toilette, sie schien selbst eine besondere Sorgfalt darauf zu verwenden; aber in ihrem Geiste war eine Veränderung vorgegangen, die den Gatten mit Besorgniß erfüllt haben würde, wenn er sie erkannt hätte. Der Kommerzienrath hielt das stille, stolze Benehmen seiner Frau für Trotz, und nach seiner Ansicht mußte dieser Trotz gebrochen werden. Otto fuhr fort, die arme Henriette galant, aber kalt und spöttisch zu behandeln.

Eines Morgens erschien Henriette in einem rosarothen Atlaskleide. Ihr schwarzes Haar schmückte eine weiße Kamelie, und an ihrem schlanken Halse flimmerte der Brillantschmuck, den sie am Trauungstage getragen hatte. Ihr Gesicht war bleich und kalt wie Marmor, und ihr großes Auge glühete in einem unheimlichen Feuer. Als sie in den Salon trat, empfing sie Otto mit der gewöhnlichen Höflichkeit; er reichte ihr an der Thür den Arm, und führte sie zum Frühstückstische.

„Wie schön Sie heute sind!“ begann er, ironisch lächelnd. „So wünsche ich, daß mir meine Gattin erscheine: in den frohen Farben des Lebens, würdig eines Millionairs.“

Er küßte ihr die Hand, die in Fieberhitze brannte. Henriette duldete es, indem sie ihn mit einem fast geistlosen Blicke ansah.

„Was beginnen wir heute?“ fuhr der Kommerzienrath aufgeräumt fort. „Der Tag ist schön und ruhig – ich schlage eine Spazierfahrt auf dem See vor.“

„Verzeihung,“ antwortete Henriette, „ich werde heute das Landhaus nicht verlassen.“

„Warum?“

„Weil ich einen Brief an meinen Vater schreiben will, den ich schon so lange vernachlässigt habe.“

„Fügen Sie dem Briefe den Inhalt dieses Portefeuilles zu; er wird genügen, um für ein halbes Jahr die Ausgaben des alten Mannes zu decken.“

Otto warf ein Portefeuille auf den Tisch.

„Ich nehme es an,“ sagte Henriette mit tonloser Stimme, während die Lippen bebten und alle ihre Gesichtsmuskeln zuckten.

„Sie sind es ihm schuldig, da er es redlich verdient hat.“

Dann verbarg sie das zierliche Portefeuille in der Tasche ihres Kleides. Otto erhob sich, legte beide Hände auf den Rücken, und ging mit raschen Schritten durch den Saal, um den aufsteigenden Groll zu unterdrücken. Henriette schlürfte scheinbar nachlässig, aber im Grunde mit großer Anstrengung, ihre Chocolade.

Der Kommerzienrath warf mehr als einen gehässigen Blick auf seine Frau.

„Also auch Ihren Vater klagen Sie an?“ fragte er nach einer Pause, indem er vor ihr stehen blieb.

Henriette schwieg.

„Madame,“ fuhr der gereizte Otto fort, „man rühmte mir Sie als eine Dame von Verstand und Charakter, die berufen sei, in der Welt zu glänzen und das Glück eines Mannes zu machen, der zu leben weiß. Für dieses Anpreisen habe ich allerdings eine erkleckliche Summe gezahlt, und ich würde nicht bereuen, sie gezahlt zu haben, wenn man mir die Wahrheit gesagt hätte. Jetzt komme ich zu der Erkenntniß, daß ich einen argen Fehlgriff begangen, daß ich mich in Ihnen getäuscht habe. Sie besitzen weder Verstand noch Charakter, Sie sind eine engherzige Frau, die dem niedern Kreise nicht hätte entrissen werden sollen, dem sie angehörte. Als Frau eines Musikers wären Sie an Ihrem Platze gewesen – der Reichthum und das große Leben erdrücken Sie. Man begeht eine große Thorheit, sich von einer hübschen Larve verführen zu lassen, und eine Mesallianz zu schließen. Dieser unüberlegte Schritt, Madame, ist einmal geschehen, und läßt sich nicht rückgängig machen. Meine Verbindung mit Ihnen machte großes Aufsehen, man tadelte, man belachte, man bedauerte und ich verhehle es nicht – man beneidete mich, denn Sie galten für schön. Leider hörte ich weiter keine Stimme, als die der Eitelkeit, leider verschloß ich den verständigen Rathschlägen meiner Freunde das Ohr – soll ich jetzt der Lächerlichkeit anheimfallen? Soll ich jetzt bekennen, daß ich mich durch eine kalte, herzlose Schönheit habe bestechen lassen? Das wird nie, nie geschehen, Madame! Mein Stolz ist zu groß, als daß er sich durch eine fehlgeschlagene Hoffnung beugen ließe. Ich habe mir vorgenommen, Sie mir zur Gattin zu erziehen, wie ich Sie haben will, und glauben Sie mir, es wird mit der ganzen Energie geschehen, die man an mir kennt, und der ich meinen Reichthum verdanke. Alle gütlichen Mittel sind erschöpft – so nehme ich denn von jetzt an meine Zuflucht zu der Strenge, die mir um so leichter wird, da Sie sich nicht bemühen, meine Liebe zu erwerben, und mir Achtung aufzuerlegen. Von morgen an erscheinen wir wieder in der großen Welt, von morgen an ist unser Landhaus glänzenden Gesellschaften geöffnet, und ermangeln Sie Ihrer Pflicht, die Ihnen als meiner Gattin obliegt, so werde ich Sie an einen Ihrer würdigen Ort schaffen, in das – Narrenhaus!“

„In das Narrenhaus!“ flüsterte Henriette, ohne sich zu regen,

„Ich sehe, Sie erschrecken vor der Aussicht, die ich Ihnen eröffne. Es ist ein trauriges, schreckliches Mittel; aber ich schwöre Ihnen, daß ich es anwende. Darum vermeiden Sie es, Henriette, und zeigen Sie sich als die Gattin eines Millionairs. Der Fürst W. reist in einigen Tagen nach Rußland zurück – ich werde ihm ein Abschiedsfest geben, wie es mein Stand und meine kommerziellen Verbindungen mit ihm erfordern. Sie machen die Honneurs als Frau vom Hause, und empfangen die Damen. Sparen Sie keine Kosten, um eine Toilette herzustellen, die Ihrer Schönheit und meinem Range angemessen ist.“

Er grüßte und verließ den Saal, nachdem er einen stechenden Blick auf seine Gattin geworfen. Eine halbe Stunde später sah man ihn in einer glänzenden Equipage nach der Stadt fahren.

Henriette ging in ihr Boudoir, verschloß die Thür, und setzte sich an ihren Schreibtisch. Mechanisch führte sie alle Bewegungen aus. Nachdem sie eine Zeit lang sinnend das Haupt gestützt, ergriff sie die Feder und begann zu schreiben. Thränen flössen aus ihren Augen auf das Papier – es waren die letzten Thränen, die sie weinte. Den Brief und die Banknoten, den Inhalt des Portefeuilles, schloß sie in ein Couvert. Den Brief in der Hand, wollte sie das Boudoir verlassen, als die Kammerfrau ihr entgegentrat.

„Madame, die Stickerin ist angekommen!“ meldete Lisa.

„Man führe sie sogleich in mein Zimmer!“

Mit diesen Worten trat sie zurück und wartete.

„Man beobachtet mich,“ flüsterte sie; „alle Domestiken, und selbst meine Kammerfrau, gehorchen dem Manne, der mich herzlos seiner Eitelkeit opfert. Ich bin seine Gattin nicht mehr – ich bin es ja überhaupt nie gewesen! Das junge Mädchen kann mir nützlich sein!“

Melanie trat ein, einen großen Karton unter dem Arme tragend. Sie grüßte die bleiche Frau mit einem Blicke, der ihre Dankbarkeit, ihre Ergebung verrieth.

„Madame,“ flüsterte sie mit gepreßter Stimme, „ich bringe das fertige Trauerkleid. Es ist in demselben Magazine hergestellt, das mir Ihr Befehl bezeichnet hat.“

„So kann ich es anlegen, wie es ist?“

„Ja, Madame! Man hat Ihr letztes Atlaskleid zum Muster genommen.“

Melanie öffnete den Karton. Henriette sah mit einem seltsamen Lächeln die kostbare schwarze Stickerei an; es sprach sich eine unheimliche Freude in ihren bleichen Zügen aus. Dann öffnete sie einen Sekretair, und verbarg die neue Robe. Den Schlüssel des Sekretairs steckte sie zu sich. Nun forderte sie die Rechnung; Melanie überreichte sie ihr.


(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_568.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2017)