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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

W. O. von Horn.


Von den Ufern der Nahe, der Mosel und des Rheins erhebt sich ein Bergrücken (hun hoch, rick Berg, Erhöhung), der den Namen Hunsrück trägt. Er ist von ansehnlicher Ausdehnung. Wer sich aber darunter eine Ebene dächte, würde irren. Es ist ein reiches, fruchtbares, frischgrünes Land, aus Hügeln, Bergen und Thälern bestehend. In den Thälern üppige Wiesen an fischreichen Bächen, gesegnete Fruchtfluren und auf den Höhen dunkler Wald, und überall hübsche, wohlstehende Dörfer und drinnen ein biederer, frommer, kräftiger, frischer Menschenschlag, der alten Sitte, dem alten Rechte, dem alten Glauben treu. So recht im Herzen dieses schönen Hochlandes liegt das Dorf Horn, in dessen freundlichem Pfarrhause W. O. von Horn geboren ist. In alter Liebe zum Geburtsorte legte er sich davon seinen Schriftstellernamen bei, da er es nicht hat über sich gewinnen können, seinen, sonsthin von keinem Makel belasteten Namen zu nennen. Philipp Friedrich Wilhelm Oertel ist sein voller Name, und der 15. August 1798 der Tag seines ersten Schmerzlautes in dieser Welt. Zwei Drittheile eines Jahrhunderts waren nur Oertel’s Verkündiger der Evangeliums in dieser Gemeinde. Der Urältervater war als Weißgerber aus Sachsen nach Simmern eingewandert. Er ließ seinen einzigen Sohn, Johann Paul, Theologie studiren, und dieser wurde Pfarrer in Horn. Sein Sohn, Peter Paul, folgte ihm im Amte. Er war W. O. von Horn’s Vater. Viel Bitteres erlebte die Familie in Horn. Von den Franzosen ausgeplündert bis auf das letzte Hemde, welches jedes Glied derselben auf dem Leibe trug, mußte P. P. Oertel, weil er für einen Schwager mit treuem Herzen gut gesprochen, sein ganzes Vermögen hingeben, und die Viehseuche leerte seine Ställe. Da ist die Sorge mit zu Bette gegangen und mit aufgestanden.

Ein kerngesundes Kind lag W. O. von Horn an der treuen Mutterbrust, als an der Pockenepidemie im Nebenzimmer ein älterer Bruder starb. Der Ruf: „Er ist gestorben!“ trifft der Mutter Ohr. Sie sinkt ohnmächtig in des Gatten Arme und als man das Kind von der Brust nimmt – hat es ein Nervenschlag an der ganzen linken Seite gelähmt! Das war 1799. Was die damals noch so sehr unvollkommene chirurgische Kunst vermochte, geschah; aber nur langsam heilte die kräftige Natur des Kindes den Schaden aus. Die Masern, die es im neunten Jahre befielen, warfen ihren Krankheitsstoff auf den am längsten leidenden Theil, auf das linke Bein und besonders auf die Achillessehne. Das Bein wuchs nur langsam nach, blieb schwach und, wie kräftig auch sich die leibliche Natur entwickelte, W. O. von Horn blieb hinkend und mußte am Stocke gehen. Man hat irrthümlich dies Fußübel in jüngster Zeit irgendwo für eine Wunde aus dem Befreiungskriege gehalten. W.O. von Horn hat, das wissen seine Freunde, manche Thräne vergossen, daß er damals nicht mitfechten konnte; aber er hat das Kriegsschwert nie geführt.

Es war im Jahre 1804, als sein Vater die sehr beschwerliche Pfarrei Horn mit der in Bacharach am Rhein vertauschte. Dort, in den schönen Bergen, am silberglänzenden Strome, im

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_569.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)