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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)


„Gut, so ernenne ich Sie zu meinem Kapellmeister! Finden Sie sich in meinem Hotel ein, mein Secretair wird Ihnen den Kontrakt vorlegen und das Weitere mittheilen.“

Adolf verneigte sich und trat zurück, als er sah, daß der Fürst sich zu dem Blinden wenden wollte.

„Mein lieber Freund,“ begann er, „vielleicht gelingt es mir, auch mit Ihnen ein Engagement abzuschließen.“

„Du lieber Gott, Sie wollen doch meinen Mann nicht etwa in Ihrer Kapelle anstellen?“ sagte Mutter Collin, die vor Verwirrung kaum noch wußte, was sie that. „Er hat früher einmal Flöte geblasen, aber seitdem er blind ist – –“

„Nein, nein, gute Frau,“ antwortete lächelnd der Fürst;’ „die Flöte ist in meiner Kapelle vorzüglich besetzt. Aber meinem Secretair, einem rechtschaffenen, braven jungen Manne, den ich wie einen Sohn liebe, ist ein großes Unglück begegnet; er hat sich in eine schöne Genferin verliebt, und gestern Abend hat er es mir mit Thränen in den Augen gestanden.“

„Auch das junge Mädchen liebt ihn!“ rief Adolf eifrig.

„Ich weiß es, und darum habe ich es übernommen, die Verbindung des jungen Paares zu fördern. Melanie Collin willigt ein, wenn ihr Vater – –“

„Gnädiger Herr!“ riefen Vater und Mutter zugleich.

„Mein Secretair Casimir hat ein jährliches Einkommen von zwölfhundert Rubeln; ich erhöhe diese Summe, in Anbetracht der vermehrten Ausgaben, auf fünfzehnhundert Rubel. Was hat mir Herr Collin auf meine Bewerbung zu antworten?“

„Gnädiger Herr, das Glück meiner Tochter liegt mir am Herzen, und ich begreife, daß sie unter Ihrer Obhut wohl versorgt ist; aber in diesem Augenblicke – –“

„Kann ich meinem Secretair sagen, daß die Unterhandlungen eröffnet sind?“

„Vater, begehe keine Thorheit!“ flüsterte Mutter Collin.

Der alte Uhrmacher verbeugte sich.

„Gut, so ist meine Sendung erfüllt! Mein Secretair bleibt noch zwei Monate in Genf, um einige wichtige Geschäfte zu ordnen. Dieser Zeitraum wird wohl genügen, daß Sie sich mit ihm verständigen können. Hoffentlich sehen wir uns in Moskau wieder!“

Der Fürst grüßte und entfernte sich. Melanie’s Mutter begleitete ihn zur Thür.

„Herr Collin,“ rief Adolf, „Melanie liebt, ich weiß es – zerstören Sie das Glück, das Leben Ihrer Tochter nicht! Die Rechte des Herzens muß man hochachten!“

„Herr Mölling, bringen Sie mir den Secretair!“ rief Vater Collin.

Drei Tage später reiste Adolf Mölling, nachdem er noch einmal Henriettens Grab besucht hatte, im Gefolge des Fürsten ab, um in der Ausübung seiner Kunst den Schmerz zu bekämpfen, der an seinem Herzen nagte. Der Secretair des Fürsten wandte seine Zeit gut an; er wußte die Einwilligung der Eltern seiner Geliebten zu erlangen, trat mit Melanie vor den Altar, und reiste mit seiner jungen Gattin und seinen glücklichen Schwiegereltern nach Moskau.

Otto Winter ging nach Paris. Noch in demselben Jahre verheirathete er sich mit einer pariser Salondame, die das große Vermögen des deutschen Kommerzienrathes besser zu würdigen verstand, als die unglückliche Henriette.






Ein Besuch beim Bildhauer Rauch.
(Mit Portrait.)


In einem alten Gebäude, das früher zu merkantilischen Zwecken diente, und auf einer ziemlich öden Straße Berlins, der Klostergasse liegt, hat der berühmteste Bildhauer der Gegenwart seine Werkstatt aufgeschlagen. Wir treten in hohe, weite Säle, die durch Oberlicht magisch beleuchtet werden, und erblicken Gestalten, Gruppen und Büsten, die das Bossirholz bildete, oder die aus blendendem Carara-Marmor entsprangen, den die kunstreiche Hand des Altmeisters mit Hammer und Meisel in die edelsten Formen umschuf.

Wandelt uns schon ein gewisser Respekt an, stehen wir im Atelier eines großen Malers, so ziehen wir unwillkürlich den Hut, befinden wir uns in Räumen, die Werke plastischer Kunst bergen. Hier liegt Alles offen und klar vor uns, nichts versteckt sich vor dem forschenden Blicke des Auges – es ist eben plastische Kunst, die uns mit ihrem imposanten Wesen entgegentritt, das die menschliche Gestalt, das menschliche Antlitz vollständig wiedergibt, das jede Willkür des Künstlers verbietet, das niemals duldet, wollte der Mensch mit seinen Künsteleien die ewigen Schönheiten und Regeln der Natur verbessern, oder von ihnen abweichen. Lächerlich ist daher der eitle Ausspruch, wenn über etwas Schönes für oder wider gestritten wird, und zuletzt Der oder Jener sagt: „Ach, der Geschmack ist verschieden!“ Allerdings, verschieden mag er sein – weicht er aber von, guten, einzig richtigen Geschmacke ab, so ist er höchstens unreif oder ungebildet. Wer mit seiner Geschmacksrichtung – besser – mit dem wahren Sinn für das Schöne, im Unklaren ist, der betrachte ausgezeichnete Bildhauerwerke, diese treuesten Kopien des Gewaltigsten, was die Schöpfung hervorbrachte, und er wird erfahren, was „schön“ bedeutet. Er sehe die Werke der alten oder neuen Kunst, einen Apollo, eine Venus, oder die anmuthigsten Jungfrauen- und Jünglingsgestalten eines Canova, Thorwaldsen oder Rauch, und nie möge er dabei vergessen, daß all’ die Meister, des Alterthums wie der Jetztzeit, für ihre Werke das Vollkommenste zum Vorbilde nahmen, was ihr geläuterter Blick, ihr nur für das Vollendetste empfängliche Gemüth aus der Natur erfaßte.

Während draußen der Lärmen geputzter Sonntagsleute an unser Ohr schlug, durchwanderten wir die einsame Werkstätte Rauch’s. In einem Seitenflügel steht die letzte seiner größeren Schöpfungen im Modell, die colossale Mosesgruppe, welche für den König von Preußen in Marmor ausgeführt wird, und die wir zuerst betrachteten. Der Prophet von Israel, inmitten zweier jüdischer Männer, fleht Jehovah um Schutz und Hülfe an für sein Volk, das gegen die Amalekiter streitet. Mächtig wirkt die Hauptfigur, welche auf einem Felsen sitzend, mit vorgebeugtem Oberkörper und hoch erhobenen Armen, Demuth und inbrünstige Bitte auf dem Antlitz, ihr Gebet gen Himmel sendet. Die Genossen zu beiden Seiten scheinen den greisen Propheten in seiner fast emphatischen Situation zu unterstützen, und blicken dabei voll Ehrfurcht zu ihrem Gebieter auf. – Die Neugier des Publikums in einem Atelier ist immer ziemlich vorherrschend und vielleicht eben so verzeihlich. Man möchte wissen, was dieser neidische Vorhang, jene spanische Wand verbirgt – und so entdeckten wir auch in einer verschleierten Ecke des Saales, unter mehren andern Gypsabgüssen einen Kopf von historischer Bedeutung, der über die Natur geformt war. Wir betrachteten mit seltsamen Gefühlen diese Züge, die eben so großartig wie klassisch in ihrer Reinheit waren, bis auf den rechten Mundwinkel, der leicht verzogen, auf Spuren von Todeskampf deutete. Vor diesem Kopfe, den wir jetzt ungescheut berühren durften, zitterte noch vor Kurzem halb Europa – aus dieser Stirn entsprang der Entschluß zu einem Kriege, der mehr als eine Million Menschen hinraffte – an dem Scheitern seiner Pläne brach endlich – doch wer erräth hier nicht bereits? Wir hielten die Maske des Kaisers Nikolaus in der Hand – und legten sie nach langem, ernstem Anschauen stumm wieder in ihre bescheidene Ecke.

In den drei folgenden Sälen drängt sich nun Alles bunt durch einander – Antikes wie Modernes, Statuen, Büsten lebender und todter Personen – Allegorie und Mythe stehen neben diesem oder jenem großen Feldherrn der so klassischen Geschichte, selbst der tiefsinnige Kant, der bald in sein Königsberg versetzt werden wird, darf es nicht verschmähen, sich im Bereiche einer leichtgeschürzten Diana zu befinden. Am Fuße der lebensgroßen Reiterstatue Friedrichs II. steht das Brustbild Borsig’s, der als ein armer Schlossergeselle nach Berlin kam, und als einer der ersten Fabrikanten des Landes starb. Rings an der Wand zieren die schönsten Modelle, die geistreichsten Skizzen in Thon das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_582.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)