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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

sieht man sich verblüfft nach einem Ausgangspunkte der Aar um, denn quer vor das an den Hasliboden sich anschließende Unterhaslithal legt sich ein mächtiger mehre Hundert Fuß hoher Wall, an welchem eine neue in weitausgreifender Zickzacklinie gelegte Straße hinüber nach Meiringen führt, dem Hauptorte des Unterhaslithales. Die Aar hat sich durch diesen Wall an dessen rechter Seite, wo er an die rechte Thalwand sich anschließt, eine tiefe enge Schlucht gewaschen, die „finstere Schlauche“ genannt. Der Wall selbst gibt sich dem aufmerksamen Auge leicht als eine alte Endmoräne von ungeheurer Ausdehnung, und als eine Gruppe von Rollen zu erkennen, über welche einst der Gletscher noch tiefer hinausgegangen ist. Wenn man diesen Wall überschritten hat, welcher rechts vom Hasligrund auch dem Gadmenthal und dem Genthal ein Halt gebietet, in denen ohne Zweifel früher ebenfalls Gletscher ihren langsamen Marsch machten und mit dem Aargletscher zusammen den Wall theils bildeten, theils überwanden, so blickt man in die tischgleiche Ebene des reizenden Unter- oder kurzweg sogenannten Haslithales, welches etwa eine Viertelstunde breit sich 2 1/2 Stunde lang bis Brienz ausdehnt, neben welchem die Aar ihr immer noch nicht völlig entfärbtes Wasser in den See ausgießt. Auch an den himmelhohen Kalkwänden des Haslithales kann man noch leicht die „alten Spuren der Gletscherwirkung“ wahrnehmen, und es war mir, gestützt auf die vor Augen liegenden Erscheinungen, leicht geworden, meine Begleiter davon zu überzeugen, daß sie mit mir von dem Kamme des Sidelhornes bis hinunter in das Haslithal auf der Bahn eines ehemaligen Gletschers gewandert waren. Diese Bahn wird in ihrer oberen Hälfte alljährlich gewissermaßen wieder hergestellt, indem im Winter die wenigen Wanderer, welche über Furca und Grimsel aus dem Wallis nach Meiringen und Brienz gehen, nicht den tief unter Schnee begrabenen Saumpfad wie wir einschlagen, sondern hoch über dem Aarbett über den gefrornen Schnee, welcher dann die Sohle des ganzen so jäh abfallenden Thales ausfüllt, einen geraderen Pfad wählen, so daß dann tief unter ihren Füßen die wilden Wasser der Aar wie eine unterirdische Wasserleitung im Verborgenen sich abwärts wühlen.

Man kann nicht leicht einen lehrreicheren Weg als den eben beschriebenen machen. Mit nur einiger Kenntniß von der Natur der Gletscher gewinnt man durch ihn die Ueberzeugung, daß die Gletscherthätigkeit einen großen Antheil hat an der Oberflächengestaltung der Erde, selbst an solchen Orten, die jetzt weitab liegen von dem beschränkteren gegenwärtigen Schauplatze dieses mächtigen Wirkens der Natur.






Zwei Züge aus Washington's Leben.


Washington war noch ein junger, bildschöner Mann, als er einst auf einer Reise durch Virginien in der Nähe einer Farm anlangte, die, im Walde liegend, ihm und seinem müden Rosse Erquickung zu bieten verhieß. Näher herzugekommen, fand er zu seiner Verwunderung eine festlich gekleidete Versammlung. Die Feier oder was es sonst war, wurde, wie er auch abwehrte, von dem alten Farmer, einem wahren Originale, unterbrochen, um die Pflichten der Gastfreundschaft zuerst an dem müden Gaste zu erfüllen. Es entging Washington’s scharfem Blicke nicht, daß diese Unterbrechung theils willkommen, theils höchst unwillkommen war. Was es aber galt, blieb ihm ein Räthsel, zumal die Hauptperson die festlich geschmückte, liebreizende Tochter des Farmers war, deren Züge Spannung, Kummer und Sorge ausdrückten.

Als George Washington seinen Hunger und Durst gestillt hatte und sich wieder vollkommen auf dem Damme befand, fragte er seinen Wirth, der ihm alle erdenklichen Aufmerksamkeiten erwies, nach der Veranlassung des Festes.

„Ihr werdet erstaunen, wenn ich Euch das erzähle, Herr,“ sprach der dicke Farmer, „aber man muß sich aus einer Verlegenheit in der glimpflichsten Weise zu ziehen suchen, so hab’ ich’s auch vor und Ihr mögt Zeuge sein, wie es mir gelingt.

„Seit zwanzig Jahren wohne ich hier so glücklich, als Einer in den vereinigten Staaten, denn mir gehet nichts ab und mit meinen zwei nächsten Nachbarn lebe ich wie ein Bruder mit seinen Brüdern nur immer leben kann und soll. Wir sind fast gleichzeitig hierher gekommen, haben uns gegenseitig in Leid und Freude brüderlich beigestanden und sind so in rechter Liebe und Treue zusammengewachsen. Nun sind unsere Kinder zusammen herangewachsen. Meine Nachbarn haben jeder einen erwachsenen, heirathsfähigen Sohn und ich eine Tochter, meine gute Lucy, Ihr habt sie wohl gesehen?“

Washington bejahte mit einem wohlverdienten Lobspruch auf ihre seltene Schönheit.

„Ja,“ sagte der Farmer mit behaglicher Freundlichkeit, „Ihr habt Recht, Herr, Lucy ist schön, wie ihre Mutter war, die ich frühe betrauern mußte; aber das ist ihr geringster Vorzug; sie ist ebenso züchtig, fleißig, reinlich und wirthlich, als sie schön ist, und ich will jedem verwittweten alten Vater eine pflegende Tochter wünschen, wie sie mir der Herr geschenkt hat.“

„Ehre dem Märchen,“ rief Washington aus, „dem ein solches Zeugniß von dem redlichen Vater gegeben werden kann, und Ehre dem Vater, der sie erzog!“

Der alte Farmer lächelte in sich vergnügt bei diesen Worten seines Gastes, und, indem er die duftigen Wolken seiner Pfeife hinausblies, strich er mit der Rechten gemüthlich über den ansehnlichen Umfang seines Bauches.

„Gerade wie Ihr die Sache anschaut, Herr, so betrachten sie auch meine braven Nachbarn und ihre ebenso braven Söhne William Brown und John Clifford,“ fuhr der Farmer fort. „Sie sind mit Lucy aufgewachsen und werben Beide um sie. Da sitze ich mitten drinnen in der Patsche, Herr, und weiß nicht, wem ich sie geben soll?“

„Aber hat denn das schöne Mädchen nicht entschieden? In diesem Alter, meine ich, müßte das ja doch zu merken sein?“ sagte Washington.

„Freilich,“ versetzte der Farmer und runzelte dabei die Stirn.

„Sie hat William Brown sehr lieb und er sie; aber sie ist auch dem braven John Clifford nicht böse und achtet ihn hoch, wie er es verdient. Damit ich nun nirgend anstoße und Niemandem wehe thue, habe ich die Väter und die Söhne zu mir kommen lassen, wie Ihr sie im Garten, an der Fenze lehnen sehet, und Ihnen ein Gottesurtheil vorgeschlagen. Welcher von Beiden den weitesten Sprung thut, der soll sie haben. Beide sind tüchtige Springer.“

Ueber Washington’s Antlitz zuckte es, wie ein Blitz, aber lächelnd und sogar etwas schelmisch.

„Ist das Wort fest, Herr, was Ihr da sagtet: wer den weitesten Sprung thut, dem gehört das Mädchen als Gattin?“

„In ganz Virginien hat kein Mensch jemals mein Wort in Zweifel gezogen,“ sagte fest, vielleicht etwas verletzt der Farmer.

„Vergebt, wenn es den Anschein hätte, als ob ich das thäte,“ sagte Washington in einer so herzgewinnenden Weise, daß aufkeimender Groll auf der Stelle vergehen mußte. „Ich fragte nur, weil – ich um das Mädchen mitspringen will!“

„Ihr?“ fragte erstaunt, betroffen und verlegen der Farmer, und dehnte das Wort in ungebührliche Länge.

„Ja,“ sprach Washington fest, „ich halte Euch beim Worte. Meine Stellung ist so, daß ich meine Frau ernähren kann, und Euch keine Schande machen werde. Das noch, – nach der Entscheidung nenne ich meinen Namen und Stand, und Ihr habt das Recht, wenn Euch ein Bedenken kommt, mich ohne Weiteres zurückzuweisen.“

„Topp!“ rief der Farmer, dem der prächtige Mensch ungemein gefiel, ergriff seine Hand und führte ihn heraus zu den im Garten wartenden Gästen und Prätendenten.

Die schöne Lucy, welche mit beifälligen Blicken den Fremden musterte, erglühte wie eine Purpurrose, die beiden Prätendenten erbleichten beim Anblicke des schlanken, sichtlich sehr gewandten Körpers des Fremden, als der Farmer ihnen den Inhalt des Gespräches mit dem Gaste und sein gegebenes Wort mittheilte.

Eine Einrede konnte nicht erhoben werden, und so wurde denn sogleich das Mahl festgestellt und der Sprung begann. Ein kurzer Anlauf war gestattet.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_586.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)